Leckereien aus Frankreich: Aromatisch, flaumig, kross
Sie sehen aus wie Gugelhupfe für die Puppenstube und sind nur echt aus der Kupferform: In Bordeaux sind Canelés eine Spezialität.
Ein kleines Vermögen lagert in der Edelstahlwanne, die der Patissier Lionel auf die Arbeitsfläche stellt. Ansehen tut man es ihrem Inhalt nicht: Abgenutzt, vom vielen Backen schwarz angelaufen sind die Formen; Förmchen vielmehr, als wolle man Gugelhupfe für eine Puppenstube backen. Lionel ist Patissier in Gradignan, einem Vorort von Bordeaux.
In den Bäckereiauslagen des gesamten Bordelais – wie die Region um Bordeaux heißt – finden sich neben den vertrauten Croissants, Pains au Chocolat und Tartes auch immer jene winzigen Küchlein: Canelés. Innen puddinghaft-weich, außen karamellisiert und knusprig, was vor allem an den Backförmchen liegt. Die sind traditionell aus Kupfer. Daher das Vermögen.
Der Teig sei simpel herzustellen, meint Lionel, „ein ganz einfacher pâte à crêpe“. Das Interesse überrascht ihn, „aber klar, komm gern vorbei, ab morgens um fünf bin ich da“. Canelés mache er eh dauernd, auch am späten Vormittag noch. Ratzfatz mischt er den Teig: siebt Mehl in eine riesige Rührschüssel, gibt Eier und noch mehr Eigelb dazu, Zucker und eine Mischung aus geschmolzener Butter und Milch.
Dass es die Canelés trotz ihrer Einfachheit zum süßen Aushängeschild der Region geschafft haben, dass es sie in bald jeder Bäckereiauslage, in Supermärkten und selbst bei McDonald’s gibt, liegt auch an ihrer Entstehung.
Die ist geschichtsträchtig, charmant und schnell erzählt, wobei stets etwas Stolz mitschwingt, erinnert sie doch an das andere kulinarische Exportgut der Region, den Wein, und an die Zeit, als Bordeaux einer der bedeutendsten Handelsplätze Mitteleuropas war.
Der Wein wurde früher mit Eiweiß geklärt, das Eigelb blieb übrig, also erfand man – in der Legende ist es eine Nonne – ein Gebäck, in dem sehr viel davon benötigt wird: das Canelé. In den Teig kamen außerdem Rum und Vanille. Zutaten, die mit dem Schiff im Hafen von Bordeaux anlandeten.
Natürlich hat das Canelé auch seine eigene Confrérie. Über hundert dieser kulinarischen Bruderschaften feiern und verteidigen in Frankreich gastronomische Traditionen.
Im Falle der Confrérie du Canelé de Bordeaux lauten die: Rund fünf Zentimeter hoch sollen die kleinen Kuchen sein, zylindrisch und gerillt (daher der Name, cannelure ist französisch für „Furche, Rinne“, auch die vertikalen Rillen antiker Säulen nennt man Kanneluren). Zudem müssen es traditionelle Backformen aus Kupfer sein, nicht die wesentlich günstigeren Silikonformen. Kupfer leitet die Wärme besonders gut, was der Krustenbildung hilft.
In der breiten Masse nimmt man es nicht so genau. Überhaupt: Es gibt so viele Rezepte, wie es Bäcker gibt, meint Lionel. Und so schmecken die Canelés – trotz kurzer Zutatenliste – überall anders. Im schlechtesten Fall sind sie süß-klebrig, wie zu kurz gebackener Kuchen, im besten Fall luftig und so kross, dass es beim Reinbeißen knackt. Und innen wartet das weiche, fast schmelzende Herz.
Der Ofen in Lionels Backstube piepst. Eigentlich muss man jetzt noch ein paar Stunden warten – damit die Canelés kalt und das Karamell fest werden. Die Verlockung aber ist groß – zu groß. Das Canelé schmeckt. Auch ohne Knacken.
Seit einigen Jahren wird das Gebäck auch im Ausland immer beliebter, zumindest in angesagten Großstadtvierteln. Nicht selten werden sie gentrifiziert – sprich: ohne Butter und Ei, in veganer Variante – zubereitet. Auch im Heimatland der Küchlein, wo Butter in 500-Gramm-Paketen verkauft wird, passt man sich an moderne Ernährungsgewohnheiten an.
Wie etwa bei Cassonade, direkt am historischen Glockenturm in der Innenstadt von Bordeaux gelegen. Im Schaufenster wachsen kleine Pflanzen in ausrangierten kupfernen Backformen, drinnen gibt es ausschließlich Canelés, diese aber in drei Varianten: klassisch, „alkoholfrei“ (also ohne Rum) und vegan (mit Kichererbsen und Pflanzenmilch).
Gegründet wurde das Unternehmen von zwei Bordelaiser Brüdern, Damien und Lucas, deren Oma schon immer Canelés backte. „Zu Weihnachten gab es sie zur Pyramide aufgestapelt“, erzählt Lucas, der jüngere der beiden. Zehn Stück davon zu verspeisen sei sein Rekord aus Kinderzeiten.
Bordeaux werde von zwei großen Ketten dominiert, sagt er, doch die dort gefertigten Canelés hätten geschmacklich nichts mit jenen der Oma zu tun. Also gründeten Lucas und Damien ihre eigene Canelé-Produktion. Nur Bio-Zutaten, beste Butter, keine Spielchen wie Schokoübergüsse. Hier respektiere man die Canelés.
Rund 2.000 Küchlein verkaufen die Brüder jeden Tag, gebacken direkt nebenan in einem kleinen Raum hinter einer verwitterten Holztür. Die Folge: Canelé-Überdruss. Damien isst gar keine mehr, Lucas nur noch selten. Obwohl sie fantastisch sind, selbst die veganen. Aromatisch. Flaumig. Kross.
Zum Mitnehmen gibt es sie in schön verzierten Blechdosen, und im Vergleich zu sonstigen französischen Backwaren eignen sich Canelés hervorragend als Souvenir. Sie schmecken auch nach einigen Tagen. „Einfach kurz in den Ofen schieben“, meint Lucas.
Die Kupferformen, um sie nachzubacken, wandern auch in den Koffer. Knapp zehn Euro kostet das Stück, sechs Formen müssen erstmal reichen. Ein kleines Vermögen.
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