Leiharbeiter in der Industrie: Ein bisschen Zuschlag
Leiharbeiter in der Metall- und Elektroindustrie sollen künftig mehr Geld bekommen. Bei der Gewerkschaft der Dienstleister sorgt das für Ärger.
BERLIN taz | Zwischen den Gewerkschaften herrscht Zwist. „Ich persönlich halte den Abschluss für eine politische Fehlleistung der IG Metall“, sagt Jörg Wiedemuth, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, über den neuen Tarifvertrag zwischen der Metallgewerkschaft und den Leiharbeitsverbänden.
Die im Mai getroffene Regelung sieht vor, dass Metall-Leiharbeiter künftig Zuschläge erhalten. Mit diesem Abschluss habe der Druck auf die Bundesarbeitsministerin nachgelassen, per Gesetz die Gleichbezahlung und Gleichbehandlung von Leih- und Stammbeschäftigten vorzuschreiben, so Wiedemuth.
Auch Karsten Rothe, Leiter der Tarifabteilung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG), meint: „Unsere Marschrichtung wäre gewesen, den Druck auf die Politik aufrechtzuerhalten.“
Tatsächlich: Kaum war der Vertrag mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesarbeitgeberverband Personaldienstleister (BAP) besiegelt, verkündete Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), ein Gleichstellungsgesetz für Leiharbeiter lege sie erst einmal wieder auf Eis, tarifliche Lösungen hätten „Vorfahrt“. Im November will sie sich mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und DGB-Chef Michael Sommer ansehen, was sich in anderen Branchen getan hat.
Blaupause für andere Branchen
Für Ver.di und die NGG ist es eine missliche Lage. Die Leiharbeitsverbände verstehen die mit der Metallgewerkschaft ausgehandelten Zuschläge als Blaupause für andere Branchen. Metall- und Elektroleiharbeiter bekommen nach sechs Wochen einen 15-prozentigen Aufschlag auf ihren Tarif-Leiharbeitslohn. Der liegt im Westen auf der untersten Stufe bei 7,89 Euro, im Osten bei 7,01 Euro. Nach dem dritten, fünften und siebten Monat steigt der Zuschlag auf 20, 30 und 45 Prozent, nach neun Monaten gibt es auf 50 Prozent mehr Geld.
Doch für Wiedemuth ist dieses Modell nicht auf die Dienstleistungen übertragbar: „Bei uns sind viele Leiharbeiter, anders als in der Metall- und Elektroindustrie, weniger als sechs Wochen beschäftigt. Gerade die flexibelsten würden leer ausgehen.“ Doch beim Handelsverband Deutschland (HDE) und in der Druckindustrie, die insgesamt rund 65.000 Leiharbeiter beschäftigen sollen, kann man sich kürzere Wartezeiten nicht vorstellen. „Man muss die Aufstockungsbeträge zeitlich staffeln, bis hin zu einem Jahr“, sagt Paul Albert Deimel, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Druck und Medien.
Am Montag haben Ver.di, iGZ und BAP zum ersten Mal gemeinsam sondiert – ohne nennenswerte Ergebnisse. Man will sich erneut treffen. Die NGG hat ihre Gespräche derweil schon wieder ausgesetzt.
Sie haben weniger Macht
Beide Gewerkschaften stehen vor viel größeren Problemen als die IG Metall: Sie sind weniger durchsetzungsmächtig, vertreten schlechter entlohnte Beschäftigte und deutlich mehr und heterogenere Branchen: von der Abfallwirtschaft bis zur Pflegewirtschaft, von der Getränkeindustrie bis zum Hotel- und Gastgewerbe. Überall werden die Branchen-Arbeitgeber im Hintergrund mitreden, schließlich werden die Leiharbeitsverbände Mehrkosten auf sie abwälzen.
Heribert Jöris, HDE-Geschäftsführer, warnt bereits: „Die Zeitarbeit muss aufpassen, dass sie den geringen Preisvorteil und damit den Einzelhandel nicht als Kunden verliert. Steigen die Kosten zu sehr, müssen wir unseren Bedarf anders lösen.“
Bei der IG Metall will man die Schwesterorganisationen nicht im Stich gelassen haben. „Wir wollen weiterhin die gleichen Arbeitsbedingungen und Entlohnungen für Stammbeschäftigte und Leiharbeiter. Aber es gab keinen Grund, darauf zu vertrauen, dass die Politik tätig wird. Dazu hatte sie genug Zeit“, sagt Helga Schwitzer, Tarifexpertin und geschäftsführendes Mitglied im IG-Metall-Vorstand.
In der Metallbranche hat sich Leiharbeit zum Teil drastisch ausgeweitet. BMW beispielsweise setzt rund 12.000 Leiharbeiter ein. So hat vor allem die IG Metall seit 2008 die öffentlichkeitswirksamen, zwischen den Gewerkschaften koordinierten Kampagnen gegen Leiharbeit getragen. Mittlerweile zählt sie nach eigenen Angaben 40.000 Leiharbeiter in ihren Reihen. Und die wollen Erfolge sehen. Leiharbeiter erhalten laut Schwitzer jetzt in der untersten Entgeltgruppe nach neun Monaten künftig 621 Euro Brutto mehr im Monat. In der obersten Gruppe seien es sogar 1.380 Euro. So schrumpfe der Verdienstabstand zu Stammbeschäftigten auf bis zu 10 Prozent.
Das IG-Metall-Beispiel macht Schule: Auch die Chemiebranche, die Kautschuk- und Kunststoffindustrie sowie die Eisenbahner haben sich auf Zuschläge geeinigt. „Wir haben Leiharbeit als Geschäftsmodell für Lohndumping deutlich unattraktiver gemacht“, sagt Schwitzer. Der Traktorenhersteller John Deere, BMW oder Siemens haben bereits angekündigt, etliche bisherige Leiharbeiter als Stammbeschäftigte zu übernehmen.
So wird die Leiharbeit einerseits zurückgedrängt – andererseits drohen die Schwächsten unter den Beschäftigten leer auszugehen. Zwar beharren grundsätzlich alle DGB-Gewerkschaften darauf, dass die Politik gleiche Löhne für gleiche Arbeit vorschreibt. Doch mit ihrem Zuschlagsmodell hat die IG Metall den Druck auf die Politik unfreiwillig gemindert. Ursula von der Leyen kann sich freuen: Sie hat immer betont, dass sie zuerst die Tarifparteien in der Verantwortung sieht und nur eingreifen will, wenn es gar nicht anders geht. Jetzt kann sie diese Position wieder etwas bequemer rechtfertigen.
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