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Lars von Triers neuer Film "Melancholia"Chronik eines Scheiterns

Apokalyptische Albtraumbilder in Hochglanzoptik. "Melancholia" steckt voller antimoderner Impulse, mit der depressiven Hauptfigur hat Lars von Trier ein Alter Ego geschaffen.

Depressive Braut: Justine (Kirsten Dunst). Bild: Christian Geisnaes/Concorde Filmverleih

Am Anfang, nach dem Präludium, gibt es etwas zu lachen: Das Brautpaar, Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgård, bekannt als sexy Vampir aus der HBO-Serie "True Blood"), sitzt auf der Rückbank einer Stretchlimousine. Die Kamera schwenkt zwischen zwei glücklichen Gesichtern hin und her.

Doch der Wagen gerät ins Stocken. Zu dem Landsitz, in dem die Hochzeitsfeier stattfinden soll, führt ein einspuriger Kiesweg, er beschreibt eine Kurve, und am Rand des Weges stehen ein paar Basaltsteine. Der Chauffeur käme nur vorwärts, wenn er die makellos weiße Karosserie zerbeulte. Er setzt zurück, versucht es erneut, kein Durchkommen. Der Bräutigam nimmt am Steuer Platz, danach die Braut, es hat keinen Sinn, sie stecken fest, ihre gute Laune verlieren sie deshalb nicht.

In der nächsten Sequenz dämmert es bereits; man sieht in einer Totalen, wie Justine und Michael zu Fuß die Auffahrt zum Gutshaus hinaufkommen, sie trägt ihre hohen Schuhe in der Hand. Claire, die Schwester der Braut (Charlotte Gainsbourg), empfängt die beiden mit hängenden Mundwinkeln und ausgiebigem Tadel.

Mehr gibt es nicht zu lachen in Lars von Triers neuem Film "Melancholia". Die Hochzeitsfeier auf dem herrschaftlichen Anwesen läuft aus dem Ruder, denn Justine, die Frau mit dem de Sadeschen Namen, leidet an einer so schweren Depression, dass sie ihr eigenes Fest hintertreibt. Sie nimmt ein Bad, während die Gäste auf den Hauptgang warten, sie lässt ihren Ehemann mit einer Erektion sitzen und hat ein, zwei Stunden später Sex mit einem jungen, pickeligen Arbeitskollegen auf der grünen Wiese des Golfplatzes.

Hübsch anzusehen ist, wie der von Udo Kier gespielte Hochzeitsplaner daran verzweifelt, dass nichts wie abgesprochen läuft. Sobald Justine in sein Gesichtsfeld tritt, hält er sich schützend die Hand vor Augen, um den Grund seiner Not nicht zu sehen.

Drei Monde und ein versinkendes Pferd

Doch da ist noch etwas anderes. Ein bisher unbekannter Planet steuert auf die Erde zu. Die Astronomen sagen, das Gestirn namens Melancholia fliege vorbei, aber Lars von Trier legt es auf Kollision an. Und so wächst sich die Chronik eines scheiternden Familienfests zu einem apokalyptischen Szenario aus.

Im zweiten Teil seines Films knüpft der Regisseur an die Bilder des Präludiums an, an dunkel dräuende, mit Wagners "Tristan und Isolde" unterlegte Aufnahmen. Der nächtliche Park wird von drei Monden beschienen, in Zeitlupe versinkt ein prächtiger Rappe, als wäre der Rasen ein Sumpf, Justine treibt blumenumkränzt einen Bach entlang wie die lebensmüde Ophelia. In einer anderen Einstellung winden sich Schlingpflanzen um ihre Füße, sodass sie nicht von der Stelle kommt. Motive wie aus einem Albtraum, aufgenommen in einer Vogue-kompatiblen Hochglanzoptik.

