Leaks aus Israels Militär: Netanjahus neuester Skandal
Aus dem Umfeld von Netanjahus Büro sollen während der Geiselverhandlungen mit der Hamas brisante Geheimdokumente an Medien weitergegeben worden sein. Eine Desinformationskampagne?
Laut dem Gericht ging den Verhaftungen eine gemeinsame Ermittlung der Polizei, der Geheimdienste und der Armee voraus. Grundlage sei ein „Verstoß gegen die nationale Sicherheit durch die illegale Weitergabe von klassifizierten Informationen“. Dadurch sei dem Kriegsziel, die noch immer rund 100 in Gaza gefangenen Geiseln zu befreien, geschadet worden. Auch der Vorwurf der Fälschung von Geheimdienstmaterial sowie die Beschäftigung von Personen ohne ausreichende Sicherheitsüberprüfung stehen im Raum.
Im Zentrum der Affäre stehen zwei Dokumente. In einem von der britischen Zeitung The Jewish Chronicle am 5. September veröffentlichten Text wurde unter Berufung auf ein Hamas-Papier berichtet: Der mittlerweile getötete Anführer der Gruppe, Jahia Sinwar, plane, über die ägyptische Grenze in den Iran zu fliehen und israelische Geiseln mitzunehmen. Einen Tag später erschien in der Bild ein Artikel unter Berufung auf ein Hamas-Strategiedokument, dem zufolge Sinwar nicht an einer schnellen Einigung mit Israel interessiert gewesen sei und stattdessen über die Geiseln weiterhin psychologischen Druck auf Israel habe ausüben wollen.
Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte mit Bezug auf den ersten Bericht, der Armee lägen keinerlei derartige Informationen vor. Israelische Medien berichten von einer Fälschung. The Jewish Chronicle hat den Artikel mittlerweile gelöscht und die Zusammenarbeit mit dem Autor beendet. Zum Bericht der Bild hatte die Armee bereits nach der Veröffentlichung mitgeteilt, das zitierte Papier sei vor rund fünf Monaten gefunden worden. Er stamme jedoch nicht von Sinwar oder der Hamas-Führung, sondern sei von rangniederen Mitgliedern der Palästinenserorganisation geschrieben worden.
Ein eigener Kommunikationskanal für Netanjahus Büro
Klar ist, wer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von den Berichten profitierte: Netanjahu. Sie untermauerten wesentliche Punkte, mit denen dieser nur Tage zuvor in einer Pressekonferenz weitere Forderungen Israels in den Verhandlungen mit der Hamas begründet hatte. Kritiker werfen Netanjahus Büro nun eine Desinformationskampagne vor, die dazu gedient haben soll, seine Regierung vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Deren rechtsextreme Mitglieder hatten wiederholt gewarnt, im Falle eines Waffenstillstands die Koalition zu verlassen.
Aufgrund der nur zum Teil aufgehobenen Nachrichtensperre sind viele Fakten in dem Fall noch schwer nachvollziehbar. Doch seit der Verdächtige am Sonntag als Eliezer Feldstein identifiziert wurde, kommen weitere Details ans Licht: Der 32-jährige Feldstein arbeitete laut israelischen Medienberichten in der Vergangenheit als Armeesprecher für das besetzte Westjordanland sowie für die Partei des rechtsreligiösen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Nach dem Hamas-Überfall vor einem Jahr wurde er Sprecher des Büros des Ministerpräsidenten.
Laut der Nachrichtenseite Ynet-News ist damit ein eigener Kommunikationskanal von Netanjahus Büro geschaffen worden, parallel zu dem etablierten Ansprechpartner für israelische Militärkorrespondenten im Verteidigungsministerium. Wegen einer gescheiterten Sicherheitsüberprüfung soll Feldstein jedoch nicht regulär angestellt gewesen sein. Bekannt sei aber, dass er zusammen mit Netanjahu auch an geheimen Treffen und Besuchen von sicherheitsrelevanten Einrichtungen teilgenommen habe.
Dass die Affäre Netanjahu selbst gefährlich werden könnte, halten trotz der Schwere der Vorwürfe zahlreiche Beobachter für unwahrscheinlich. Dem Regierungschef eine Verwicklung nachzuweisen – wie von Oppositionsführer Jair Lapid nun gefordert – dürfte kurzfristig kaum möglich sein. Netanjahus Büro ist indes bereits zum Angriff übergegangen: Während des Krieges seien zahlreiche klassifizierte Informationen auch von anderen Stellen durchgestochen worden, die Ermittlungen im Fall Feldstein seien „aggressiv und voreingenommen“.
Hinweis: Die Leaks stammen wohl aus dem Umfeld des Büros von Netanjahu, nicht unbedingt aus dem Büro selbst. Wir haben das korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste