Lesereihe „Zwischen/Miete“: Auf dem Badewannenrand

Mit Lesungen in WGs und privaten Räumen will die Reihe Zwischen/Miete junges Publikum für Literatur begeistern. Ein Ortstermin in Köln.

Mensch sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und liest ein Buch

Gemütlich – bei den „Zwischen/Miete“-Lesungen sitzt man auch mal auf dem Wohnzimmerboden Foto: unsplash/Fabiola Penalba

KÖLN taz | Freitagabend in Köln. Die Scheiben am Co-Working-Space in der Innenstadt sind beschlagen. Tagsüber arbeiten hier Jour­na­lis­t:in­nen an ihren Projekten, nun besuchen 25 Menschen eine Lesung. Eintritt 5 Euro, Bier inklusive.

„Zwischen/Miete“„Zwi­schen/­Mie­te“ nennt sich die Lesereihe, die es in Köln seit 2016 gibt. Die Idee: Au­to­r:in­nen lesen in einer WG oder anderen privaten Räumen, das Publikum sitzt auf dem Boden, die Lesung hat familiären Charakter.

Ins Kölner Nachtleben gerufen hat sie Tilman Strasser, Autor und ehemaliger Mitarbeiter des Literaturhauses Köln. „Wir haben uns gefragt, wie wir junges Publikum ins Literaturhaus bekommen“, erzählt er. Das Literaturhaus residiert in einem Haus aus dem späten 16. Jahrhundert: hohe Decken, großer Kamin, Fachwerk und Butzenscheibchen.

Also ging man an andere Orte. „Die Idee für die Reihe habe ich geklaut“, gesteht Strasser. Er war selbst einmal Gast in der Zwischen/Miete. Damals war er noch Literaturstudent in $(L­B3476148:Hil­des­heim|_blan­k)$ und wurde nach Freiburg eingeladen, wo die Reihe ihren Anfang gefunden hat.

Kuschelig privat

Mittlerweile ist das Format etabliert: In Stuttgart und der Schweiz finden Lesungen in WGs statt, der Heidelberger Karlstorbahnhof suchte für eine Lesung sogar eine WG per Wohnungsanzeigenportal. Und Strasser veranstaltet mittlerweile Lesungen in sieben Städten in Nordrhein-Westfalen. Anspruchsvoll ist er bei der Auswahl der Leseorte nicht. „Es geht um absolute Niedrigschwelligkeit“, sagt Strasser. „Zur Not sitzt man halt auf der Badewannenkante.“

Infos zu Zwischen/Miete: http://zwischenmiete.nrw

Infos zum Leseclubfestival: https://leseclubfestival.nrw

Im Kölner Co-Working-Space machen wir es uns auf Bürostühlen, Bierbänken und Sesseln bequem. Neben mir sitzt ein Paar. Er aus Köln, sie aus Münster. Sie hat ihn zur Zwischen/Miete mitgenommen, weil sie schon in Münster auf einer Lesung in einer WG gewesen ist. „Das war sehr kuschelig“, sagt sie. Man habe Ellbogen an Ellbogen im Flur gestanden, während die Mitbewohner in der WG-Küche Pizza gegessen hätten. In Münster gehe sie ansonsten nicht gerne auf Lesungen: Sie sind ihr zu förmlich.

Sie ist eine Nerdette

Förmlichkeit ist am Freitag kein Problem. Zu Gast ist die Greifswalder Autorin $(L­B3587275:Be­rit Glanz|_blank)$. Sie hat gerade ihren Debütroman „Pixeltänzer“ veröffentlicht, in dem eine junge Start-up-Angestellte nach einem anonymen Anruf ein tiefgehendes Interesse an einer Tänzerin der expressionistischen Künstlergruppe „Der Sturm“ entwickelt.

Die Kritik liebt das Buch, das zwischen zwei Zeitebenen und mindestens doppelt so vielen Literaturepochen springt. Glanz und Strasser plaudern auf dem Podium, duzen sich, machen Witze: Ob sie ein Nerd sei, fragt Strasser und Glanz antwortet: „Nerdette“, Lachen im Publikum.

Berit Glanz beginnt, aus ihrem Roman vorzulesen. Die erste Textstelle spielt in einem Start-up: Jemand ist ein „Junior Quality Assurance Manager“, es gibt alberne Gadgets. Eins davon ist ein Roboter-Fisch, der im firmeneigenen Aquarium schwimmt und dabei über eine eingebaute Webcam den Fischaugenblick auf einen Großbildschirm im Büro projiziert.

Die Satire auf Überwachung am Arbeitsplatz funktioniert, im Publikum wird gelacht. Später liest Glanz eine Textstelle, die im Jahr 1910 spielt, als Deutschland von einem Kometenfieber erfasst wurde. Nun klingt der Text wie ein realistischer Roman der bürgerlichen Epoche.

Über Bücher zu sprechen, soll für die junge Generation so gängig sein wie sich über Serien auszutauschen

Während sie liest, schließen manche im Publikum die Augen, um besser folgen zu können, andere scrollen durch ihren Instagram-Feed – so wie man es auch machen würde, wenn man zu Hause auf der Couch das Hörbuch laufen lässt. Viele Be­su­che­r:in­nen sind unter dreißig, nur vereinzelt sind graue Haare zu sehen. Das Köln-Münsteraner Paar zieht in Richtung Kino weiter.

Strasser will eine neue Selbstverständlichkeit im Umgang mit Literatur herstellen – über Bücher zu sprechen, solle für die junge Generation so gängig sein wie sich über Serien auszutauschen. Auch deshalb veranstaltet Strasser Ende Januar 2020 das erste ­Lese­club­-­Fes­ti­val in Köln.

„Alle Besucher bekommen eins von vier Büchern geschickt, dann haben sie vier Wochen Zeit, es zu lesen“, sagt er. Schließlich treffen sich 20 Menschen gemeinsam mit der Autorin in einem Raum, um über das Buch zu sprechen – ohne inhaltliche Vorgaben. Die Idee dafür hat er übrigens auch geklaut – aus ­Berlin.

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