Leitkultur-Comic für Geflüchtete: Sexuelle Vielfalt? Fuck you!
Ein schwäbischer Landkreis druckt ein Comicheft über deutsche Werte – und übersieht die missverständliche Bedeutung des Like-Symbols.
Hin und wieder hakt es noch bei den Integrationsbemühungen der Deutschen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Schwäbischen hat jetzt ein Heft mit Zeichnungen herausgegeben, das Zugewanderten helfen soll, die Grundwerte hierzulande zu verstehen. Der 39-seitige Leitkultur-Comic, der jetzt in Flüchtlingsunterkünften verteilt wird, enthält Illustrationen zu den Dos and Don’ts in Deutschland.
Gleichgeschlechtliche Paare und ein Mann in Frauenkleidern sind da zu sehen, daneben ein Handzeichen: Daumen hoch – das finden wir gut! Eine andere Seite zeigt Menschen, die konträre politische Meinungen vertreten – auch hier: Daumen hoch, so soll es sein! Die Zeichensprache soll die Grundregeln der Demokratie niedrigschwellig verständlich machen. So etwas Simples wie ein Daumen-hoch-Zeichen kann man schließlich nicht falsch verstehen. Oder?
Leider doch. Denn obwohl angeblich Flüchtlinge bei der Konzeption der Hefte konsultiert worden sind, ist im Schwarzwald-Baar-Kreis offenbar niemandem aufgefallen: Handzeichen sind nicht universal. Dass Daumen-hoch „super“ oder „alles klar“ heißt, ist spezifisch für Mitteleuropa und Nordamerika.
In vielen anderen Ländern – und dazu zählen die drei wichtigsten Herkunftsstaaten der Geflüchteten, nämlich Syrien, Irak und Afghanistan – entspricht der nach oben gestreckte Daumen dem deutschen Mittelfinger. Und so werden die AdressatInnen ihre druckfrischen Werte-Broschüren aufschlagen und sehen: „Sexuelle Vielfalt und Diskussionskultur – fuck you!“
Eine Katastrophe ist das nicht. Geflüchtete werden eins und eins zusammenzählen und darauf kommen, dass hier ein Missverständnis vorliegen muss. Für alle, die schon mehrere europäische Länder durchquert haben, wird es nicht das erste dieser Art sein. Peinlich ist der Ausrutscher freilich für diejenigen, die hier interkulturelle Kompetenz vermitteln wollten – und stattdessen einfach mal den interkulturellen Stinkedaumen in die Runde gezeigt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste