Lars von Triers neuer Film "Melancholia": Chronik eines Scheiterns
Apokalyptische Albtraumbilder in Hochglanzoptik. "Melancholia" steckt voller antimoderner Impulse, mit der depressiven Hauptfigur hat Lars von Trier ein Alter Ego geschaffen.
Am Anfang, nach dem Präludium, gibt es etwas zu lachen: Das Brautpaar, Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgård, bekannt als sexy Vampir aus der HBO-Serie "True Blood"), sitzt auf der Rückbank einer Stretchlimousine. Die Kamera schwenkt zwischen zwei glücklichen Gesichtern hin und her.
Doch der Wagen gerät ins Stocken. Zu dem Landsitz, in dem die Hochzeitsfeier stattfinden soll, führt ein einspuriger Kiesweg, er beschreibt eine Kurve, und am Rand des Weges stehen ein paar Basaltsteine. Der Chauffeur käme nur vorwärts, wenn er die makellos weiße Karosserie zerbeulte. Er setzt zurück, versucht es erneut, kein Durchkommen. Der Bräutigam nimmt am Steuer Platz, danach die Braut, es hat keinen Sinn, sie stecken fest, ihre gute Laune verlieren sie deshalb nicht.
In der nächsten Sequenz dämmert es bereits; man sieht in einer Totalen, wie Justine und Michael zu Fuß die Auffahrt zum Gutshaus hinaufkommen, sie trägt ihre hohen Schuhe in der Hand. Claire, die Schwester der Braut (Charlotte Gainsbourg), empfängt die beiden mit hängenden Mundwinkeln und ausgiebigem Tadel.
Mehr gibt es nicht zu lachen in Lars von Triers neuem Film "Melancholia". Die Hochzeitsfeier auf dem herrschaftlichen Anwesen läuft aus dem Ruder, denn Justine, die Frau mit dem de Sadeschen Namen, leidet an einer so schweren Depression, dass sie ihr eigenes Fest hintertreibt. Sie nimmt ein Bad, während die Gäste auf den Hauptgang warten, sie lässt ihren Ehemann mit einer Erektion sitzen und hat ein, zwei Stunden später Sex mit einem jungen, pickeligen Arbeitskollegen auf der grünen Wiese des Golfplatzes.
Hübsch anzusehen ist, wie der von Udo Kier gespielte Hochzeitsplaner daran verzweifelt, dass nichts wie abgesprochen läuft. Sobald Justine in sein Gesichtsfeld tritt, hält er sich schützend die Hand vor Augen, um den Grund seiner Not nicht zu sehen.
Drei Monde und ein versinkendes Pferd
Doch da ist noch etwas anderes. Ein bisher unbekannter Planet steuert auf die Erde zu. Die Astronomen sagen, das Gestirn namens Melancholia fliege vorbei, aber Lars von Trier legt es auf Kollision an. Und so wächst sich die Chronik eines scheiternden Familienfests zu einem apokalyptischen Szenario aus.
Im zweiten Teil seines Films knüpft der Regisseur an die Bilder des Präludiums an, an dunkel dräuende, mit Wagners "Tristan und Isolde" unterlegte Aufnahmen. Der nächtliche Park wird von drei Monden beschienen, in Zeitlupe versinkt ein prächtiger Rappe, als wäre der Rasen ein Sumpf, Justine treibt blumenumkränzt einen Bach entlang wie die lebensmüde Ophelia. In einer anderen Einstellung winden sich Schlingpflanzen um ihre Füße, sodass sie nicht von der Stelle kommt. Motive wie aus einem Albtraum, aufgenommen in einer Vogue-kompatiblen Hochglanzoptik.
Ohne Scheu spricht Lars von Trier darüber, dass er selbst an einer schweren Depression litt, während er seinen vorangegangenen Film "Antichrist" drehte. Jedem, der ihn danach fragt, und jedem, der es gar nicht so genau wissen will, erzählt er von seiner dominanten Mutter, von Zwangszuständen, vom Trinken, von Medikamenten und schließlich auch von einer Familienlüge. Von Trier – so stellt er selbst es dar – wuchs in der Annahme auf, der Mann seiner Mutter, ein jüdischer Däne, sei sein Vater; auf ihrem Totenbett jedoch eröffnete ihm seine Mutter, dass nicht ihr Ehemann, sondern ein deutscher Komponist sein leiblicher Vater sei.
Ein Geschundener
Aus all diesen Einzelteilen setzt von Trier in der Öffentlichkeit seine Künstlerpersönlichkeit zusammen. Dass diese Künstlerpersönlichkeit Produkt einer Inszenierung ist, heißt nicht, dass sie unglaubwürdig oder gar verwerflich wäre; man sollte jedoch nicht aus den Augen verlieren, wie gemein der von Panikzuständen geschundene Filmemacher werden kann, etwa dann, wenn er während einer Pressekonferenz miese, sexistische Witze auf Kosten der neben ihm sitzenden Charlotte Gainsbourg macht.
Und nicht jeder Verstoß gegen die Konventionen öffentlicher Rede ist automatisch produktiv. Wenn von Trier verlauten lässt, sein Film "Dogville" habe den Attentäter von Oslo angestiftet, muss man schon viel Interpretationsgeschick aufbieten, um im schieren Größenwahn irgendeine Erkenntnis auszumachen. Und wenn sich Lars von Trier, durchaus verschmitzt und charmant, als Otto Weininger des 21. Jahrhunderts geriert, kann das mächtig nerven.
