■ Nigerias Sommertheater und Westafrikas Krise: Leere Versprechungen
Ist General Ibrahim Babangida noch Präsident Nigerias, oder ist er schon zurückgetreten? Schon die Schwierigkeit, die Frage zu beantworten, deutet auf den fortgeschrittenen Verfallszustand, in dem sich Westafrikas Großmacht befindet. Der 27. August 1993 sollte das Ende der nigerianischen Militärdiktatur und den Beginn einer zivilen, parlamentarischen Demokratie markieren. Aber er wird nur für alle Welt offenlegen, daß Afrikas Diktatoren nichts mehr lieben, als ihren Nachfolgern ein Nichts zu hinterlassen, das nur sie alleine verstehen. Während in Nigeria der neue, noch namenlose „Präsident“ einer machtlosen „Interimsregierung“ die Regierungstitel von der Militärführung entgegennimmt, werden Millionen Nigerianer in der Metropole Lagos ihren Generalstreik fortsetzen, werden respektierte Politiker und Literaten im Ausland vor einem Bürgerkrieg somalischen Ausmaßes warnen, werden die Indifferenz und der Zynismus von 90 Millionen Einwohnern zunehmen.
Nigeria in der Krise also. Na und? Schließlich ist bei vielen Ländern der Region nicht klar, wer eigentlich das Sagen hat: Diktatoren, die im eigenen Land kaum noch anerkannt werden, Präsidenten, die bei ausländischen Geldgebern um die Deckung des Haushaltsdefizits betteln müssen, einfache Bürger weitab der Städte, denen nichts so sehr ein Greuel ist wie plündernde und erpresserische Vertreter ihrer eigenen Regierungen. In Togo und der Zentralafrikanischen Republik werden derzeit „freie“ Präsidentschaftswahlen abgehalten, die aller Voraussicht nach nur die herrschenden Diktatoren Eyadema und Kolingba legitimieren sollen, und das heißt „Übergang zur Demokratie“ ebenso wie das Sommertheater in Nigeria.
Oder kommt doch noch ein Ende – ganz anders? Die Demokratiebewegungen West- und Zentralafrikas haben sich in den von Diktatoren kunstvoll geknüpften Netzen institutioneller Schattenspiele und formaler Prozeduren verstrickt, in der Hoffnung, nach immer endloseren Übergangsperioden irgendwann einen modernen Normalzustand zu erreichen. So wird die „Demokratisierung“, ähnlich wie einst die „Entwicklung“, zu einem eingefrorenen Prozeß, der immer fortschreitet und nirgends ankommt, der mit Illusionen von Wandel die tatsächlichen, stetigen Veränderungen der Gesellschaften verdeckt. Wozu das im Zusammenhang gescheiterter Entwicklungstheorien führen kann, haben die blutigen Bürgerkriege in den einst dem Staatssozialismus verschriebenen Ländern am Horn von Afrika gezeigt. Den bisher weitgehend von Krieg verschonten Ländern im Westen des Kontinents könnte dasselbe bevorstehen, genährt von enttäuschten Hoffnungen in politische Modelle, die den Völkern immer wieder versprochen werden und sich darin schon selbst genügen. Dominic Johnson
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