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Landesparteitag der Linken„Believe the hype!“

Die Linke Berlin ist euphorisch. Sie wählt Kerstin Wolter zur neuen Chefin. Maximilian Schirmer bleibt Co-Chef, doch sein mäßiges Ergebnis hat Gründe.

Kämpferisch und selbstbewusst: Kerstin Wolter und Maximilian Schirmer, die neue Doppelspitze der Berliner Linken Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Das hätte es früher nicht gegeben: Der Landesparteitag der Berliner Linken, der am Wochenende im Dong Xuan Haus in Lichtenberg tagt, beginnt mit dem Auftritt eines Liedermachers, das Mittagessen ist kostenlos und 49 Prozent der Delegierten sind weiblich. Das neue Spitzenduo aus Kerstin Wolter und Maximilian Schirmer tritt kämpferisch und selbstbewusst auf. Oberflächlich betrachtet verläuft alles harmonisch.

Neu sind für manche Delegierte auch die elektronischen Geräte, die zu Beginn für die Abstimmungen verteilt werden. Ein Mann im Punkeroutfit und mit grünen Haaren hat dazu noch Fragen, eine Frau mittleren Alters beantragt erfolglos, dass auf herkömmliche Art abgestimmt werde. Eine Testabstimmung zeigt, dass Rock und HipHop hier die beliebtesten Musikrichtungen sind. Dann geht es los.

Über die politische Lage in der Stadt, die die Linke sich „zurückholen“ will, ist man sich in der Generaldebatte einig: Die Kürzungen des schwarz-roten Senats sind demnach fatal, die Olympia-Bewerbung der Hauptstadt ist Geldverschwendung und die Streikenden an der Charité sollen unterstützt werden. Die Linkspartei solle eine „Mieten-Antifa“ sein und das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden. Dass die Linke in Berlin bei der Bundestagswahl rund 20 Prozent abgeräumt hat, zeigt für den Delegierten Niklas Schenker, die Partei könne Berge versetzen. Er rät: „Believe the hype“. Die Delegierten lachen und klatschen begeistert.

Auch jedes Mal, wenn jemand den Parteislogan „Niemals alleine, immer gemeinsam“ aufsagt, wird geklatscht. Etwas allein scheint da nur der Delegierte, der die EU abschaffen will und vom „Finanzkapital“ spricht. Kurz darauf empfiehlt ein anderer für die erfolgreiche Erneuerung mehr politische Bildung innerhalb der Partei, etwa zu Antisemitismus und marxistischen Basics.

Nichts Neues zu Nahost

Das Thema Nahost wird weder ausgespart noch führt es zum Eklat. Die einen beschweren sich, dass sie von der Partei keine Räume für die Vorführung des Films „No Other Land“ bekommen hätten, manche wollen, dass der nach Antisemitismus-Vorwürfen ausgeschlossene Ramsis Kilani zurückkommen darf. Ein Antrag, in dem es um vier Personen geht, die für Gaza demonstriert hatten und die das Land Berlin zur Strafe ausweisen wollte, erledigt sich bereits vor Beginn des Parteitags, da ein Gericht den Ausweisungsplänen vorerst einen Riegel vorgeschoben hat.

Die scheidende Vorsitzende Franziska Brychcy erinnert daran, dass der Vorstand zahlreiche Beschlüsse gegen die Repression der Palästina-solidarischen Bewegung und nur einen einzigen zum Schutz des jüdischen Lebens gefasst habe. Parteimitglied Shaked Spier bittet darum, dass sofort alle aufhören, „an der Eskalationsspirale zu drehen“ und man stattdessen miteinander rede. Gelöst wird der Konflikt, der sich wie ein roter Faden durch viele Beiträge zieht, nicht. Etwas Neues beizutragen hat auch niemand.

Dann beschließen die Delegierten einmütig den Leitantrag, in dem es um Wohnen, Klima sowie Soziales geht. Ein Sicher-Wohnen-Gesetz könnte, so ein Vorschlag darin, auch private Vermieter verpflichten, die Hälfte ihrer Wohnungen an Menschen mit normalen Einkommen zu vermieten. Am Ziel, Konzerne wie Deutsche Wohnen zu enteignen, hält der Landesverband fest, darüber hinaus sollen leer stehende Einkaufszentren zu „Sorgezentren“ werden.

Forderung an die Fraktion

Einen der wenigen kontroversen Beiträge macht der Neuköllner Delegierte Rouzbeh Taheri, Mitbegründer der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Er erinnert an den Beschluss, dass aus der Partei ausgetretene Mitglieder nicht in der Fraktion bleiben sollten. „Darüber darf kein Mantel des Schweigens gelegt werden. Die Mitglieder müssen wissen, woran sie sind“, sagt Taheri der taz.