Justine mit Bräutigam (Alexander Skarsgård). Bild: Christian Geisnaes/Concorde Filmverleih

Ohne Scheu spricht Lars von Trier darüber, dass er selbst an einer schweren Depression litt, während er seinen vorangegangenen Film "Antichrist" drehte. Jedem, der ihn danach fragt, und jedem, der es gar nicht so genau wissen will, erzählt er von seiner dominanten Mutter, von Zwangszuständen, vom Trinken, von Medikamenten und schließlich auch von einer Familienlüge. Von Trier – so stellt er selbst es dar – wuchs in der Annahme auf, der Mann seiner Mutter, ein jüdischer Däne, sei sein Vater; auf ihrem Totenbett jedoch eröffnete ihm seine Mutter, dass nicht ihr Ehemann, sondern ein deutscher Komponist sein leiblicher Vater sei.

Ein Geschundener

Aus all diesen Einzelteilen setzt von Trier in der Öffentlichkeit seine Künstlerpersönlichkeit zusammen. Dass diese Künstlerpersönlichkeit Produkt einer Inszenierung ist, heißt nicht, dass sie unglaubwürdig oder gar verwerflich wäre; man sollte jedoch nicht aus den Augen verlieren, wie gemein der von Panikzuständen geschundene Filmemacher werden kann, etwa dann, wenn er während einer Pressekonferenz miese, sexistische Witze auf Kosten der neben ihm sitzenden Charlotte Gainsbourg macht.

Und nicht jeder Verstoß gegen die Konventionen öffentlicher Rede ist automatisch produktiv. Wenn von Trier verlauten lässt, sein Film "Dogville" habe den Attentäter von Oslo angestiftet, muss man schon viel Interpretationsgeschick aufbieten, um im schieren Größenwahn irgendeine Erkenntnis auszumachen. Und wenn sich Lars von Trier, durchaus verschmitzt und charmant, als Otto Weininger des 21. Jahrhunderts geriert, kann das mächtig nerven.

In Cannes wurde er im Mai zur Persona non grata erklärt, nachdem er sich auf einer Pressekonferenz mit einer Menge Naziquark um Kopf und Kragen geredet hatte. Ihn selbst freuts, wie er kürzlich in einem Gespräch in der Zeitschrift Spex sagte; aber es zeigt sich darin eben auch, wie tautologisch sein Diskurs-Trickstertum ist. Am Ende gefällt er damit vor allem sich selbst.

In der depressiven Justine hat er sich nun ein Alter Ego geschaffen. Während in "Melancholia" die geistig Gesunden umso schneller die Contenance verlieren, je näher der fremde Planet der Erde kommt, blüht Justine, die Kranke, auf: Nachts badet sie nackt im fahlen Schein des Planeten, dem verstörten Neffen errichtet sie eine magische Schutzkammer, der panischen Schwester redet sie gut zu, während faustgroße Hagelkörner vom Himmel fallen.

Indem von Trier die Depression seiner Heldin in den Weltuntergang überführt, externalisiert er, wie schon in "Antichrist", ein inneres Drama. Das tut er freilich zu einem Zeitpunkt, in dem apokalyptische Fantasien en vogue sind. Im Kino wird die Geschichte von den letzten Tagen der Welt zurzeit recht oft erzählt, besonders düster in Bela Tarrs "The Turin Horse", aber auch in Jeff Nichols "Take Shelter", in Abel Ferraras "4:44 Last Day on Earth" oder in Tim Fehlbaums "Hell".

Evangelikale Christen sind sich ohnehin sicher, dass die Apokalypse bevorsteht; der in den USA populäre Radioprediger und Buchautor Harold Camping etwa kündigte für den 21. Mai 2011 die Entrückung an, den Tag mithin, an dem die Gerechten gen Himmel fahren, während alle anderen bis zum 21. Oktober 2011, dem Tag des Weltuntergangs, auf Erden ausharren müssen und derweil gepeinigt werden. Etwas mehr Zeit bleibt uns, wenn man selbst ernannten Maya-Experten glauben möchte, die den Weltuntergang aus dem Umstand ablesen, dass der Maya-Kalender angeblich am 21. Dezember 2012 endet.

Es ist unübersehbar, dass sich im Glauben an die Apokalypse antimoderne, antiaufklärerische Impulse behaupten. Wenn die Erde untergeht, ist politisches Handeln obsolet, sind die Tugenden des Miteinanderredens und des Lösens von Konflikten Makulatur. Das passt gut zu von Triers Oeuvre, insofern darin immer wieder die Affekte des 19. Jahrhunderts wachgekitzelt und mit einem bewundernswert vielgestaltigen Repertoire filmischer Formen in Szene gesetzt werden.

