: Lau lernen
LAU 9: Die Guten lernen zu wenig dazu, Bildung hat zu viele soziale Barrieren und Jungs haben die Pubertät ■ Von Sandra Wilsdorf
Die Masse trifft sich in der Mitte: Die ist das Ergebnis des dritten Teils der Lernausgangslagenuntersuchung, der sogenannten LAU 9. Dieselben rund 13.000 Hamburger SchülerInnen, deren Leistungen schon in der fünften und in der siebenten Klasse wissenschaftlich untersucht wurden, gehen nun in neunte Klassen und wurden erneut getestet. Gestern stellten Professor Rainer Lehmann von der Berliner Humboldt-Universität und Schulsenator Rudolf Lange (FDP) die Ergebnisse vor.
Danach werden die Guten nicht in gleicher Weise besser wie die Schlechten. Am geringsten sind die Lernzuwächse an Gymnasien und da besonders gering bei denen, die als gutsituiert gelten und eine Schülerschaft aus gutem Hause haben. „Die verstehen offenbar nicht, mit diesem Pfund zu wuchern“, sagt Lehmann.
Außerdem belegt LAU 9 für Hamburg, was PISA schon für ganz Deutschland erbracht hat: Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern haben wesentlich geringere Chancen auf einen hohen Schulabschluss als Kinder gebildeter Eltern. Wie schon die Vorgänger-LAUs gezeigt haben, ist es bei gleicher Fachleistung für ein Akademiker-Kind weit wahrscheinlicher, für das Gymnasium empfohlen zu werden, als für Kinder, deren Eltern keinen Schulabschluss haben. „Einen Skandal“ nennt Lehmann das und hat auch in LAU 9 festgestellt, „dass die Durchlässigkeit des Schulsys-tems nicht zum Abbau der sozialen Disparitäten genutzt wird“.
Zwar besteht die Möglichkeit, von der Realschule auf das Gymnasium zu wechseln oder auf der Gesamtschule von Kurs II nach Kurs I, „aber das wird zu wenig genutzt“. Viele Schüler werden offenbar nicht entsprechend ihrer Potenziale gefördert: So haben beispielsweise 44 Prozent der Realschüler ein „typisch gymnasiales Niveau“.
Sorgen bereiten den Wissen-schaftler die Jungen. Denn die knicken leistungsmäßig in LAU 9 in allen Schulformen ab. „Das Problem sind deutsche Jungs, die offenbar ziemlich intelligent sind, es aber uncool finden zu lernen“, sagt Lehmann.
Jeder dritte Hamburger Neunt-klässler hat einen Migrationshin-tergrund, auf Gymnasien hat jeder vierte Schüler ein nicht-deutsches Elternteil oder kommt aus einem an-deren Land, aber insgesamt kon-zentrieren sich diese Jugendlichen auf „den unteren Differenzierungs-niveaus“, hat Lehmann festgestellt. Das mag am Sprachverständnis lie-gen, das in der achten und neunten Klassen nicht weiter zu- und auf Gymnasien sogar abnimmt.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert als Konsequenz der Ergebnisse „dringend Konzepte, die die sozio-kulturellen Barrieren aufbrechen“ und stellt sich dafür ein „integrier-tes Ganztagsschulwesen“ vor.
Senator Lange wollte gestern noch keine konkreten Schlüsse aus der Studie ziehen, zeigte sich aber „erschüttert darüber, dass so viele Kinder, speziell an Gymnasien, un-terfordert sind“. Er wolle ein „neue Kultur des Lernens und Lehrens“ etablieren. Konkretes demnächst.
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