Mit den Ausgetretenen meint er den ehemaligen Landesvorsitzenden und Kultursenator Klaus Lederer, die Ex-Sozialsenatorin Elke Breitenbach, den Ex-Fraktionschef Carsten Schatz sowie Ex-Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel. Sie waren nach dem vorangegangenen Parteitag im Oktober 2024 unter Protest gegen Antisemitismus in der Partei ausgetreten, sind aber weiterhin Teil der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Nur die kann formal über einen Ausschluss entscheiden.

Mit dieser Frage werden die elektronischen Abstimmungsgeräte getestet: beim Parteitag der Berliner Linken Foto: Lotte Laloire

Den lautesten Applaus des Tages erntet das kostenlose Mittagessen für die Delegierten. Das hat der neue Geschäftsführer Bjoern Tielebein eingeführt. „Weil ich keinen Bock mehr auf eine Zweiklassen-Linke habe, bei der die einen ins Restaurant können und die anderen zur Imbissbude müssen“, sagt der Marzahner.

Von allen Wahlen am Samstag sahnt er mit 147 von 160 abgegebenen Stimmen das beste Ergebnis ab. Er selbst vermutet, das liege daran, dass er Kommunalpolitiker und schon seit mehr als 20 Jahren in der Linken aktiv ist. Andere sagen der taz, sie schätzten seine vermittelnde Art. Tielebein, der klar israelsolidarisch ist, schaffe es auch beim Thema Nahost, alle Seiten einzubinden. Außerdem ist er bekannt für seine Witze. In seiner Bewerbungsrede stellt er sich zum Beispiel als „kommunistischer… äh kommissarischer Geschäftsführer“ vor.

Die neue Doppelspitze

Verhaltener fällt die Zustimmung für das neue Duo an der Spitze des Landesverbands aus. Kandidiert hat Kerstin Wolter, bisher Bezirksvorsitzende der Partei in Friedrichshain-Kreuzberg. Sie ist 1986 in Perleberg geboren, studierte unter anderem Umwelt- und Sozialwissenschaften und war Mitarbeiterin von Katja Kipping, der früheren Bundesvorsitzenden und Exsozialsenatorin. Die feministische Marxistin kommt aus der Bewegungslinken.

In ihrer Bewerbungsrede wünscht sich Wolter „eine solidarische Stadt, die sich unterhakt und keine, in der die Ellenbogen ausgefahren werden“. Ihre Vision: Sie will die von der Linken entwickelten Hilfsangebote wie Sozialberatung, Heizkostencheck und Solidaritätsfonds zu einem „Netz der Solidarität über die gesamte Stadt spannen“.

Eine Regierungsbeteiligung der Linken schließt Wolter nicht aus. Während am Samstagvormittag ein Antrag abgelehnt wird, der aus dem guten Wahlergebnis der Linken einen Auftrag zur Regierungsbereitschaft ableiten wollte, sagt die neue Vorsitzende der taz dazu: „Mir ist wichtig, was am Ende dabei rum kommt und ob die Regierungsbeteiligung einer Linken das Leben der Menschen, die mittel bis wenig haben, konkret verändert.“ Die Delegierten wählen sie schließlich mit 71,9 Prozent.

Mit ihr kandidiert erneut Maximilian Schirmer, der schon seit zwei Jahren Landesvorsitzender ist. Er ist zudem Chef der Linksfraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung und Bundesvize der Partei. In seiner Rede teilt der Politikwissenschaftler gegen die „Zerstörungskoalition“ von CDU und SPD aus: Die Stimmung in der Stadt befinde sich „irgendwo zwischen Siedepunkt und Resignation“, so der Mittdreißiger. Er formuliert on point: „Auch unter einer neu sanierten Brücke ist Obdachlosigkeit eine menschliche Tragödie.“

Co-Chef Schirmer will „rote Metropole“

Um das zu ändern, schlägt Schirmer konkrete Maßnahmen vor, wie „Geld reinkommen“ könnte: höhere Grunderwerbsteuer, Vergnügungssteuer für Glücksspiel-Unternehmen, mehr Steuerprüfer und eine Vermögenssteuer, die in die Kommunen fließen würde. Er will eine „rote Metropole“ und kündigt selbstbewusst an: „Wir werden bei der nächsten Wahl stärkste Kraft.“ Trotzdem erhält er nur 60,7 Prozent der Stimmen.

Hört man sich nach Gründen für dieses eher mäßige Ergebnis um, platzen die Delegierten gerade zu vor Erklärungen: Die einen meinen, Schirmer tanze auf zu vielen Hochzeiten, andere vermuten, er sei aus feministischen Gründen abgestraft worden. Eine Delegierte sagt der taz, sie sei mit dem Gesamtpaket unzufrieden. Wolter finde sie toll, und formal sei die Geschlechterparität zwar gewahrt, doch nun seien ein Vorsitzender, der Geschäftsführer und der Schatzmeister männlich.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass Schirmer als Zögling von Klaus Lederer gilt, dem ausgetretenen Exvorsitzenden. Von dem habe er sich zwar distanziert, doch das nähmen ihm die einen krumm, während die anderen ihm gerade deshalb noch nicht vertrauten, schätzt ein anderer Delegierter. Einige machen Schirmer dafür verantwortlich, dass beim letzten Parteitag der Antisemitismus-Streit eskaliert ist.

