Legalisierung von Cannabis: „Der Turning Point ist überschritten“
Cannabis ist in der Gesellschaft angekommen, sagt Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer. Die Liberalisierung sei auch nicht mehr aufzuhalten.
taz: Herr Jonitz, finden Sie es schlimm, wenn sich Leute mittels Drogen berauschen?
Günther Jonitz: Nein, nicht pauschal. In unserer Gesellschaft ist es normal, dass Menschen mal einen über den Durst trinken oder einen Joint durchziehen, wie man so schön sagt. Die Probleme fangen an, wenn es einen Kontrollverlust gibt. Oder wenn man nicht mehr ohne externe Stimuli auskommen kann.
Wie halten Sie es persönlich?
Am Abend, zum Abschluss eines Tages, genehmige ich mir relativ regelmäßig ein Bier. Auch Wein trinke ich mal ganz gerne. Mein Standpunkt ist: Genuss hält gesund. Wie alles im Leben ist aber auch das eine Frage des Maßes unter Vermeidung des Übermaßes. Rausch durch Alkohol steht nicht auf meiner Agenda.
Rauchen Sie?
Ich rauche Zigarre. Weniger rauchen als paffen. Aber auch da gehen die Substanzen natürlich in die Blutbahn. Das Beste, was man durchs Nichtstun für seine Gesundheit tun kann, ist natürlich, nicht zu rauchen.
Da spricht der Präsident der Ärztekammer. Was für Erfahrungen haben Sie mit Cannabis?
Mein erster Kontakt war während meines Medizinstudiums in Bochum. Ein Privatdozent hat in der Biochemie eine Vorlesung gehalten, die komplett überfüllt war. Es ging um zentral wirksame Substanzen – also Psychopharmaka, die sich in Pilzen, Blüten und Blättern befinden. Er hat genau erklärt, was für Substanzen das sind, wie sie wirken und wo im Botanischen Garten Bochum die Teile wachsen. Das fand größeren Anklang bei meinen Kommilitonen. Ich habe gerne zugehört, es war mir aber fremd.
Haben Sie jemals gekifft?
Nein. Ich kann nicht inhalieren. Aber ich habe mich auch nie in den entsprechenden Kreisen bewegt. Mein zweiter Kontakt war während des Studiums, als ich nach Berlin kam. 1979 war ich hier in einem Fechtclub, das war mein Hobby. Einer meiner Vereinskameraden war der damals zuständige Richter für Drogendelikte.
Wie war der Name?
Dagobert Remus. Er lebt nicht mehr. Aber das war eine echte Type.
Der Drogenrichter Remus war im Kriminalgericht Moabit bekannt. Bei Angeklagten und Verteidigern hatte er den Ruf eines Hardliners.
Das kann ich nicht beurteilen. Zu mir hat Remus ganz klar gesagt: „Günther, mich interessieren die Kiffer überhaupt nicht.“ Wenn einer am Wochenende eine Haschischzigarette raucht, das sei nichts, wo er sich verkämpfen möchte. Ihn interessierten die Dealer, die gezielt Kinder und Jugendliche anfixen und abhängig machen von harten Drogen. Das war seine Zielsetzung.
Warum erzählen Sie das so ausführlich?
58, ist Facharzt für Chirurgie und seit 1999 Präsident der Ärztekammer Berlin. Zunächst setzte er sich für die kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige ein. Seit 2003 plädiert er auch für die Legalisierung des Cannabiskonsums.
Durch Remus habe ich mitgekriegt, dass Cannabis offensichtlich ein gesellschaftliches Phänomen ist. Dass sich Leute am Wochenende genauso normal einen Joint reinziehen, wie sich andere eine Flasche Haberschlachter Heuchelberg …
… einen Rotwein aus Baden Württemberg, wo Sie herkommen …
… zu Gemüte führen, ohne dass man etwas an der Leistungsfähigkeit der Menschen hätte festmachen können.
Inzwischen sind Sie 18 Jahre Präsident der Berliner Ärztekammer. Am 23. Februar 2017 saßen Sie bei einem Cannabis-Hearing der SPD auf dem Podium. Warum engagieren Sie sich für die Entkriminalisierung?