In Cannes wurde er im Mai zur Persona non grata erklärt, nachdem er sich auf einer Pressekonferenz mit einer Menge Naziquark um Kopf und Kragen geredet hatte. Ihn selbst freuts, wie er kürzlich in einem Gespräch in der Zeitschrift Spex sagte; aber es zeigt sich darin eben auch, wie tautologisch sein Diskurs-Trickstertum ist. Am Ende gefällt er damit vor allem sich selbst.
In der depressiven Justine hat er sich nun ein Alter Ego geschaffen. Während in "Melancholia" die geistig Gesunden umso schneller die Contenance verlieren, je näher der fremde Planet der Erde kommt, blüht Justine, die Kranke, auf: Nachts badet sie nackt im fahlen Schein des Planeten, dem verstörten Neffen errichtet sie eine magische Schutzkammer, der panischen Schwester redet sie gut zu, während faustgroße Hagelkörner vom Himmel fallen.
Indem von Trier die Depression seiner Heldin in den Weltuntergang überführt, externalisiert er, wie schon in "Antichrist", ein inneres Drama. Das tut er freilich zu einem Zeitpunkt, in dem apokalyptische Fantasien en vogue sind. Im Kino wird die Geschichte von den letzten Tagen der Welt zurzeit recht oft erzählt, besonders düster in Bela Tarrs "The Turin Horse", aber auch in Jeff Nichols "Take Shelter", in Abel Ferraras "4:44 Last Day on Earth" oder in Tim Fehlbaums "Hell".
Evangelikale Christen sind sich ohnehin sicher, dass die Apokalypse bevorsteht; der in den USA populäre Radioprediger und Buchautor Harold Camping etwa kündigte für den 21. Mai 2011 die Entrückung an, den Tag mithin, an dem die Gerechten gen Himmel fahren, während alle anderen bis zum 21. Oktober 2011, dem Tag des Weltuntergangs, auf Erden ausharren müssen und derweil gepeinigt werden. Etwas mehr Zeit bleibt uns, wenn man selbst ernannten Maya-Experten glauben möchte, die den Weltuntergang aus dem Umstand ablesen, dass der Maya-Kalender angeblich am 21. Dezember 2012 endet.
Es ist unübersehbar, dass sich im Glauben an die Apokalypse antimoderne, antiaufklärerische Impulse behaupten. Wenn die Erde untergeht, ist politisches Handeln obsolet, sind die Tugenden des Miteinanderredens und des Lösens von Konflikten Makulatur. Das passt gut zu von Triers Oeuvre, insofern darin immer wieder die Affekte des 19. Jahrhunderts wachgekitzelt und mit einem bewundernswert vielgestaltigen Repertoire filmischer Formen in Szene gesetzt werden.
In "Antichrist" war es die Annahme, dass Frauen mit der Natur im Bunde stehen, in "Manderley" die These, dass Sklaven am glücklichsten sind, solange sie versklavt bleiben, in "Dancer in the Dark" und "Breaking the Waves" die Vorstellung sich spektakulär aufopfernder Frauen. Wem immer der Austritt des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit etwas bedeutet, dem macht Lars von Trier einen dicken Strich durch die Rechnung.
Dafür wird der dänische Filmemacher gerade unter Leuten bewundert, die sich als progressiv verstehen. Ein wiederkehrendes Muster in der Rezeption seiner Filme ist, dass man betont, sich auf diesen reaktionären Quatsch eigentlich gar nicht einlassen zu wollen, dann aber von der Virtuosität der kinematografischen Mittel überwältigt wird. In dieser Perspektive ist das Kino Lars von Triers der Ort, an dem sich all die antimodernen Regungen austoben dürfen, die wir sonst verdrängen, ist die Kunst Schauplatz für all das, was zu unserer Existenz gehört, was aber unseren emanzipatorischen Absichten im Weg steht.
"Chaos herrscht"
Sobald man genau hinschaut, wird es sowieso komplizierter, da von Trier in seine Fiktionen Fallen einbaut und seine eigenen Spektakel durchkreuzt. Im heiligen Ernst des Hexensabbats von "Antichrist" finden sich herrlich komische Szenen, etwa wenn ein sprachbegabter Fuchs den Satz "Chaos herrscht" in die Kamera zischt. Und sein fragwürdiges Frauenbild ist nicht für bare Münze zu nehmen, immerhin schafft er sich selbst immer wieder ein weibliches Alter Ego in seinen Filmen. Lars von Triers Trickstertum macht vor dem eigenen Werk nicht Halt.
Seine Selbstinszenierungen wie seine Filme sind Kippfiguren. Mal nerven sie, mal sind sie produktiv, mal treffen sie wunde Punkte, mal trifft er sich selbst. Mich hat "Melancholia" mit all dem Wagner-Bombast und den gelackten Bildern der Apokalypse eher genervt. Das wiederum mag mehr an mir als an dem Film liegen, daran, dass ich mich gegen saturnische Affekte schütze, sobald sie mir im Kino begegnen.
Anders gesagt: Lieber als einer alles versengenden Planetenkollision sehe ich zwei Menschen zu, die in einem viel zu großen Auto sitzen, die Kurve nicht kriegen, aussteigen und kichernd zu Fuß weitergehen.
"Melancholia". Regie: Lars von Trier. Mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Alexander Skarsgard, Dänemark/Schweden/Frankreich/Deutschland 2011, 136 Min.
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