Mehrere migrantische Delegierte sagen der taz, sie hätten es besser gefunden, wenn statt Schirmer noch andere Leute kandidiert hätten. Mehrmals genannt wird zum Beispiel der Bezirksvorsitzende aus Treptow-Köpenick, Moritz Warnke. Doch der hatte seinen Hut gar nicht in den Ring geworfen. „Das neue Spitzenduo hat ja noch in derselben Sitzung, in der Franziska Brychcy ihren Rückzug erklärt hat, seine Kandidatur angekündigt“, beschwert sich eine hochrangige Person aus der Partei. Dadurch seien sehr schnell Fakten geschaffen worden. „Diese Vorgehensweise hat Leute, die nicht schon seit 20 Jahren dabei sind, abgeschreckt.“

Was die Neuen sich wünschen

Eine der mitreißendsten Reden des Tages hält Elif Eralp aus Kreuzberg, die manche aus ihrem Bezirk gern als Direktkandidatin für den Bundestag gesehen hätten. Sie will Politik, „die über den Kapitalismus hinausweist“ und dass die Linke „mehr als eine Partei im Parlament“ ist. Später wird sie zu einer der Stell­ver­tre­te­r*in­nen Landesvorstands gewählt.

Als die frauenpolitische Referentin der Bundes-Linken, Pilar Caballero Alvarez, für den erweiterten Landesvorstand kandidiert, spricht sich eine junge Delegierte aus Reinickendorf, die bis dahin ganz ruhig in der letzten Reihe gestrickt hat, für Caballero Alvarez aus: „Die vielen FLINTA in unserer Stadt haben zu Recht die Erwartung, dass wir sie vertreten.“

Ines Schwende, Delegierte aus Reinickendorf, strickt hier in der letzten Reihe und fordert angemessene Repräsentation von Frauen Foto: Lotte Laloire

Seit Oktober hat sich die Zahl der Berliner Linken-Mitglieder auf fast 15.500 verdoppelt. Damit diese über das Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2026 mit entscheiden dürfen, fordert ein Antrag, die neuen Delegierten früher zu wählen als üblich. Der Vorstand will darüber beraten.

„Ich werde dafür sorgen, dass das tatsächlich passiert und nicht verschleppt wird“, erklärt die neu in den Vorstand gewählte Ongoo Buyanjargal im Gespräch mit der taz. Sie ist gewerkschaftliche Organizerin. Ihre Eltern sind aus der Mongolei eingewandert, sie sagt, sie wisse „sehr genau, wie die Baseball-Schläger-Jahre waren“. Neben dem Kampf gegen Rassismus nennt sie als ihr Ziel: strukturelle Erneuerung.

Ein erfahrener Hauptamtlicher sagt der taz hingegen: Die Neuen sollten erst einmal in den Bezirken ankommen und die Partei kennenlernen, bevor sie Delegierte würden. Buyanjargal hält das für falsch: „Viele sind zwar in der Partei neu, politisch aber schon sehr erfahren.“ Damit der Hype sich konsolidiert, müsse man die Neuen, „und das sind sehr viele Frauen“, auch richtig mitmachen lassen. Inwiefern das gelingt, dürfte in nächster Zeit eine der spannenden Fragen im Landesverband sein.

Wie die Erneuerung gelingen kann

Die Bereitschaft, zumindest von Teilen der Alteingesessenen, dass sich die Partei erneuert, zeigt sich in mehreren Momenten: Zum Beispiel als Neumitglied Tilli Ripp einen Antrag stellt. Ihr sei aufgefallen, dass in der Fragerunde zu Kandidaturen oft nicht alle zu Wort kämen. Also schlägt sie eine Redezeitbegrenzung von 30 Sekunden pro Person vor. Die Delegierten nehmen die Idee an, sie gilt ab sofort.

Dann beantragt Luisa Mayer vom Jugendverband solid eine Satzungsänderung: Künftig soll solid den jugendpolitischen Sprecher vorschlagen dürfen. Der neue Geschäftsführer Tielebein unterstützt das, der Antrag bekommt eine große Mehrheit.

Als für den Posten später Johannes Franck antritt, meldet sich eine ältere Dame und fragt: „Wie können wir älteren Genossen denn Eure Kampagne gegen die Wehrpflicht unterstützen?“ Franck antwortet, dass er die Erfahrung aus bereits geführten Kämpfen schätze – und wird gewählt.

Wer diesen für linke Verhältnisse revolutionär freundlichen Umgang der Generationen miteinander beobachtet, dürfte der Delegierten zustimmen, die betont: „Die Trennlinie in unserer Gesellschaft verläuft nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen oben und unten.“

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