Lesung mit Stargast Alice Schwarzer: Unter Freundinnen
In dem Buch "Bittersüße Heimat" warnt Necla Kelek vor der Islamisierung der Türkei und setzt sich für die Rechte der Frauen ein. Alice Schwarzer jedenfalls gefällt's.
Was für ein schöner Abend! Das preußisch-osmanische Trio Tan jazzt das Publikum in Orient-Stimmung, Necla Kelek bezaubert durch ihre mit mädchenhaft-ernstem Eifer vorgetragenen Kindersehnsüchte und schließlich erscheint Alice Schwarzer, um die Sinfonie dieser Nacht zu ihrer Vollendung zu bringen.
Die Lesung aus "Bittersüße Heimat" (KiWi), Keleks jüngstem Werk, folgte einer Dramaturgie, die perfekter nicht hätte sein können. Der Soziologin und Frauenrechtlerin Kelek ist wegen ihrer deutlichen Warnung vor islamischen Männerbünden in der Vergangenheit oft in Kritik geraten, an diesem Abend soll sie einmal vollständig verwöhnt werden.
Das Publikum hätte man sich altlinker nicht wünschen können: Gemäß der Tradition ihrer Studentenzeiten in den Siebzigern kommen und gehen die Zuhörer ganz nach Lust und Laune, ein paar unterhalten sich, tauschen Leckereien aus ihren Einer-Welt-Laden Beuteln aus und werden doch nie so stark vom Geschehen auf der Bühne abgelenkt, dass sie nicht jeden Ausspruch von Kelek mit wildem Applaus begrüßen könnten.
Kelek spricht etwas an, dass sich eine Menge Menschen in Deutschland wünschen. Sie ist, wie sie selbst sagt "eine Deutsche mehr, aber dafür keine Türkin weniger". Sie will sich einmischen, mitreden und mitgestalten. In Deutschland wie in der Türkei. "Heimat", so sagt sie "ist da, wo man sich verantwortlich fühlt."
Alice Schwarzer ist begeistert. Schon 1977 hat sie in ihrer Zeitschrift Emma auf die ehelichen Internierungen der türkischen Frauen in Deutschland aufmerksam gemacht, eine Feministin wie Kelek ist da genau nach ihrem Geschmack. Und Kelek pflichtet ihr auch sofort bei: "Die Emma hat mich ermutigt, mich zu wehren."
Bestens gelaunt wippt Schwarzer ihr wallendes Kleid auf dem Stuhl hin und her, wedelt mit ihren Karteikärtchen in Richtung Kelek und spielt auch das Publikum immer wieder an. Sie lobt Köln, den Einsatz der Linken gegen die Rechtspopulisten "Pro Köln" und würdigt auch Seyran Ates und Emine Sevgi Özdamar und deren Verdienste für die Frauenbewegung.
Doch wie harmonisch man sich auch im Haus der Berliner Festspiele geben mag, es bleibt doch ein wenig der Eindruck zurück, dass es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft handelt. Man scheint den Kontakt zu dem, was die jungen Türkinnen in Deutschland heute bewegt, irgendwann verloren zu haben. Deutlich wird es vor allem in dem Moment, als Schwarzer an den Film "40 qm Deutschland" (1985) erinnert. "Was ist eigentlich aus dem Regisseur, Tevfik Baser, geworden", fragte sie? Beantworten kann ihr das niemand.
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