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Leerstand in den Schulen

50.000 Berliner SchülerInnen schwänzen regelmäßig den Unterricht. In den Hauptschulen in Mitte sind die Fehlzeiten am höchsten. Schulsenator Böger appelliert an Eltern und Lehrer, sich zu kümmern

von SABINE AM ORDE

Insgesamt schwänzen mehr als 50.000 Berliner Schüler regelmäßig den Unterricht. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung über Schulversäumnisse, die Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gestern vorgestellt hat. Es ist bundesweit die erste umfassende Bestandsaufnahme von Schulversäumnissen.

Danach fehlen fast 15.000 Berliner SchülerInnen in der Schule so häufig, dass Versetzung und Schulabschluss kaum möglich sind. Das sind 4,8 Prozent der insgesamt rund 323.000 SchülerInnen in den ersten zehn Klassenstufen. Sie fehlen pro Halbjahr mehr als 20 Tage und verpassen damit mindestens ein Fünftel des Unterrichts. 4.000 von ihnen (1,3 Prozent) haben sogar mehr als 40 Fehltage. Hinzu kommen knapp 36.200 SchülerInnen (11,8 Prozent), die 11 bis 20 Tage pro Halbjahr nicht in der Schule auftauchen. Sie gelten laut Experten als „beobachtungswürdige Fälle“.

Für die Studie hat die Schulverwaltung alle 926 allgemeinbildenden Schulen der Stadt nach dem versäumten Unterricht ihrer SchülerInnen in den ersten zehn Klassen im zweiten Halbjahr 2001/2002 befragt. Das entspricht etwa hundert Unterrichtstagen. Dabei wurde nicht zwischen entschuldigten und unentschuldigten Fehltagen unterschieden. „Entschuldigtes Fehlen verschleiert häufig nur das Schwänzen“, erklärte Hermann Rademacker vom Deutschen Jugendinstitut in München, der zahlreiche Studien zum Thema durchgeführt hat. „Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass eine solche Unterscheidung nicht sinnvoll ist.“ Eine Fehlquote von 10 Tagen pro Halbjahr wird als normal angesehen. „Bei höheren Fehlzeiten müssen bei den Pädagogen die Alarmglocken läuten“, betonte Horst Seidel, der in der Schulverwaltung für Hauptschulen zuständig ist. „Bei mehr als 20 Tagen besteht ein hohes Gefährdungspotenzial.“

Ob Berlin nach diesen Ergebnissen als Hauptstadt der Schulschwänzer bezeichnet werden kann, hält Rademacker für fraglich. Zwar fehle es an Vergleichsstudien aus anderen Bundesländern, „aber man kann davon ausgehen, dass in vergleichbaren Regionen ähnliche Ergebnisse erzielt würden.“

Nach der vorliegenden Untersuchung ist das Schulschwänzen an den Haupt- und Sonderschulen besonders häufig – und in den Klassenstufen 7 bis 9. Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt es kaum. Bei der bezirklichen Auswertung liegen Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg vorn, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg hinten. „Man muss klar von einem Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Jugendlichen und der Häufigkeit des Fehlens ausgehen“, so Rademacker. Deshalb sei das Schulschwänzen ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Leistungen von Kindern aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern zu verbessern. Dass hier bundesweit dringender Handlungsbarf besteht, hat die Pisa-Studie gezeigt. Warum aber Lichtenberg in der bezirklichen Rangfolge auf Platz 4 auftaucht, können sich die Experten nicht erklären.

SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache fehlen geringfügig häufiger als ihre deutschen KlassenkameradInnen. „Damit lässt sich aber ihr überproportionaler Misserfolg nicht erklären“, sagte Böger. „Die Ursache dafür sind vielmehr die schlechten Deutschkenntnisse.“ Ein Viertel der SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache verlässt jährlich die Schule ohne Abschluss.

Bildungssenator Böger appellierte gestern an Eltern und Lehrer, hinzusehen und sich zu kümmern. Eine Arbeitsgruppe in seinem Haus erarbeitet derzeit Handreichungen für Schulen und Jugendhilfe, wie die Gefahr des Schulschwänzens zu erkennen und damit umzugehen ist. Außerdem forderte Böger, die Lernkultur an den Schulen müsse sich ändern. Mangelnde Erfolgserlebnisse und das Gefühl der SchülerInnen, nicht angenommen zu sein, müssten vermieden werden. „Wir müssen uns fragen, ob der Unterricht bei den Jugendlichen tatsächlich ankommt“, so Böger. Mehr Projektunterricht und Praxisbezug seien vonnöten. „Aber da gibt es in Berlin bereits gute Beispiele.“

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