Es geht mir darum, das Thema zu entideologisieren. Ich gucke mir das Ganze ruhig und rational als aufgeklärter Bürger unter ärztlichen und gesellschaftlichen Aspekten an. Im politischen Mainstream werden Sie mich nicht finden. Ich bin ein großer Verfechter der Wahrheit.
Zu welchem Schluss kommen Sie?
Nahezu alle Kulturen auf diesem Globus suchen eine Möglichkeit, sich in einen Rausch zu versetzen. Die einen essen Pilze, die anderen rauchen einen Joint, trinken Alkohol, die Vierten tanzen bis zur Bewusstlosigkeit. Als Arzt bleibt mir nur zu sagen: Die Droge Alkohol ist gefährlicher als die Droge Cannabis. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Cannabis ist definitiv keine harmlose Droge. Ganz im Gegenteil. Gerade bei Kindern und Jugendlichen hat die Zahl derer, die eine unheilbare Psychose bekommen und sich deshalb umbringen, stark zugenommen in den letzten Jahren.
Trotzdem sind Sie für eine Liberalisierung. Das müssen Sie erklären.
Ein Doktorand der Rechtswissenschaften der Uni Bremen hat sich die Mühe gemacht, die Drogenpolitik international zu untersuchen. Dabei hat sich gezeigt: Ein sachlicherer und freierer Umgang der Gesellschaft ist auch für die Gesundheit der Risikogruppen der bessere Weg.
Geht es etwas genauer?
Das schönste Beispiel ist Portugal. Dort hat man den Besitz von Drogen generell liberalisiert. Am Beispiel Cannabis konnte man sehen, dass die Zahl der User zunächst zugenommen hat und dann wieder gesunken ist. Höher geblieben ist der Anteil der Älteren. Das sind diejenigen, die auch schon vorher Cannabis konsumiert haben, nun aber offenbar keine Lust mehr haben, weiterhin auf den Schwarzmarkt zu gehen.
Was heißt das nun für die Risikogruppen?
Die Zahl der Jugendlichen, die in Portugal Cannabis konsumieren, ist vergleichsweise gering. Gleichzeitig hat sich die Zahl der pathologischen Cannabisabhängigen, die freiwillig in Behandlung gehen, in Portugal gegenüber vorher verdoppelt. Auch auf Leute, die nicht in der Lage sind, selbstbestimmt mit der Droge umzugehen, hatte die veränderte Politik also Einfluss. Ein freierer Umgang, auch in der öffentlichen Diskussion, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Leute sich in Therapie begeben und möglicherweise von dem Zeugs runterkommen.
Das heißt, Berlin müsste erst mal aushalten, dass die Zahl der Konsumenten nach einer Liberalisierung zunimmt.
Ein solcher Effekt ist auch in Amerika zu sehen.
In den USA haben mittlerweile acht Staaten Cannabis legalisiert.
Auch da steigt zunächst der Konsum. Und es steigen auch die negativen Folgen des Konsums. Die Zahl der tödlichen Unfälle in Colorado unter Cannabiseinfluss hat sich angeblich verdoppelt. Das ist ähnlich wie nach dem Fall der Mauer, wo sich viele ehemalige DDR Bürger mit gebraucht gekauften BMWs zu Tode gefahren haben. Solche Kollateralschäden muss man natürlich, so weit wie möglich, zu verhindern suchen. Aber auch das geht durch eine sinnvolle und kluge Aufklärung in der Regel besser, als wenn man Themata tabuisiert.
Seit über 20 Jahren wird in Deutschland über das Für und Wider einer Freigabe von Cannabis gestritten. Sind wir jetzt wirklich am Turning Point?
Wir haben den Turning Point bereits überschritten.
Was macht Sie so sicher?
