Landesparteitag Linke I: Saarland: Seine Saar-Linke
Landesparteitage der Linken: Zumindest Die gestern in Saarbrücken gegründete Saar-Linke ist vor allem das Geschöpf von Oskar Lafontaine.
SAARBRÜCKEN. taz. Es spricht der Delegierte mit der Nummer 93. Seine Partei sei dabei, die Politik in Deutschland zu verändern, sagt er. Wenn jetzt alle darüber redeten, dass die Leistungen von Hartz IV erhöht werden müssen, dann sei das ein Erfolg der Linken. Der Delegierte 93 behauptet, dass alle Sozialkürzungen der letzten Jahre überflüssig gewesen wären, wenn Deutschland die durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote Europas gehabt hätte. Er fordert alle neoliberalen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten auf, diesen Satz zu widerlegen. Aber er macht den anderen Genossen im Saal nicht allzu große Hoffnungen. Die große Mehrheit der deutschen Elite beherrsche nämlich nicht die Prozentrechnung, sie sei damit komplett überfordert. Alle lachen.
Weil der Delegierte 93 nun schon einmal dabei ist, seift er gleich auch noch die anderen Gegner seiner Partei ein: die SPD, den Verfassungsschutz, die Arbeitgeber, Ursula von der Leyen. Der Union wirft er vor, in der Debatte über den Schießbefehl an der Mauer Heuchelei zu betreiben, sie solle sich lieber mit den Blockflöten in ihren Reihen auseinandersetzen. "Schließlich hat Frau Merkel das FDJ-Hemdchen getragen", ruft er, "nicht ich." So geht es weiter, Schlag auf Schlag, bis der ganze Saal kopfsteht.
Der Parteitagsdelegierte mit derNummer 93 heißt Oskar Lafontaine. Partei- und Fraktionschef in Berlin - aber das spielt heute keine besondere Rolle. Lafontaine ist hier in Saarbrücken für alle nur "Oskar". Der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt. Der ehemalige Ministerpräsident. Der unumstrittene Spitzenkandidat der Linken, der bei der Landtagswahl 2009 wieder Regierungschef werden will. Saarland ist Lafontaine-Land. "Oskar" begrüßt jeden einzelnen Journalisten in der Kongresshalle mit Handschlag.
Die Saar-Linke, die sich an diesem Sonntag offiziell gründet, ist vor allem sein Geschöpf. Mit Lafontaine an der Spitze holte die WASG im Saarland bei der Bundestagswahl 2005 aus dem Stand 18,5 Prozent der Stimmen. Nirgendwo sonst im Westen wird die Linkspartei der SPD so gefährlich wie hier. Mit Rolf Linsler, dem Exvorsitzenden von Ver.di, ist einer der bekanntesten Gewerkschafter des Saarlandes zu den Genossen übergelaufen. Linsler, Lafontaines Mann, wird am Sonntag gleich zum Vorsitzenden der Saar-Linken gewählt.
Besser konnten die Voraussetzungen für einen große Show des großen Menschenverführers Lafontaines nicht sein.
Aber viele Genossen in Berlin interessiert an diesem Sonntag nicht das grelle Scheinwerferlicht, das auf ihren Vorsitzenden gerichtet ist. Für sie ist es ein Tag des Kleingedruckten. Sie hören auf jedes Wort, das Lafontaine über Kinder und Familie verliert. Sie verfolgen genau, bei welchen Sätzen des Leitantrages der Parteitagsdelegierte Nummer 93 seine Hand zur Zustimmung hebt. Sie erhoffen sich Aufklärung darüber, ob Lafontaine in der Familienpolitik genauso konservative Ansichten vertritt wie seine Frau Christa Müller. Sie wollen erfahren, ob er womöglich in Berlin das eine sagt und in Saarbrücken das andere tut.
Der Streit über die Familienpolitik hält die Linke seit Monaten in Atem. Ausgelöst hatte ihn Christa Müller in ihrer Funktion als familienpolitische Sprecherin der Saar-Linken. Müller bezeichnete die Kitakampagne der Bundesfamilienministerin als "Zwang zur Fremdbetreuung". Sie stellte die These auf, dass Kinder sich dann "am unwohlsten fühlen", wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten. Sie behauptete, die Trennung des Kindes von der Mutter führe langfristig zu Schäden. Müllers Botschaft: Mütter können auch ohne Beruf glücklich sein.
Lafontaine hat diese Sätze seiner Frau nie wiederholt, sich aber auch geweigert, sie zu kommentieren. Der Leitantrag, das vorläufige Wahlprogramm der Saar-Linken, ist in Bezug auf die Familienpolitik bei weitem nicht so rigide formuliert wie Müllers Thesen - aber er atmet deren Geist. "Die auf Konkurrenz statt auf Solidarität hin angelegte, abhängige Erwerbsarbeit [ist] weder für Frauen noch für Männer emanzipierend", heißt es darin. Für Mütter und Väter, die ihr Kind zu Hause erziehen, wird ein Elterngeld gefordert, und zwar vom 1. bis zum 20. Lebensjahr.
Lafontaine unterstützt diese Position heute mit seiner Delegiertenstimme. Die Auseinandersetzung mit der Bundespartei versucht er mit einem perfiden Trick zu entschärfen. Während seiner Rede hält er ein Papier seiner "innerparteilichen Gegnerinnen", wie er sie ironisch nennt, in die Luft. Er zitiert dar aus die Sätze, die zum Familienprogramm der Saar-Linken passen - etwa die, wonach es den Eltern allein überlassen werden müsse, wie sie ihre Kinder erziehen. "Wir können davon jedes Wort unterschreiben", behauptet er mit Unschuldsmiene.
Die vielen Sätze, die seiner Frau und dem Programm radikal widersprechen - etwa die zum Wert der frühkindlichen Bildung in Kindertagesstätten -, lässt er einfach weg. "Der Streit", sagt der Delegierte 93, "war über weite Strecken maßlos übertrieben."
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