In "Antichrist" war es die Annahme, dass Frauen mit der Natur im Bunde stehen, in "Manderley" die These, dass Sklaven am glücklichsten sind, solange sie versklavt bleiben, in "Dancer in the Dark" und "Breaking the Waves" die Vorstellung sich spektakulär aufopfernder Frauen. Wem immer der Austritt des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit etwas bedeutet, dem macht Lars von Trier einen dicken Strich durch die Rechnung.

Dafür wird der dänische Filmemacher gerade unter Leuten bewundert, die sich als progressiv verstehen. Ein wiederkehrendes Muster in der Rezeption seiner Filme ist, dass man betont, sich auf diesen reaktionären Quatsch eigentlich gar nicht einlassen zu wollen, dann aber von der Virtuosität der kinematografischen Mittel überwältigt wird. In dieser Perspektive ist das Kino Lars von Triers der Ort, an dem sich all die antimodernen Regungen austoben dürfen, die wir sonst verdrängen, ist die Kunst Schauplatz für all das, was zu unserer Existenz gehört, was aber unseren emanzipatorischen Absichten im Weg steht.

"Chaos herrscht"

Sobald man genau hinschaut, wird es sowieso komplizierter, da von Trier in seine Fiktionen Fallen einbaut und seine eigenen Spektakel durchkreuzt. Im heiligen Ernst des Hexensabbats von "Antichrist" finden sich herrlich komische Szenen, etwa wenn ein sprachbegabter Fuchs den Satz "Chaos herrscht" in die Kamera zischt. Und sein fragwürdiges Frauenbild ist nicht für bare Münze zu nehmen, immerhin schafft er sich selbst immer wieder ein weibliches Alter Ego in seinen Filmen. Lars von Triers Trickstertum macht vor dem eigenen Werk nicht Halt.

Seine Selbstinszenierungen wie seine Filme sind Kippfiguren. Mal nerven sie, mal sind sie produktiv, mal treffen sie wunde Punkte, mal trifft er sich selbst. Mich hat "Melancholia" mit all dem Wagner-Bombast und den gelackten Bildern der Apokalypse eher genervt. Das wiederum mag mehr an mir als an dem Film liegen, daran, dass ich mich gegen saturnische Affekte schütze, sobald sie mir im Kino begegnen.

Anders gesagt: Lieber als einer alles versengenden Planetenkollision sehe ich zwei Menschen zu, die in einem viel zu großen Auto sitzen, die Kurve nicht kriegen, aussteigen und kichernd zu Fuß weitergehen.

"Melancholia". Regie: Lars von Trier. Mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Alexander Skarsgard, Dänemark/Schweden/Frankreich/Deutschland 2011, 136 Min.

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19 Kommentare

 / 
  • JF
    Jan Fickel

    Ich verstehe die Debatte hier nicht, vielleicht weil ich auch Unterschicht bin, ok. Ich finde die obige Filmkritik jedenfalls gut, danke! Und ich mag auch sehr gerne erwachsene, wahrhaftige Filme, bei denen macher vielleicht sagt, sie seien deprimierend, z.B. Wolken ziehn vorüber von Kaurismäki, den erwähnten Turin Horse, Nothing Personal, 3 Seasons, The Hours, oder Somewhere von Sofia Coppola, aber es muss irgendeine Form von Hoffnung darin geben, damit meine ich keinen billigen Trost. Filme die in der Depression stecken bleiben und sich um sich selbst drehen, geben mir nichts. Und Filme mit Humor finde ich auch gut, das bedeutet doch nicht Flachheit. Jedenfalls die Schlümpfe und Til Schweiger werde ich mir nicht ansehen.

