: Lebenslange Haft für Femizide
Vor zwei Jahren wurde in Italien die Studentin Giulia Cecchettin von ihrem Ex-Freund ermordet. Seitdem wird im Land gegen Gewalt an Frauen demonstriert. Nun reagieren die italienische Politik und Justiz
Aus Rom Michael Braun
Lebenslange Haftstrafe, das hat Italien jetzt gesetzlich verankert, wenn Frauen ermordet werden – weil sie Frauen sind. Am Dienstag hat Italiens Abgeordnetenhaus einstimmig den neuen Artikel 577 des Strafgesetzbuchs beschlossen. Wer eine Frau tötet, wegen ihres Geschlechts, aus Hass gegen „Frauen als solche“, zur Diskriminierung und zur Unterdrückung ihrer Freiheit, für den gibt es nur eine Strafe: lebenslange Haft.
Nicht zufällig fand das abschließende Votum im italienischen Parlament am 25. November statt: exakt am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Und ein Zeichen setzten die Abgeordneten aller Fraktionen von links bis rechts auch mit der einstimmigen Verabschiedung. Das Wort Femizid – im Italienischen femminicidio – kommt zwar in dem neuen Gesetzesartikel nicht vor, doch er legt detailliert die Tatbestände dar, die den Mord an einer Frau „in ihrer Eigenschaft als Frau“ zum Femizid machen.
Mehr noch: Anders als bei anderen Morden, für die der Artikel 575 des Strafgesetzbuches „eine Strafe nicht unter 21 Jahren Haft“ vorsieht, wird für Femizide das Standardstrafmaß auf lebenslänglich angehoben. Italiens Politik will so demonstrieren, dass sie den Kampf gegen die oft tödliche Gewalt an Frauen weiter verschärft.
Und reagiert damit auch auf Forderungen aus der Bevölkerung. Zehntausende Menschen gingen Mitte November in Rom auf die Straße, um Gewalt gegen Frauen anzuprangern. Am Dienstag darauf fanden dann in zahlreichen Städten Italiens Kundgebungen, Flashmobs und Demos statt. Italienische Medien tun das ihre, um öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen, berichten immer wieder auf Titelseiten und in Fernsehsendungen über Femizide, über die Taten, dann über die Prozesse.
Taten wie die des Studenten Filippo Turetta, der im November 2023 seine Ex-Freundin, die 22-jährige Giulia Cecchettin, mit zahlreichen Messerstichen getötet, ihre Leiche dann in einen Wald geschafft und sich nach Deutschland abgesetzt hatte. Giulia Cecchettin hatte nach der Trennung trotz seiner Selbstmorddrohungen den Kontakt zu Filippo Turetta nicht völlig abgebrochen. Auch an ihrem Todestag waren die beiden verabredet. Den Mord an seiner Ex-Freundin hatte Turetta akribisch vorbereitet.
Oder der Fall des Barkeepers Alessandro Impagnatiello, der im Mai 2023 seine 29-jährige schwangere Freundin Giulia Tramontano erstach. Die junge Immobilienmaklerin ermordete er, weil ihm ihre Schwangerschaft nicht passte und weil sie zudem eine Affäre von Alessandro Impagnatiello mit einer Arbeitskollegin entdeckt hatte.
Die Ermittler fanden heraus, dass er vor der Tat im Internet ausführlich zu Giftmorden recherchiert hatte. Der Tatbestand, dass Turetta ebenso wie Impagnatiello ihre Morde minutiös geplant hatten, also alles andere als Affekttäter waren, schockierte die italienische Öffentlichkeit genauso wie die Tatsache, dass beide Verbrechen in gutbürgerlichen Milieus geschahen. Beide Taten wurden von freundlichen, wohlerzogenen jungen Männern aus der Nachbarschaft begangen.
Die beiden Morde brachten in Italien landesweit die Debatte über notwendige Reaktionen auf Gewalt an Frauen erneut in Gang – mit der Folge, dass jetzt der gesonderte Straftatbestand Femizid eingeführt wurde. Er soll vor allem den immer wieder gefällten milden Urteilen einen Riegel vorschieben. So erhielt ein 32-jähriger Angeklagter in Florenz nur 16 Jahre Haft; das Gericht hielt ihm zugute, dass er nach dem Mord an seiner Freundin nicht geflohen war. Ein 35-Jähriger erhielt in Triest eine Strafe von nur 22 Jahren, das Gericht würdigte so auch die Tatsache, dass er aus dem Gefängnis heraus weiter für den Unterhalt seiner Kinder aufkam. In einem anderen Fall hatte die Staatsanwaltschaft in Modena zwar für einen 70-jährigen Angeklagten, der seine 47-jährige Frau und deren Tochter erschossen hatte, lebenslange Haft beantragt. Doch das Gericht billigte dem Angeklagten zu, seine Motive seien „menschlich verständlich“, da er sich „gedemütigt“ gefühlt und in einem „emotionalen Blackout“ zur Waffe gegriffen habe. Es verhängte deshalb 30 Jahre.
Eine Analyse von 370 Femizid-Urteilen zwischen 2010 und 2016 ergab, dass zwar Eifersucht als eines der Mordmotive angeführt, aber als strafmildernd gewertet wurde. Damit soll nun Schluss sein. Es wäre ein weiterer Fortschritt in einem Land, das erst im Jahr 1981 den spezifischen Ehrenmordparagrafen abgeschafft hatte, wonach Männer mit höchstens sieben Jahren Haft rechnen mussten, wenn sie die untreue Frau oder Verlobte töteten.
In Italien werden, genauso wie in Deutschland, unterschiedliche Zahlen für Femizide genannt. Das Statistische Amt Istat meldet für 2024 106 Femizide (bei insgesamt 116 Frauenmorden). Die Website femminicidioitalia.info dagegen spricht für 2024 von 40 Femiziden, das Innenministerium von 96 Frauenmorden „im familiären oder Beziehungsumfeld“. Doch nicht umsonst heißt das Frauennetzwerk, das zur Großdemonstration am letzten Samstag in Rom aufgerufen hatte, „Non una di meno“ – „nicht eine weniger“: Jenseits der Zählweise ist jeder dieser Morde einer zu viel.
So wichtig den Frauen in Italien das neue Femizid-Gesetz ist, so sehr könnte sich die Allparteienallianz bei seiner Verabschiedung als Eintagsfliege entpuppen.
Ebenfalls am 25. November stoppte der Senat vorerst ein weiteres Gesetzesvorhaben, auf das sich ursprünglich die rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und die linke Oppositionsführerin Elly Schlein geeinigt hatten. Es sah eine Freiheitsstrafe von 6 bis 12 Jahren für Personen vor, die sexuelle Handlungen an einer anderen Person ohne deren „freie und aktuelle Zustimmung“ vornahmen – auch, wenn sie ihren Konsens an einem bestimmten Punkt widerruft. Im letzten Moment jedoch machte die Rechte im Parlament einen Rückzieher. Matteo Salvinis Lega propagierte eine große Gefahr für unschuldige Männer. Frauen könnten einen solchen neuen Paragrafen für Rachefeldzüge nutzen.
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