Lars Eidinger in der Berliner Schaubühne: Einladung zur Regression
Die Premiere von Henrik Ibsens Klassiker „Peer Gynt“ war bescheiden. Vielleicht entwickelt sich das Stück ja im Laufe der Aufführungen noch?
Lars Eidinger und John Bock erzählen „Peer Gynt“ an der Schaubühne. Da kommen also zwei Künstler zusammen, die das Grenzüberschreitende und Verrückte, den Gestus der Selbstüberschätzung und seine ironische Brechung, schon ziemlich oft und manchmal sehr gut ausprobiert haben.
Gemeinsam erzählen sie nun von einem größenwahnsinnigen Bauernsohn, Aufschneider, Lügner und Betrüger, der in Ibsens Stationendrama zu den Trollen und den Feen reist, Frauen ver- und entführt und verlässt, als Sklavenhändler Geld macht und es wieder verliert, noch mehr Frauen verrät und sich dabei immer wieder fragt, wer bin ich? Klingt nach einer recht sicheren Bank.
Das Bühnenbild von John Bock, Bildhauer, Aktionskünstler und Filmemacher, ist eine Collage aus Weichem und Hartem, mechanischen Walzen, Melkmaschine, Behindertentoilette, Rohren, in denen Weißes blubbert, und einem Patchwork-Monster aus Stoff mit vier Beinen und zahllosen, sich nach außen stülpenden Rüsseln und Zitzen.
Es kann zur Höhle werden und zum Bauch der Mutter; zweimal kriecht Eidinger in diesen weichen Knubbel hinein, erlebt hier den Tod der Mutter und fast auch den eigenen. Man könnte das lustige Zotteltier als Einladung in die Regression begreifen, für den Rückfall in infantile, gierige, trotzige Verhaltensmuster. Das passt ganz gut, denn Ibsens Drama, eigentlich ein ausuferndes Langgedicht, kann auch als Geschichte über das Nichterwachsenwerden und Keine-Verantwortung-übernehmen-Wollen gelesen werden.
Eidinger in Strapsen und Unterhose
Auch die Kostüme sind von John Bock und kleiden Lars Eidinger in knappe Oberteile, Strapse, Unterhose und Hosenbeine, die stets den Arsch und den Bauch freilassen. Der Body bleibt schön und attraktiv, der Kopf und das Gesicht hingegen werden malträtiert und bestraft; mit viel Farbe clownesk bemalt, mit Goldzähnen und Perücken entstellt, umwickelt mit Metallfolie und in einen grünen Sack gesteckt.
Oder er muss den Kopf durch einen Stuhlrahmen stecken, als hätte ihm den jemand über den Kopf gezogen. Eidinger spielt auch Peers Mutter Aase, mit Gehhilfe und Transfusionsbeutel, die ihn, weil sie ihm keinen Freiraum lassen will, zu gerade immer wilderen Fluchten animiert.
Wieder am 15., 16., 17. Februar und vom 6. bis 8. März
Die anderen Frauenfiguren, denen Peer bei Ibsen übel mitspielt, sind irgendwie verloren gegangen. Das erspart die Auseinandersetzung mit einer frommen Jungfrau, die an der Erlösung des Tunichtgut arbeitet, was sich ja heute auch meist nur peinlich ausnimmt. Aber es fehlt so auch viel von dem, was Handlung und Spannung in die wechselnden Bilder brachte.
Man guckt am Premierenabend dem Schauspieler auch auf die Finger und zählt, ob alle zehn da sind, es sieht so aus. Am Anfang gab es eine Ansage, er habe sich bei der Probe einen Finger abgeschnitten, kam in die Charité und spielt nun unter dem Einsatz starker Schmerzmittel. Was einen den ganzen Abend bangen lässt, vor irgendeiner Splatterszene, die aber glücklicherweise nicht kommt.
Hochstapler wie Donald Trump und Kanye West
Es kommt aber eine Orgie. Drei schöne junge Frauen, namenlose Statistinnen, lieben sich auf der Leinwand und Peer beamt sich dazwischen. Das geschieht durch einen kameratechnischen Trick per Greenscreen, er wird in das Bild gestanzt, knapp so groß wie ein Bein der drei so intensiv mit ihrer Erregung beschäftigten Frauen, dass sie ihn gar nicht beachten. Das sieht ganz lustig aus, wenn man nicht aus Verlegenheit die Augen von der pornografischen Szene abwendet. Dass man immer so abgebrüht tun muss, auch oder gerade im Theater.
Einige Male wird auf der Leinwand und einem Bildschirm Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker, eingeblendet, wie er „Peer Gynt“ erläutert und eine weitere Geschichte, übrigens von einem Knaben, dem ein Finger fehlte, erzählt. Die Komplexität, die er mit wenigen Sätzen aufruft, würde man an diesem Theaterabend gern sehen, aber die Sache funktioniert nicht gut.
Dass es um Selbsterkenntnis geht, dass Peer mit seiner Gier auf Leben, Geld und Macht sich selbst im Weg steht, das geht aus den Textpassagen Eidingers schon hervor. Er ergänzt dabei die lyrischen Verse von Ibsen mit Begriffen zum Beispiel aus den heutigen Finanzspekulationen, und er zitiert Hochstapler der Gegenwart, wie Donald Trump oder Kanye West.
Aber wenn die Sache theoretisch auch klar ist, sie schnurrt doch auf Schlagworte zusammen. Man fühlt und erlebt sie nicht, die Dummheiten und Gemeinheiten von Peer Gynt. Vielleicht weil ihre Kenntnis immer schon vorausgesetzt wird.
Getüftelt und gebastelt haben sie sicher viel, der Künstler und der Schauspieler, sich gemeinsam über vieles schlapp gelacht, so stellt man sich das vor. Aber wohl zu wenig einen Blick von außen dazugeholt. Kein dritter Blick außer ihnen beiden für Regie und Dramaturgie ist dann doch zu wenig. Gut möglich aber, dass sich das Stück im Laufe der Aufführungen erst noch weiterentwickelt.
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