  • A
    AND

    @@AND

     

    " es Es gibt Sackgassen ohne Ausweg und Notausgang, wir Menschen, jeder einzelne von uns, ist widersprüchlich, verletzlich, ausgeliefert, zerstörbar."

    ja, das gibt es. subjektiv gefühlt in dem moment. das nennt man trauma.

    und ja, daraus kann es einen ausweg geben. der dreh- und angelpunkt ist das subkjektive, ich sags nochmal. und das bedeutet in keinem fall, dass ich das verniedlichen will. im gegenteil. es geht da um missbrauch, gewalt, vergewaltigung, mord. alle kategorien und teilweise über jahre und jahrzehnte erlitten. trotz allem, trotz dieser teilweise desaströsen schrecklichkeiten gibt es den ausweg. wie lange dieser potentielle weg für die einzelne person ist und ob sie ihn zuende gehen kann, ist eben wieder individuell und hängt von vielen faktoren ab. ich habe nicht gesagt, dass es leicht sei.

     

    und ihr argument: dinge seien so schlimm, dass sie nicht heilbar seien. und wenn dinge geheilt seien, dann könnten sie nicht wirklich schlimm gewesen sein. das ist das konservativste (im sinne von nicht-offen sein, am alten festhalten) und deshalb noch lange nicht das zutreffendste: es kann nicht sein, was nicht sein darf?! ihre (subjektive) erfahrung wird durch ihre (subjektive) voreingenommenheit produziert. diese postulieren sie dann als objektiv geltendende tatsache.

     

    das ist für mich unseriös, unlogisch und vor allem: unrichtig, da ich dinge erlebt habe, von denen sie behaupten, sie würden nicht existieren: heilung von schweren traumata.bei mir selbst und bei anderen. ich kann verstehen, dass sie offensichtlich wütend auf mich sind, wenn sie mich in zynischer weise mit u.a. "glückliches menschenkind" titulieren. jedoch ist zynismus kein zeichen für offene reflektion, sondern für eine emotionale abwehrhaltung, die durch beleidigung versucht, die andere seite einzuschüchtern und abzuwerten. und sich selbst aufzuwerten. so sehr sie versuchen zu argumentieren, sie stünden auf der sachlichen und logischen seite, so sehr beweisen sie mit dem zynismus das gegenteil.

     

    vielleicht ist dies ja ein anstoss. was, wenn es wirklich das gäbe, von dem sie behaupten, es würde nicht existieren. wenn es das auch für sie gäbe?

    • SS
      Selbstgerechtigkeit stinkt
      @AND:

      Wie kann man nur so vermessen sein, die eigene Traumabewältigung mit der eines anderen zu vergleichen? Wie kommen Sie darauf, dass alle Menschen "schwere Traumata" verarbeiten können bzw. Heilung erfahren können? Menschen die Suizid verüben sind dann die Oberloser, die Drückeberger, unreifen Egomanen? Sie halten sich sicher für einen großen Menschenfreund....

  • A
    @and

    Was sind Sie doch für ein reifer Mensch! Ich bin hingerissen! Aber leider doch nicht reif genug oder lebenserfahren oder ehrlich oder mutig genug, um zu begreifen, dass es Formen, Ausmaße von Verwüstungen gibt, die eben nichts als verbrannte Erde hinterlassen. Wollen Sie Ihre Familiengeschichte mit der v. Triers vergleichen? Subjektiv ist alles, das müssen Sie hier niemanden erklären. Dass Sie es selbstgerechterweise doch tun, macht aber klar worum es Ihnen eigentlich geht. Sie wollen das Kino als Erziehungsanstalt. Nun, ich denke entgegen Ihrer eigenen Einschätzung, dass sowohl Sie als auch die Autorin doch noch etwas von v. Trier lernen können: Es gibt Sackgassen ohne Ausweg und Notausgang, wir Menschen, jeder einzelne von uns, ist widersprüchlich, verletzlich, ausgeliefert, zerstörbar. Kunst braucht keinen Auftrag, schon gar nicht den, "Lösungen" anzubieten. Nicht mal einem Tarkowski wäre es eingefallen, nach pädagogischen Maßgaben zu arbeiten - Gott sei Dank!

     

    Imre Kertesz hat einmal gesagt, die verheerenden Folgen des Holocaust seien bis heute nicht absehbar. Weit her geholt und unverständlich? Für Sie vielleicht. Sie glückliches Menschenkind!

