Lettland in der Krise: Nasing spesal
Von allen EU-Ländern ist Lettland am schwersten von der Finanzkrise getroffen. Aber auch ohne diese war der Absturz vorprogrammiert. Jetzt muss das Land knallhart sparen.
STOCKHOLM taz Den Galgenhumor jedenfalls lassen sich die LettInnen nicht nehmen. "Nasing spesal" ist zum Running Gag geworden. Gedruckt auf T-Shirts, in zahlreichen Videoparodien auf Youtube und auf Schilder gemalt, die bei Demonstrationen hochgehalten werden. "Nothing special" hatte Finanzminister Atis Slakteris in seinem ausgeprägten Akzent geantwortet, als er vor einigen Wochen vom Wirtschaftssender Bloomberg TV zur Krise in Lettland interviewt wurde. Was mit der lettischen Wirtschaft passiert sei? "Nasing spesal."
Die zwei Worte gelten seither als Symbol für die Inkompetenz der lettischen Politiker. Wenn die Situation in einem Land, das nur durch einen milliardenschweren Notkredit der Europäischen Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Konkurs gerettet wurde, "nichts Besonderes" ist - was denn dann? 2007 hatte Lettland mit 10,3 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum innerhalb der EU - und im letzten Quartal 2008 mit minus 10,5 Prozent den tiefsten Einbruch. Für 2009 werden eine starke Rezession und eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent prophezeit.
Warum läuft es besonders schlecht für Lettland? Die Gründe sind überwiegend hausgemacht. Die globale Finanzkrise trug allenfalls dazu bei, dass es noch steiler bergab ging. Dabei hatte alles so gut begonnen. In den Neunzigerjahren hatte Lettland mit niedrigen Lohnkosten und einem Steuersystem, bei dem man mit einigen legalen Tricks auf einen Steuersatz von null kommen konnte, umfangreiche ausländische Investitionen ins Land gelockt, die allerdings nur vorübergehend in den produktiven Sektor und die Schaffung neuer Arbeitsplätze flossen. Denn damit konnte man ein zwar stabiles, aber auch nur relativ langsames Wirtschaftswachstum erreichen. Viel schneller ließen sich die Wirtschaftskennzahlen und der Wohlstand durch kreditfinanzierten Konsum und Investitionen in spekulative Sektoren wie den Immobilienbereich steigern. Irgendeine regulierende Zins- oder Geldpolitik hielten Staat und Notenbank dabei nicht für erforderlich. Das überließ man "dem Markt", den ausländischen, vorwiegend schwedischen Banken, die den Kreditsektor beherrschen.
Die Schattenseiten eines solchen künstlichen Booms waren schon vor zwei Jahren nicht mehr zu übersehen. Der Konsum von Importgütern konnte durch die eigene Exportleistung immer weniger gedeckt werden: Das Leistungsbilanzdefizit wuchs auf über 20 Prozent. Finanzieren kann das ein Staat zeitweise durch Schulden, aber irgendwann werden diese fällig. Die Konsumblase ließ die Inflation auf zweistellige Beträge steigen, die Löhne kletterten um jährlich 30 Prozent. Investoren machten ihre Fabriken dicht und verlagerten die Produktion in Richtung Osten, in die Ukraine oder nach Weißrussland.
Jetzt ist Lettland pleite. Um die Forderungen des IWF zu erfüllen, soll die Regierung bis Ende März das Staatsbudget um 20 Prozent kürzen - und weiß nicht, wie.
REINHARD WOLFF
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