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Lebensmittelskandal im GroßbritannienGammelfleisch aufgefrischt

Beim größten britischen Geflügelproduzenten bekamen alte Hühnchen neue Etiketten. Außerdem wurde die Herkunft der Tiere gefälscht.

Sie könnten so lecker sein Foto: dpa

Dublin taz | Das Hühnchen riecht nach Verwesung? Macht nichts, man klebt einfach ein neues Haltbarkeitsdatum drauf. Nach diesem Prinzip ist offenbar der größte britische Lieferant von Hühnern verfahren. Die 2 Sisters Food Group in den Midlands produziert ein Drittel aller Hühner, die in Großbritannien verzehrt werden. Sie versorgt alle großen Supermärkte wie Tesco, Sainsbury’s, Marks & Spencer, Aldi und Lidl.

Der Guardian und der Fernsehsender ITV haben nun einen verdeckt recherchierenden Reporter in die Fabrik in West Bromwich eingeschleust. Er arbeitete dort zwölf Tage und beobachtete, wie die Daten der Schlachtung, auf denen das Haltbarkeitsdatum basiert, geändert wurden. Auch die Herkunft der Tiere wurde gefälscht, so dass sie nicht zurückverfolgt werden können.

Darüber hinaus wurden auch kontaminierte Hühnchen, die auf den Boden gefallen und in Schlachtabfällen gelandet waren, weiter verwendet. Außerdem etikettierte man Hühner um, die eigentlich für Lidl bestimmt waren, und schickte sie an Tesco für deren exklusive und teure Willow-Farms-Marke.

20 Angestellte erklärten gegenüber dem Reporter, dass solche Praktiken gang und gäbe seien. Manchmal werde Ware, die von einem Supermarkt zurückgeschickt wurde, mit neuer Verpackung wieder verkauft. Oft werden alte und neue Hühnerfilets gemischt, doch das Haltbarkeitsdatum beziehe sich stets auf die frischeste Ware, nicht auf die älteste, wie vorgeschrieben. Sie selbst essen schon lange keine Supermarkt-Hühnchen mehr, sagten die Angestellten.

„Chicken King“ Eigentümer der 2 Sisters Food Group

Die 2 Sisters Food Group wurde 1993 von Ranjit Singh Boparan mit Hilfe eines Bankkredits gegründet. Heute herrscht der 51-Jährige über ein Imperium mit mehr als drei Milliarden Pfund Umsatz und 23.000 Beschäftigten. Neben den Hühnerfabriken gehören dem „Chicken King“, wie er genannt wird, auch eine Reihe anderer Unternehmen wie Goodfella’s Pizza und Fox’s Biscuits, die in jedem Supermarkt zu finden sind. Boparan hat sich außerdem vier Restaurantketten, darunter Harry Ramsden, zugelegt.

Der Unternehmer selbst lebt zurückgezogen und gibt keine Interviews. 2015 verlieh ihm die Nottingham Trent University einen Ehrendoktortitel für seine „herausragenden Verdienste um die Lebensmittelsicherheit“. Die Supermärkte, die Boparans Unternehmen mit den Gammelhühnern beliefert hat, haben angekündigt, eigene Untersuchungen anzustellen. Experten für Lebensmittelsicherheit sagen, die Veränderung der Haltbarkeitsdaten sei ein Verbrechen. Sie fordern eine öffentliche Untersuchung.

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4 Kommentare

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  • Naja, da die Menschen nun nicht gerade wie die Fliegen gestorben sind, scheint das Fleisch ja genießbar zu sein. Vielleicht sind die Vorschriften zu streng? Vielleicht tat es am Anfang einfach jemanden leid, das schöen Fleisch wegzuschmeißen? Stellt euch das doch mal vor: 1000 Hühnchen, ausgebrütet, gefüttert, geschlachtet, gerupft, verpackt, gekühlt - und dann weggeschmissen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Energiefuchs:

      Wenn dort die Herkunft der Hühner verschleiert wird, dann kann im Falle einer Seuche nicht einmal ermittelt werden, wo die Hühner hingeliefert wurden und eine Rückrufaktion gestartet werden.

      Wenn Leute an einer Seuche erkranken, kann nicht mehr ermittelt werden, woher das Fleisch kam.

      Von Gammelfleisch wird man vielleicht nicht gleich richtig krank, aber so eine Nacht mit Bauchweh und Durchfall ist unangenehm genug.

       

      Containern ist immer auf eigene Gefahr, auch beim organisierten Resteverwerten müssen gewisse Hygienestandards eingehalten werden.

      Joghurts sind ja auch nach dem Ablauf des Mindestverbrauchsdatums nicht automatisch schlecht, aber sie dürfen nicht mehr ohne entsprechenden Hinweis verkauft werden und der Genuss geht dann aud eigene Gefahr.

  • Endlich wieder Gammelfleisch!

    Wurde echt Zeit...

  • Das ist ganz sicher keine Sache, die urplötzlich stattgefunden hat, sondern die ganz allmählich und über einen längeren Zeitraum stattfand und bei der es wohl vor allem an passenden Argumenten fehlte, die Aufdeckung als pure Verschwörungstheorie hinzustellen.

     

    Es stellt sich deshalb erneut ausdrücklich nicht die Frage, ob es überhaupt möglich ist, bei derart vielen anzunehmenden Mitwissern etwas derart lange geheim zu halten, sondern nur die Frage, welche Maßnahmen bestimmte Branchen zukünftig ergreifen werden, damit derartiges nach Möglichkeit nicht mehr auffliegt. Die Blauäugigkeit der Massen alleine scheint da doch nicht das perfekte Hilfsmittel zu sein.