  • A
    and

    Vielen Dank für den Artikel! Ich fand ihn sehr gut. Zum Vorwurf, er sei nicht objektiv, kann ich nur sagen: sie gibt wenigstens nicht vor, objektiv zu sein. Und alle, die einen objektiven Artikel verlangen, haben nicht verstanden, dass wir alle nur Subjekte sind. Gott ist tot und Objektivität auch.

    Ich habe Lars von Trier für einige Zeit für einen der besten kontemporären Regisseure gehalten. Aber ich finde, seit "Dancer in the Dark" ist er auf dem absteigenden Ast, "Dogville" fand ich noch schlechter und seit "The boss of it all" ist mir total die Lust vergangen, mich weiter seinem zwar hochprofessionellen, hochbegabten, hochverunsicherten und aber inzwischen leider hochprätentiösen flmgefiedel zuzusehen und zuzuhören.

    Mein von Trier-Problem hat auch mit dem Alter zu tun: er ist älter geworden, ich auch. Ich habe damit auch andere Ansprüche und ich erwarte auch und gerade von so einem an sich hochreflektiven und hochtalentierten und inzwischen auch erfahrenen Regisseur auch Filme mit und für reifere Einichten als Anfang Dreissig. Diese Reifung steckt nun seit Anfang Vierzig bei von Trier in der Sackgasse und dreht sich immer verzweifelter um sich selbst.

    Um ebenso persönlich zu werden wie die Autorin, sehe ich das Hauptproblem in den NICHT GELÖSTEN PSYCHISCHEN PROBLEMEN von Lars von Trier. (Für alle objektiv-Fans: das hat auch er selbst in einem Interview mit dem Tipp vor Jahren selbst so gesagt.)

    Eben deshalb stimmt es nicht, wenn hier viele sagen, von Trier wäre total hochwertig und alle, die seine Filme eben nicht hochwertig finden (wie die Autorin), würden es eben nicht kapieren.

    Es ist genau das Gegenteil: es ist eben nicht hochwertig. Das können aber nur Menschen sehen, die ein größeres Bild haben, an das die Filme eben (nicht mehr) rankommen. Die anderen, die denken, die Filme seien schön das größte denken, das, weil sie nicht größer/weiter/umfassender denken können als die Filme sind.

    Nein, dafür gibt es keine Beweise (die sind out wie Objektivität) aber es gibt starke Hinweise.

    Erster Hinweis: Lars von Trier sieht das selbst genauso. (s. Interviews).

    Zweiter Hinweis: wenn er es selbst durchdrungen hätte, das Rätsel gelöst hätte, hätte er es bei sich selbst gelöst. Er wäre raus aus dem totalen Gefangensein in seiner psychischen Problemkonstellation. Ist er aber nicht. (s. aktuelle Ereignisse der letzten Zeit und Interviews, als er noch welche gegeben hat.) Dritter Hinweis: Filminhalte. Sie kleben seit ca. 15 Jahren immer am gleichen Punkt: dem Dualismus des an-der-Fassade-gesund-aber-hinter-der Fassade-umso-kranker-deshalb-schlecht (Mehrheit der Gesellschaft, dumm und doof, unterdrückt die tolle Minderheitenheldin) und dem an-der-Fassade-krank-aber-hinter-der-Fassade-eigentlich-gesünder/liebesfähiger/etc-deshalb-gut (Minderheit, HeldIn, kreativ, toll, wird von der dummen Gesellschaft unterdrückt).

     

    Weil er dieses Problem nicht gelöst hat, weil er seine eigenen Probleme nicht gelöst hat, deshalb kann er zur Lösung auch nichts sagen. Er kennt sie nicht. Da bleibt nur noch Wiederholung. Oder Aufhören, aber das ist wohl keine Option für ihn, den großen Manipulator (s. Interviews mit allen, die mit ihm gearbeitet haben. Wer arbeitet mehr als einmal mit ihm? Charlotte Gainsbourg, die von ihrem Vater sexuell-emotional missbraucht wurde ...). Wieso der Bombast? Das ist weniger nackt. Denn ohne wäre noch schneller offensichtlich, dass da nichts Neues, nichts Weiteres, nichts Substanzielles, nichts wirklich Reifes ist. Oder/und einfach nur, weil Bombast etwas anders ist als die Direktheit, die früher seine Filme ausgemacht hat. Dann fällt auch weniger auf, dass es inhaltliche Sackgasse und Wiederholung ist.

