Landratswahl im Saale-Orla-Kreis: AfD und CDU gehen ins Stechen
Im thüringischen Landkreis kommt der AfD-Kandidat auf 45 Prozent. Auch der verbliebene CDU-Kandidat wirbt nicht nur mit Lokal-Themen.
Thrum kommt auf 45,7 Prozent und tritt nun voraussichtlich gegen den zweitplatzierten Kandidaten Christian Herrgott (CDU) mit 33,3 Prozent an. Regina Butz, die von der SPD aufgestellte parteilose Kandidatin, mit 14,2 Prozent und Ralf Kalich, der Kandidat der Linken, mit 6,9 Prozent scheiden hingegen aus. Der bisherige Landrat, Thomas Fügmann (CDU), trat aus Altersgründen nicht mehr an.
Empfohlener externer Inhalt
Die Kandidat*innen berichteten der taz schon vor der Wahl, das Interesse an Veranstaltungen sei auffallend hoch für eine Landratswahl. Das zeigt auch die Beteiligung: Bei der vorherigen Wahl 2018 gaben 33,2 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab. Dieses Mal waren es laut vorläufigem Ergebnis 65,5 Prozent.
Ein Grund dafür könnte die im September anstehende Landtagswahl in Thüringen sein. Auch die Themen, die im Wahlkampf bisher eine Rolle spielten, beschränken sich nicht nur auf den Arbeitsbereich von Landrät*innen.
Ein Radwegkonzept, das es noch nicht gibt
Christian Herrgott ist als Landtagsabgeordneter und Generalsekretär der Thüringer CDU ein erfahrener Politiker. Nach zehn Jahren im Landtag wolle er nun „die Heimat stärken“. Moderne Schulen und Turnhallen stehen bei seinen Themen ganz oben. Im Gespräch nennt er noch Gesundheit, also lokale Krankenhäuser und eine flächendeckende ärztliche Versorgung, sowie eine bürgernahe, digitale Verwaltung.
In einer Werbeanzeige Herrgotts stehen allerdings andere Forderungen: „Bürgergeld abschaffen. Konsequent abschieben. Windkraft im Wald verhindern.“ Auf Nachfrage der taz verweist er darauf, dass es sich hierbei nicht um sein Wahlprogramm als Landrat handle. Wie es darübersteht, gehe es lediglich um seine „politischen Grundüberzeugungen“, argumentiert Herrgott.
Ähnlich klingen Forderungen auf dem Wahl-Flyer des AfD-Kandidaten Thrum: „Asylrecht konsequent anwenden“ oder „Ausbaustopp für Windkraftanlagen“. Darüber hinaus stehe Thrum gegen Russlandsanktionen.
Das nicht existente Radwegkonzept
Allerdings wirbt auch er mit lokalen Themen. Laut Flyer hat Thrum im Kreistag ein Radwegkonzept „erreicht“. Das Problem dabei ist nur: Das Konzept gibt es gar nicht. „Das ist eine Falschbehauptung“, sagt Jan Hartmann vom lokalen Saale-Rad-Forum.
Ein gutes Radwegkonzept sei wichtig für den Kreis. Wer durch die Gegend fahre, müsse immer wieder auf Bundesstraßen ausweichen – „das ist gefährlich“, erklärt Hartmann. Darum habe sich das Forum 2021 überhaupt gegründet. „Herr Thrum schmückt sich gerne mit dem Thema, ist aber nicht an der Arbeit interessiert.“
Uwe Thrum habe lediglich einen Antrag im Kreistag durchgebracht, der den Landrat mit der Erstellung eines Konzepts beauftragt und durch den Geld für das Konzept bereitgestellt werden soll. Aber „erreicht“ sei noch nichts.
Als Hartmann den AfD-Kandidaten auf einer Wahl-Veranstaltung in Bad Lobenstein damit konfrontierte, antwortete der, es gebe das Konzept, aber nicht auf Papier. Als die taz Thrum nach dem Konzept fragt, schickt er den Antrag aus dem Kreistag und ein Protokoll der Sitzung, bei der dieser beschlossen wurde.
Ein weiteres Wahlversprechen Thrums: Als Landrat wolle er Corona-Bußgelder zurückzahlen. Auf welcher rechtlichen Grundlage das passieren soll? Darauf antwortet er der Ostthüringer Zeitung nur schwammig: Ein entsprechendes Gesetz werde die AfD-Fraktion im Landtag ausarbeiten.
Erschüttert von hohem AfD-Ergebnis
Uwe Thrum ist allerdings nicht nur jenen zugeneigt, die den Corona-Infektionsschutz kritisch sehen. Er pflegt auch Kontakte in die Reichsbürgerszene, etwa zu Frank Haußner. Der spricht in Vorträgen auch mal von „der Staatssimulation BRD“. Die Frage, ob Thrum die BRD auch für eine „Staatssimulation“ halte, ließ er unbeantwortet.
Deutschlandweit sorgte Thrum für Aufsehen, als er in einem Video auftauchte, indem er neben dem mittlerweile inhaftierten Reichsbürger Heinrich XIII. Prinz Reuß und Thomas Weigelt, dem Bürgermeister von Lobenstein, zu sehen war. Den Bürgermeister erfreute das offenbar nicht, denn er ging den filmenden Lokalreporter Peter Hagen von der Ostthüringer Zeitung handgreiflich an.
Dass trotzdem Tausende dem AfD-Kandidaten ihre Stimme gegeben haben, sorgt beim lokalen Bündnis „Dorfliebe für alle“ für Erschütterung. „Insbesondere nach den kürzlich öffentlich gewordenen Deportationsplänen, an denen AfD-Funktionäre beteiligt sind.“ Statt Probleme zu lösen, werbe die AfD „auf dem Rücken der Schwächsten für ihre Agenda“.
Vor der Wahl mobilisierte „Dorfliebe für alle“ mit einem offenen Brief und einer Kundgebung in Schleiz gegen den AfD-Kandidaten. Das Bündnis wolle seine Arbeit auch bis zur Stichwahl und darüber hinaus fortsetzen – trotz des Ergebnisses vom Sonntag.
Ralf Kalich, der Kandidat der Linken, klingt kurz nach der Wahl etwas unzufrieden. Es ist nicht das erste Mal, dass der Politiker verliert. Aber: „Ein bisschen mehr hatte ich mir schon erhofft.“ Nun wolle er zunächst die Wahl analysieren. Die Bundespolitik, die Bauernproteste und die Krise der Linken, das zeige sich im Wahlergebnis, glaubt er. „Das kriegen wir bei so einer Wahl ja nicht vom Tisch.“
Doch obwohl der Linke bei der Stichwahl nicht mehr im Rennen ist, sei die Wahl noch nicht vorbei. Er wolle sich „mit allen demokratischen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, gegen einen AfD-Landrat einsetzen“. Dazu zählt für Kalich vor allem, mit den Menschen sprechen.
Er kommt selbst aus dem Saale-Orla-Kreis, „ich kenne ja viele persönlich. Die sind ja nicht wie Herr Thrum oder Herr Höcke.“ Er schätzt, viele hätten aus Protest gegen die Bundespolitik AfD gewählt.
Außerdem zeige das Ergebnis, dass die Kandidat*innen von SPD und Linke wichtig seien. „Ansonsten wäre der Thrum direkt ins Amt gewählt worden.“ So hätten Kalich und Butz zumindest etwas mehr als 20 Prozent auf sich vereint. Sollte Thrum in zwei Wochen bei der Stichwahl gewinnen, wäre er nach Robert Sesselmann der zweite Landrat für die AfD in Thüringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren