Wehrt sich jemand – oder kann das weg?

Das Zelt der Lampedusa-Gruppe am Hamburger Hauptbahnhof wurde geräumt. Die Corona-Lage zwingt die Geflüchteten zum Abbruch ihrer Dauerkundgebung. Dabei hatten sie sich vorige Woche mit der Polizei darauf geeinigt, ihren Protest wegen des Infektionsrisikos mit nur noch zwei Personen zur Zeit fortzusetzen

„Lampedusa in Hamburg“ ist eine Gruppe von Geflüchteten, die nach dem Libyen-Krieg über Italien nach Hamburg kamen und seit sieben Jahren eine Anerkennung als asylberechtigtes Kollektiv einfordern.

Das Zelt am Hauptbahnhof dient als Anlaufstelle für Austausch zwischen Geflüchtete und Interessierten sowie der Aufklärung über die Situation von Geflüchteten.

Die meisten der heute rund 300 Mitglieder der Gruppe sind in Hamburg nur geduldet, was mit eingeschränktem Zugang zu Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und Wohnraum einhergeht.

Von Sarah Zaheer

„Sie haben uns gesagt, dass wir gehen müssen. Dann haben sie das Zelt gewaltsam entfernt“, beschreibt Ali Ahmed, Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, den Einsatz von Polizei und Stadtreinigung am Donnerstagvormittag. Das Lampedusa-Zelt am Steindamm gehörte schon seit 2013 zum Hamburger Stadtbild und diente als zentraler Austauschort für Geflüchtete. Nachdem es wegen Einschränkungen des Versammlungsfreiheit aufgrund der Corona-Epidemie in der vergangenen Woche schließen musste, hat der Bezirk Mitte es nun räumen lassen.

Dabei habe es bereits einen Konsens zwischen der Polizei und der Lampedusa-Gruppe gegeben, sagt Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg. Eine erste Einigung am Donnerstagabend mit der zuständigen Wache 11 sah vor, dass lediglich zwei Personen vor Ort über die aktuelle Situation informieren durften. Von einem Abbau des Zeltes war da noch nicht die Rede. Die Polizei beantwortete eine taz-Anfrage zu dieser Einigung nicht.

Am Freitagmittag erreichte die Gruppe dann die neue Anordnung, das Lampedusa-Zelt noch am selben Wochenende abzubauen. Die Versammlungsbehörde, die in Hamburg Teil der Polizei ist, begründet die Räumung so: „Das Zelt ist aufgrund der Beendigung der Versammlung nicht mehr vom Schutz des Art. 8 GG erfasst.“ Als „(ehemals) versammlungsimmanenter Teil einer Versammlung“ könne es nicht „an dem bisherigen Ort ohne entsprechende Sondernutzungserlaubnis nach dem Hamburgischen Wegegesetz verbleiben“. Für die Erteilung einer solchen Erlaubnis sei das Bezirksamt-Mitte zuständig.

Sorina Weiland, Pressesprecherin des Bezirks, sagt, eine solche Erlaubnis sei in dem Fall schwer zu erteilen, da sich das Zelt an einem Ort mit starken Fußgängerströmen befinde. Die schnelle Räumung sei zum „Infektionsschutz“ nötig gewesen.

Martin Dolzer, bis vor Kurzem Bürgerschaftsabgeordneter der Linken und Anmelder des Zeltes als Dauermahnwache, kann das nicht nachvollziehen; schließlich habe die Gruppe kooperiert und die erforderlichen Maßnahmen umgesetzt. Die Versammlungsbehörde habe auch zugesichert, dass die Kundgebung nach der Aufhebung der derzeitigen Maßnahmen weiter stattfinden könne. Darin sieht er rechtlich keine Beendigung der Versammlung, sondern lediglich eine Unterbrechung. Damit wäre die Befassung des Bezirks­amtes nicht notwendig. Obwohl er den Behörden rechtliche Schritte angekündigt habe, hätten diese nicht abgewartet und die Räumung ohne weitere Ankündigung vollzogen. „Wie der Bezirk Mitte reagiert, ist aus rechtlichen und humanistischen Gründen nicht akzeptabel!“, meint Dolzer.

Auch wenn die Versammlungsbehörde zuvor bestätigt hatte, dass die Kundgebung nach der Corona-Krise wie bisher fortgesetzt werden darf, macht sich bei den Betroffenen nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem Bezirk und der Polizei ein ungutes Gefühl breit. „Dass die Situation jetzt genutzt wird, um das Zelt dauerhaft wegzuräumen, darf auf keinen Fall sein“, meint Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat.

Für die Lampedusa-Gruppe war das weiße Zelt ein Symbol ihres Kampfes gegen Diskriminierung und eine Manifestation der Sichtbarkeit ihrer Forderungen mitten in der Hamburger Innenstadt. „Das Corona-Virus wird als Vorwand genutzt, um uns anzugreifen“, meint Ali Ahmed. „Die derzeitige Lage zeigt, welche Gruppen in der Gesellschaft vernachlässigt werden.“ Er beklagt, dass die Behörden keine Aufklärung geleistet hätten, wie sie sich vor dem Virus schützen können und wie sie im Falle einer Infektion Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten. Durch die Räumung des Zeltes gehe ein wichtiger Kanal, um solche Informationen auszutauschen, verloren.

Ahmed berichtet, die Gruppe wolle nun Videos über soziale Medien verbreiten, um die Community über das Virus aufzuklären. Die Polizei habe ihnen nur die Notfallnummer der Gesundheitsbehörde gegeben. Die Leitung sei jedoch dauerhaft besetzt und die Ansage nur auf Deutsch.