     

     

    (weitere persönliche Notiz: ich habe kein Problem mit dem Saturn, im Gegenteil, er ist mein stärkster Planet. Und genau deshalb mochte ich seine frühen Filme so sehr und genau deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn er aus der Sackgasse herauskäme und neue, andere, wundervoll reife, tiefe Filme machen würde. Er könnte, was nicht viele können. Ich habe noch Hoffnung ...)

  • C
    Chris

    ich halte aber der Autorin zugute, dass wenn man selbst von dem Problem betroffen ist, manchmal das Problem nicht erkennt...

  • C
    Chris

    seit wann ist Wagnermusik Bombast? Wer schon nicht komplexe Musik versteht sollte es erst recht nicht versuchen komplexe Filme zu analysieren...

  • DM
    des menschen kern

    "Anders gesagt: Lieber als einer alles versengenden Planetenkollision sehe ich zwei Menschen zu, die in einem viel zu großen Auto sitzen, die Kurve nicht kriegen, aussteigen und kichernd zu Fuß weitergehen. "

     

    dann schauen sie sich doch zukünftig bloß solche filme an.

     

    lars von trier behandelt in seinen filmen menschliche abgründe. schade, dass sie sich ihnen nicht öffnen können, ich halte sie für lehrreich. leider interessieren sie, liebe autorin, sich mehr für den regisseur und ihre eigene haltung zu ihm. das interessiert mich, als filmkritikleserin aber nicht. schon gar nicht ihre persönliche einschätzung seiner erkrankung. ich frage mich vielmehr mit von trier: wie in einer beschädigten welt gesund bleiben, ohne tricks von verleugnungsstrategien zu entwickeln? und was passiert wenn ein schwer wiegendes ereignis entwickelte hilfkonstruktionen zusammenbrechen lässt?

  • P
    projekt2501

    Freilich, aus der Position der Autorin passt es nicht ins Bild, dass von Trier Frauen etwas (un)heimliches abgewinnt, dass passt nicht zur Emanzipation. Wenn er sich dann noch in Frauenfiguren spiegelt, müssen das böse Tricksereien sein, schließlich weiß jeder, dass er frauenfeindlich ist.

    Wenig modern scheint eher die Interpretation von Emanzipation der Autorin, die an die Haltung von Schwarzer versus Roche erinnert. Aber schließlich war es ja auch der Wagnerbombast und die gelackten Bilder, die Unmut erweckten, wenngleich aus der Kritik nicht wirklich hervorgeht, in welch krassem Kontrast diese Bilder zur wild fuchtelnden Kamera des restlichen Films stehen. Ich, antimodernistische 32 und ein Mann, also schon prädestiniert Frauen zu verachten, sehe das eher unkompliziert. So nämlich: http://www.2501.eu/kino-filmtipp/melancholia-kritik/

  • H
    hansi123

    die autorin faselt mehr über ihr missverhältnis zu lars von trier als über den film. und weil das so ist nervt ihre kritik und sie sollte vielleicht die klappe ...

    wo ist ihr inhaltliche kritik bis auf den unvermeidlichen vorwurf des antimodernismus?

  • WM
    Wolfgang M. Schmitt jun.

    Auch wenn der Vorredner Herr Neuhauser vielleicht zurecht anmerkt, Kommentieren sei ein Phänomen der Netz-Unterschicht, so kann ich Frau Nord nur zustimmen: Von Trier ist mit seinem Werk im Wagnerschen Bombast angekommen. Aber hat er mit seinem Film nicht ein ebenbürtiges Gesamtkunstwerk geschaffen? Und ist "Melancholia" nicht eine eigenwillige Interpretation von "Tristan und Isolde"?

