piwik no script img

Leichtathletik-WeltmeisterschaftEs muss auch ohne Helden gehen

Nur drei Berliner stehen im Aufgebot für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in der eigenen Stadt. Trotzdem profitiert der Verband bereits jetzt von dem Großereignis und hofft auf bleibenden Schwung.

Eine Weltmeisterschaft aus lokalem Blickwinkel zu betrachten ist gewiss ein sehr engstirniges Unterfangen. Insbesondere wenn es um die Leichtathletik geht. "Keine Sportart ist dermaßen globalisiert", sagt Jan-Gerrit Keil, der Leistungssportwart des Berliner Leichtathletikverbandes (BLV). Bei keiner anderen Weltmeisterschaft würden sich die Medaillengewinne über so viele Nationen verteilen.

Trotzdem verkündete man beim BLV vor einigen Jahren vollmundig, dass man "local heroes" brauche, Identifikationsfiguren aus der Stadt, um das Olympiastadion zu füllen. Keil formulierte 2005 das ehrgeizige Ziel, sieben Sportler aus dem Landesverband zur WM zu bringen. Knapp vier Wochen vor Beginn sind jedoch nur der Diskuswerfer Robert Harting, 1.500-Meter-Läufer Carsten Schlangen und der Langstrecken-Geher André Höhne vom Deutschen Leichtathletikverband nominiert worden. Was ist schief gelaufen beim BLV?

"Nichts", antwortet Keil gelassen. "Hochleistungssport ist ein hoch risikobehaftetes Unternehmen". Er verweist auf die verletzungsbedingten Ausfälle von Zehnkämpfer André Niklaus und von 400-m-Läufer Florian Seitz. Zudem ist er überzeugt, dass die Hochspringerin Meike Kröger im Nachrückverfahren nominiert wird. Mit etwas Glück, meint Keil, könnte noch jemand kurz vor knapp die Qualifikationshürden nehmen.

Berlin ist keineswegs die Talentschmiede der deutschen Leichtathletik. Im Ranking der Landesverbände nimmt der BLV den 7.Platz ein. Aber Jan-Gerrit Keil sagt, dass der Standort Berlin an Bedeutung gewonnen habe. Anders als früher wurden Vereine wie Bayer Leverkusen oder der LAC Quelle Fürth nicht mehr so üppig von ihren Mutterfirmen gesponsert. Dadurch würden die Berliner Jungtalente nun seltener anderswo hingelockt werden.

Um genau das zu verhindern ist die Berliner Leichtathletikgemeinde auch selbst tätig geworden. Die Schwächen ihrer dezentralen Strukturen versucht man seit 2003 zu kompensieren, indem man die besten zehn Athleten der Stadt, die meist aus den beiden West-Traditionsvereinen SCC Berlin und LG Nord Berlin sowie den beiden Ostclubs SV Preußen Berlin und dem LAC Berlin stammen, im "Team Berlin" zusammenfasst.

Die berufenen Athleten erhalten jährlich etwa 3.000 Euro, die aber nur zweckgebunden ausgezahlt werden. Keil erklärt, dass das Team Berlin auch als ideeller Zusammenschluss funktionieren solle, um die Identifikation mit der Stadt zu stärken. Die Trainingsbedingungen in Berlin seien im nationalen Vergleich durch die gute Infrastruktur des Olympiastützpunktes und das Trainerpersonal bereits überdurchschnittlich gut.

Zur Ausbildung von sieben "local heroes", um zur WM "die Hütte voll zu kriegen", wie der BLV-Präsident Reinhard Freiherr von Richthofen-Straatmann einst forderte, hat es nun nicht gereicht. Wobei auch der qualifizierte Geher André Höhne und der Mittelstreckenläufer Carsten Schlangen kaum elektrisierend auf die Massen wirken dürften. Sie sind dem breiten Sportpublikum eher unbekannt. Erfolg wird vom Publikum nur wahrgenommen, wenn man sich in der absoluten Weltspitze bewegt. "Kaum einer weiß, dass wir im Hochsprung bei den Frauen weltweit die höchste Leistungsdichte in Berlin haben", sagt Keil. Er hat drei Kandidatinnen, die um die 1,90 Meter hoch springen und bei der WM theoretisch mitmischen könnten.

Die Berliner Leichtathletik profitiert vielmehr von dem Großereignis, als dass sie ihm zum Erfolg verhelfen könnte. Für die WM wurde das Stadion Lichterfelde bereits als Trainingsstätte renoviert und mit der gleichen blauen Bahn ausgestattet, wie sie im Olympiastadion ausliegt. Die Rudolf-Harbig-Halle in Charlottenburg möbelte man mit Kraftgeräten auf.

In den Leichtathletikvereinen ist die Vorfreude schon spürbar, berichtet Leistungssportwart Keil, weil sich dort viele als WM-Volunteers zur Verfügung gestellt haben. Auch Freiherr von Richthofen-Straatmann registriert beglückt "den Schwung" in den Vereinen. Er hofft, dass die Berliner Leichtathletik nach einer gelungenen WM "ein wenig aus ihrem öffentlichen Schattendasein herauskommt".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!