Lauschangriff in Polen: „Den Amerikanern einen geblasen“

Politiker und Geschäftsleute wurden jahrelang illegal abgehört. Die Staatsanwaltschaft und der Geheimdienst suchen fieberhaft nach den Tätern.

Polens Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet äußert sich auf einer Pressekonferenz zur Durchsuchung der Redaktionsräume von „Wprost“. Bild: ap

WARSCHAU taz | Die Empörung ist der Schadenfreude gewichen. Auf einer Titelbild-Fotomontage grinst Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der polnischen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), hämisch und bedauert scheinheilig die Minister seines Landes: „Hat Euch jemand abgehört? Das tut mir aber leid...“. Natürlich forderte er sofort nach Bekanntwerden der ersten illegal abgehörten Kneipengespräche zwischen hochrangigen Staatsbeamten den Rücktritt der gesamten polnischen Regierung. Doch der liberalkonservative Premier Donald Tusk konterte, dass er sich nicht erpressen lasse und auf die Publikation aller illegalen Aufnahmen warte. Es sind 900 Stunden.

Wie schon vor einer Woche publizierte die Illustrierte Wprost, der die illegal aufgenommenen Kneipengespräche von Politikern, Geschäftsleuten, hohen Beamten und eventuell auch ausländischen Politikern zugespielt wurden, ein paar besonders saftige Zitate vor dem eigentlichen Erscheinungstag des Blattes. So machten am Montag sämtliche Medien Polens mit dem Thema auf, zogen es allerdings zumeist schon ins Lächerliche. So spekuliert die linksliberale Gazeta Wyborcza über eine „Kellner-Verschwörung“, die „ganz Polen erschüttert“.

Das Springer-Blatt Fakt freut sich über ein saftiges Zitat des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski: „Später kann man PiS mit einem Untersuchungsausschuss fertigmachen“. Superexpress, das zweite große Boulevardblatt Polens, zeigt Sikorski mit breitem Honigkuchenpferd-Grinsen und zitiert ihn nach der illegalen Aufnahme: „Wir haben den Amis einen geblasen.“ Die konservative Rzeczpospolita hingegen bedauert: „Bis zu den nächsten Wahlen ist es weit“.

Zwar ist die Forderung der Opposition nach vorgezogenen Neuwahlen auch nach den neuesten Wprost-Enthüllungen noch aktuell, doch es sieht nicht danach aus, als würden Premier Tusk und seine Regierung wegen ein paar illegal abgehörten Kneipengesprächen die Segel streichen wollen. Sicher ist es peinlich, wenn nun Millionen Menschen lesen und im Internet auch hören können, wie vulgär sich der polnische Notenbankchef oder auch manch ein Politiker in privaten Gesprächen ausdrückt. Doch bislang konnten in den publizierten Aufnahmen weder Geheimnisverrat, noch Korruption nachgewiesen werden.

Verlierer. Totale Verlierer

Viele Polen waren verwundert, dass sich der als USA-freundlich geltende Außenminister Sikorski im Gespräch mit seinem alten Freund, dem Ex-Finanzminister Jacek Rostowski, so derb-kritisch äußerte: „Das polnisch-amerikanische Bündnis ist wertlos, sogar schädlich, weil es den Polen ein falsches Gefühl der Sicherheit gibt“, so Sikorski laut den Aufnahmen. „Totaler Bullshit.“ „Wir zerstreiten uns mit den Deutschen und den Russen, und wir tun so, als sei alles super, weil wir den Amerikanern einen geblasen haben. Verlierer. Totale Verlierer.“

Während sich der polnische Historiker und Präsidentenberater Tomasz Nalecz entsetzt zeigte, nahm es Steve Mull, der amerikanische Botschafter in Polen, gelassen. Auf Twitter ließ er wissen: „Ich werden den angeblichen Inhalt von privaten Gesprächen nicht kommentieren. Soweit unser Bündnis betroffen ist, so denke ich, dass es stark ist.“

Noch immer ist unklar, wer hinter dem illegalen Lauschangriff steckt und zu welchem Zweck die Politiker und Geschäftsleute über einen längeren Zeitraum abgehört wurden. Sollten sie erpresst werden? Oder sollte der polnische Staat durch die Publikation der Gesprächsmitschnitte destabilisiert werden? Dem Fernsender TVN24 sagte Außenminister Sikorski, dass er von organisierter Kriminalität ausgehe und hoffe, dass die Täter baldmöglichst gefasst und bestraft würden.

Die Illustrierte Wprost stilisiert sich seit dem Besuch von Staatsanwälten und Geheimdienstoffizieren in den Redaktionsräumen als Verteidigerin der Pressefreiheit. Die neueste Nummer trägt denn auch auf dem Titelbild die bei der berühmten Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung Solidarnosc abgekupferte Fanfare „Freiheit des Wortes“. Die Kioskfrau an der Warschauer Unabhängigkeitsallee wirft die Zeitschrift verächtlich auf die Lade und schnaubt nur: „Verräter!“

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