     

    Mehr in meiner Videoanalyse:

    http://www.youtube.com/watch?v=3LrRNE0yve4

  • PC
    Pierre-Marie Cordouen

    Bis Dato habe ich nirgendwo vernommen, daß Lars von Trier mit "Melancholia" lediglich eine Kritik an zerbrechlichen Gesellschaftskonstrukten und heuchlerischen kulturellen Konventionen bezweckt. Justine ist nicht krank, sie erkrankt und erstickt an dem Gruppenzwang und den daraus resultierenden Konventionen. Ihre Schwester Claire, die sie im Rahmen dieser konventionellen Welt liebt, hat einerseits Angst Ihre Schwester an einer "Krankheit" zu verlieren, andererseits aber auch selbst Angst, daß ihre "perfekte" Welt Risse bekommt und will Justine unbedingt integrieren bzw. phagozytieren. Justine spielt während ihrer Hochzeit noch mit, merkt jedoch, daß ihr ganzes Leben wider ihrer Natur sich abgespielt hat. Ihre Natur muß schließlich die Hochzeit-Inszenierung zerstören.

    "Natur" vs. "Zivilisation" wird metaphorisch durchdekliniert bis hin zur Ziel-Dichotomie "zufälliges Leben im Chaos" vs. "Zusammenleben in einer künstlichen Ordnung". Während Claire eine Pascalsche Wette eingeht, verkümmern die wissenschaftlichen Fundamente ihrer angepassten Welt, die nun nicht mehr für Sicherheit sorgen können. Ihr Mann, der männliche Wissenschaftler, der durch patriarchalische Konventionen seine Sippe bis zum Ende hätte beruhigen sollen, versagt genauso mit seiner Wissenschaft, die in Form eines lächerlichen Holz-Draht-Gestells schließlich von der bevorstehenden Apokalypse Zeuge wird. Er haut ab, bringt sich wie ein egoistischer Feigling, mit den Tabletten seiner eigenen Frau um. In Angesicht der Apokalypse erblassen die leeren Versprechen ihrer eigenen Hochzeit, die Vorzüge ihres betuchten Lebens. Hinter der Fassade von gesellschaftlichen Konstrukten und sozialer Angepasstheit werden einsame kleinliche Egoisten entlarvt. Lars von Trier´s Werk entspricht einem modernen kulturkritischem Remake von Voltaire´s "Micromegas" und relativiert unsere kleinliche Weltanschauung, die hinter dem Vorhang zutiefst heuchlerisch und egoistisch funktioniert. Justine, die vermeintliche Kranke ist dank ihrer instinktiven Distanz zur Zivilisation die Einzige, die stark genug ist, dem Kind und ihrer Schwester zu helfen und natürliche reine Liebe geben zu können. Die Natur ist weder gut noch schlecht. Sie bezweckt keine Wertigkeit, denn sie einfach ist. Die Zivilisation hingegen neigt in ihrem obsessiven Drang der Selbsterhaltung, in ihrem Kampf gegen die Ohnmacht, eigenständige Personen zu verdummen, zu entmündigen und zu pervertieren.

    Mit einem absolutem empathischem Blick frei von Konventionen auf die Realität kann man aufrichtig das Leben betrachten. Der Film "Melancholia" stellt für den Zuschauer eine existenzielle initiatorische Reise dar, die zu einer vernünftigen Weltanschauung führt. Deshalb wirken die surrealistischen Slow-Motion-Gemälde der Anfangssequenz am Ende des Films so real. Deshalb wirkt der ver-rückte Golfplatz mit Millionen von Bällen so kindig hübsch.

    Deshalb wirkt die Zerstörung der Welt so selbstverständlich ruhig und leidenschaftlich schön. Deshalb wirkt Justines Liebe so euphorisierend und beinahe göttlich. Deshalb hallt die Zerstörung der Welt stets in meinen Ohren, obschon ich erst gestern im Kino war. Und schließlich deshalb wirken die Reaktionen der angepassten dümmlichen Medienwelt im Rahmen der Auseinandersetzung mit Lars von Triers inszenierten Provokation so kleinlich und so lächerlich.

  • AH
    A. Hopfenschauer

    Gerade lief in 3at Lars von Triers "Manderley", der in diesem Artikel unfassbar naiv auf "die These, dass Sklaven am glücklichsten sind, solange sie versklavt bleiben..." reduziert wird; andere Filme werden ähnlich unterkomplex charakterisiert.

