: Lautes Pochen an Europas Türen
■ Jiri Dienstbier, Ex-Außenminister der CSFR, fordert Europas Öffnung nach Osten
„Wenn Europa seine Probleme nicht in globalem Maßstab lösen will, wird es bald so enden, wie es das geographisch verdient: als kleine Halbinsel vor Asien.“ Jiri Dienstbier, ehemaliger Außenminister der Tschechoslowakei unter dem Präsidenten Vaclav Havel, ging mit den vorsichtigen Eurokraten der westlichen Welt hart ins Gericht. Das östliche Europa fordere dringend die Aufnahme in den europäischen Club, meinte Dienstbier bei einer Diskussionsveranstaltung am Montag abend zum Thema „Ein neues Europa: Der Westen und die Staaten Zentraleuropas“ in der Stadtwaage.
„Im Kalten Krieg hat der Eiserne Vorhang uns vor den Problemen eines großen Europas geschützt. Jetzt haben wir die Probleme und müssen damit umgehen.“ Dienstbier forderte eine Politik von EU und NATO, um die Staaten Zentral- und Osteuropas in die europäische Gemeinschaft aufzunehmen. „Alles andere wird ökologisch und ökonomisch auf lange Sicht wesentlich teurer, weil Konflikte durch Rüstung verhindert werden sollen.“
Die beiden Diskussionspartner, der Bremer Wissenschaftler Dieter Senghaas und der Journalist Christoph Bertram von der ZEIT waren da wesentlich vorsichtiger, ob man dem lauten Pochen an den Türen Europas nachgeben solle. Erst mal müsse geklärt werden, ob die europäische Gemeinschaft durch eine Öffnung nach Osten „eher Stabilität exportiert oder Instabilität importiert“. Die Vorstellung eines „europäischen Hauses“, eines festen, allumfassenden Systems, sei ohnehin ein Relikt des Kalten Krieges, sagte Bertram. Und wie stabil sei überhaupt die EU allein schon in ihrer jetzigen Form, fragte Senghaas, möglicherweise drifte auch Westeuropa auseinander und wachse nicht etwa immer näher zusammen. Auf jeden Fall müßten in Europa die Demokratien zusammenwachsen, um Interessenkonflikte friedlich zu regeln.
„Die erste Chance dazu haben wir bei der Auflösung der Tschechoslowakei schon vertan,“ meinte Dienstbier. „Es ist ein schwacher Trost, daß wir uns dabei nicht umgebracht haben.“ Eine neue europäische Gemeinschaft solle frei für alle Länder sein, die bestimmte Werte mitbrächten: „Es sollte keine künstlichen Diskussionen geben, wer dazu gehört und wer nicht.“ Ein Europa, das auf lange Sicht die Länder im Osten ausklammere, sagte der ehemalige Dissident und Außenminister, „so ein Typ Europa macht mir keinen Spaß.“ bpo
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