Seit 2003 weise ich darauf hin, dass Cannabis als Droge ungefährlicher ist als Alkohol. In einem Interview habe ich damals mal gesagt, der Genuss von Cannabis sei vielen in diesem Moment genauso fremd wie nach dem Zweiten Weltkrieg der Genuss von Pizza. Das war natürlich ehrenrührig und hat mir eine böse Schlagzeile eingebracht. Aber Sie fragten nach dem Turning Point. Damit meine ich den einstimmigen Beschluss des deutschen Bundestags – ich betone „einstimmig“: Seit 1. März 2017 können Ärzte Patienten zu deren Wohl Cannabisanwendungen verschreiben.
Ja, aber Cannabis zu Genusszwecken ist weiterhin verboten.
Aus dem Umgang mit Cannabis als Medikament lernt man, wie die Droge als solche wirkt. Nach einem gewissen Zeitraum in der medizinischen Anwendung – sagen wir mal in zwei bis fünf Jahren – wird man merken, dass die Leute nicht scharenweise Schäden erleiden. Der nächste Schritt wäre dann ein liberaler Umgang mit Cannabis, unter der Voraussetzung einer strikten Altersgrenze. Auf ein Gehirn, das noch nicht ausgewachsen ist, haben Drogen verheerende Auswirkungen.
Bei dem Hearing der SPD haben Sie auf eine große Ungerechtigkeit hingewiesen: Cannabiskonsumenten verlieren bei Verkehrskontrollen sofort den Führerschein.
Da wird krass mit zweierlei Maß gemessen. Einer, der mit Tempo 170 die Stadtautobahn runterbrettert, bekommt vier Monate Fahrverbot aufgebrummt. Und das, obwohl klar ist, dass er mit dieser Geschwindigkeit nicht nur sich, sondern auch andere gefährdet. Dagegen macht die Polizei gezielt Jagd auf 18-, 19-jährige Autofahrer, die nichts verbrochen haben, außer dass sie vielleicht in einem verbeulten Kleinwagen hinter dem Steuer sitzen und ein bisschen hager aussehen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Solche jungen Männer und Frauen werden von der Polizei aus dem Verkehr gefischt, ganz nach dem Motto: Das könnte ein Drogenkonsument sein. Sie werden zum Drogentest geschleift. Wenn dann THC im Blut nachgewiesen wird – in einer Größenordnung, die wissenschaftlich nichts darüber aussagt, ob jemand fahrtüchtig ist –, verliert ein solcher Mensch für ein Jahr seinen Führerschein.
Und wenn diese Person den Führerschein zurückhaben will, muss sie zum sogenannten Idiotentest.
Das ist noch mal ein Skandal für sich. Denn: Da gibt es keine Standards, keine Protokolle und keine Möglichkeiten, dagegen rechtlich vorzugehen, wenn Sie beim Idiotentest durchfallen. Alles zusammengenommen, ist das eine schreiende Ungerechtigkeit. Das dürfen wir nicht zulassen. Eine aufgeklärte Gesellschaft misst nicht mit zweierlei Maß. Darauf gibt es auch einen grundgesetzlichen Anspruch. Das wäre das Erste, was ich abzustellen empfehle.
Was könnte Berlin tun, um das zu beschleunigen?
Die Straßenverkehrsordnung ist Bundesrecht. Aber Berlin könnte auf Bundesratsebene ein Amnestiegesetz für Cannabissünder fordern. Alle sollen den Führerschein zurückbekommen, die im polizeilichen Führungszeugnis nachweisen können, dass sie nicht mit erheblichen Drogendelikten aufgefallen sind.
Im Herbst sind Bundestagswahlen. Können Sie sich vorstellen, dass eine neue Regierung die Cannabispolitik zurückdreht?
Nein. Der Krieg gegen die Drogen ist weltweit gescheitert. Der Versuch, das zurückzudrehen, wäre ein Verstoß gegen die menschliche Natur. Viele Menschen suchen nach Möglichkeiten, sich in einen Rausch zu versetzen. Dass das auch mit Cannabis geht, haben mittlerweile sehr viele begriffen. Viele davon sind bereits pensioniert.
Werden Sie die wirkliche Liberalisierung noch als amtierender Ärztekammer-Präsident erleben?
Vermutlich nicht. Aber als Rentner hoffentlich schon.
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