■ Langsamkeit: Nur wer sich sputet, der verliert
Die Münchner Publizistin Dr. Gesine Baur hat einen neuen Trend ausgemacht: den „Trend zur Langsamkeit“. Der hilft gegen „Das Leiden der Schnelligkeit“, so der Titel einer „soziopsychologischen Dokumentation“, die von der Schaffhausener Zeitmesserfirma IWC – International Watch Company bei Gesine Baur in Auftrag gegeben wurde. Fazit der Studie: Gegen Selbst- und Naturzerstörung durch immer rasanter werdende Produktions- und Managementmethoden können Sie etwas tun, nämlich nichts.
Das Rezept heißt bremsen, langsamer werden, nicht mehr dem Diktat des Jobs folgen, sondern Ihrer inneren Uhr – ausspannen, faulenzen, schlafen und, schwierigster Punkt der Therapie, nichts tun. Dabei ist jegliche Form von Zeitplanung, so Gesine Baur, nicht nur ein überholtes Konzept aus den finsteren fünfziger Jahren, Zeitmanagement geht auch „vom falschen Denkansatz aus“: Nicht die Produktivität gilt es zu erhöhen, sondern die Qualität ihrer Arbeit (und Ihres Lebens!).
Gelobt sei, was langsamer macht. Weil kein Trend ohne neue Schlagwörter – amerikanische, klaro – auskommt, wirft auch Dr. Baur einige in die Debatte. Erst mal die „Slobbies“: Das sind Menschen, die langsamer, aber besser arbeiten (von „slow but better“). Dann die „Double-Timer“: Das sind „die Gewinner von morgen“, die wissen, „nicht mehr Zeit herauszuschinden ist wichtig, sondern zum richtigen Zeitpunkt das richtige Tempo zu haben“. Und was ist richtig? Das sagt Ihnen Ihr „cirkadianer Rhythmus“, von dem Sie „(wetten?) gar nicht gewußt haben, daß es ihn gibt. Um nach diesem Rhythmus zu leben, schlagen Sie in der Organuhr der chinesischen Medizin“ nach und in dem (natürlich „sensationellen“) Mondphasen-Bestseller „Vom richtigen Zeitpunkt“.
Ganz allgemein helfen zur Entwicklung der Langsamkeit Ausstellungsbesuche, das Lesen von Büchern (vor allem „retardierende Literatur“ wird von der Autorin empfohlen), aber auch Klosteraufenthalte (voll im Trend: Campino von den Toten Hosen), Wüstenmärsche, „Fahrten mit alten Zügen“ und „zyklisches Denken“. Dies zyklische Denken wiederum regen Sie an, indem Sie Ihre Fortschritte beim Langsamwerden auf einer Zeigeruhr von IWC ablesen, denn die hat den Vorteil, daß Sie sehen können, wie die Zeit „verläuft“, nicht einfach nur „ab-läuft“, wie auf der aus Asien importierten Digitaluhr („igitt“). Diese ist, IWC kann aufatmen, laut Gesine Baur sowieso out. Wie im übrigen alle Arten von Trends, den der „Double-Timer“ beachtet sie schlichtweg nicht: Trends machen nur hektisch. Daß diese Studie im Untertitel „Der Trend zur Langsamkeit“ heißt, ist natürlich ein gewisser Widerspruch. Aber so was kann in der Eile schon mal vorkommen. Hans Pfitzinger
Gesine Baur: „Das Leiden an der Schnelligkeit“. Gegen Portokosten bei: PPR, Karl-Hammerschmidt-Str. 2, 85609 Dornach, Tel.: 089-906091
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