    Lars von Triers Filme eignen sich aber nicht, vorhandene Weltsichten zu bestätigen, sondern sollen nach seinen Worten einen "Kontrapunkt gegen den Idealismus" setzen. Die Zuseher werden irritiert, verwirrt, verstört und hierdurch veranlasst, ihre Erwartungen und Positionen kritisch zu reflektieren. Klar, dass nicht jede® damit etwas anfangen kann und lieber Filme von Michael Moore oder mit Hugh Grant sieht. Für sie gibt es gute Nachrichten in Form der aktuellen Spiegel-Kinocharts (www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,458989,00.html): Von "Wickie auf großer Fahrt" (Platz 1) bis "Die Schlümpfe" (Platz 10) gibt es eine große Auswahl für alle, die gerne Filme mit kichernden Menschen sehen. Aber bitte Griffel weg vom Kino für Erwachsene!

  • G
    genau

    Ich sehe das auch eher so wie die SPIEGEL-Rezension!

     

    Das lustige dabei ist, die Rezensentin vom SPIEGEL ist Hannah Pilarczyk - ehemalige Redakteurin der TAZ-Medienseite!!

  • CL
    Cinemabstruso Leipzig

    Die Rezensionen von Christina Nord sind wirklich mit die besten, die durchschauendsten, die ich kenne. Um Lars von Trier gerecht zu werden, muss man auf jeden Fall Filme wie die Idioten, The Boss of it all und vor allem auch Hospital der Geister kennen. An der These, dass sich Menschen meist irgendwann ein Stück weit an eine wie auch immer geartete Versklavung gewöhnen und dann auch Teil davon werden, ist schon was dran. Da denkt man nur an frühere (oder auch heutige) Mütter, die von ihren Schwiegertöchtern erwarteten, dass sie sich ihr Leben genauso schwer "machen", wie sie es selbst hatten. Nichtsdestotrotz hat Manderley genervt.

  • TN
    Thomas Neuhauser

    Also, Diedrichsen sagt zwar, dass Bloggen und Kommentieren im Netz ein Unterschichtphänomen sei, und wahrscheinlich hat er Recht. Machen wir's trotzdem, denn hier ist doch einiges falsch und fehlgedeutet. Das Cannes-Festival hat sich mit seiner politisch superkorrekten Überreaktion doch nur lächerlich gemacht und ähnlich superkorrekt kommt diese Rezension daher. Übrigens ist Kusturica in Cannes immer noch gern gesehen, obwohl sein Verhältnis zu Milosevic wesentlich klärungsbedürftiger ist als Triers Verhältnis zu den Nazis.

    Auch die ewige Leier von misogynen Elementen in Triers Filmen wird durch Wiederholung nicht richtiger. In keinem seiner Filme haben sich Frauen bereitwillig geopfert, sie sind allenfalls Opfer bestimmter Umstände und am Ende doch meistens die Stärkeren. Da muss man sich doch nur mal die Männerrollen in "Melancholia" anschauen!

    Und geradezu fahrlässig ist es, so zu tun, als sei die komische Szene mit der Stretch-Limousine der Anfang. Der Anfang ist die vollständige Vernichtung der Erde durch den Riesenplaneten "Melancholia" (übrigens auch eine hübsche Depressions-Metapher), und genau mit diesem Wissen muss man den Film auch anschauen. Schließlich sind wir hier nicht bei Emmerich oder Petersen, wo man vielleicht nochmal davon kommt. Das nur auf die Schnelle, weitere Missverständnisse wären zu klären...

    Mit kollegialen Grüßen

  • MP
    max pöppl

    ich sehe das eher so wie die lieben kollegen vom spiegel:

    http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,789722,00.html

  • V
    Viktor

    Die beste Filmrezension, die ich seit langem gelesen habe.

     

    Danke.

     

    Gruß

     

    Viktor

  • H
    harry

    hab ich das richtig verstanden? Lars von Trier ist der Sohn von Richard Wagner? das ist mir aber neu!