Lammert kritisiert erneut EU-Erweiterung: Kroatien noch, aber dann ...
Die EU ist zu großzügig und Deutschland kein Vorbild für die neuen Mitglieder. Norbert Lammert (CDU) konkretisiert seine Kritik an der EU-Erweiterungspolitik.
BERLIN taz | In einem Redebeitrag zur Debatte „Kroatien: Zwischenhalt oder Endstation der EU-Erweiterung auf dem Westbalkan“ in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert am Donnerstag Abend, Kroatien und die EU hätten eine wechselseitige Vereinbarung: „Es gibt die Zusicherung der Gemeinschaft gegenüber Kroatien, Mitte nächsten Jahres als 28. Mitgliedsland dieser Gemeinschaft beizutreten. Und es gibt die Zusicherung Kroatiens, bis zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen zu schaffen, um beitreten zu können. Ich empfehle, beide Zusicherungen so ernst zu nehmen, wie sie hoffentlich gemeint waren.“
Am vergangenen Wochenende hatte Lammert in einem Interview mit der Tageszeitung Welt am Sonntag den am 1. Juli 2013 anstehenden Beitritt Kroatiens in Frage gestellt. „Wir müssen - gerade nach den Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien - den jüngsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission ernst nehmen: Kroatien ist offensichtlich noch nicht beitrittsreif,“ so der Bundestagspräsident.
Bei der Heinrich-Böll-Stiftung betonte Lammert nun, er habe nichts Neues zum Thema Kroatien gesagt. Eine Diskussion über eine Verlegung des Beitritttermins lehnte Lammert ab. Der Termin sei keine unabhängige Variabel, sondern gebunden an die Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen. „Aber ich höre von Leuten, die sich in Kroatien besser auskennen als ich, dass das eine anspruchsvolle aber lösbare Aufgabe ist."
Dem Fortschrittsbericht der EU-Kommission zu Kroatien habe er entnommen dass Kroatien bereits einen beachtlichen Teil der Beitrittskritierien erfüllt habe. „Das unterscheidet sich vorteilhaft von dem Zustand anderer Beitrittsländer zu einem vergleichbarem Zeitpunkt,“ so Lammert. Trotzdem seien die im Fortschrittsbericht aufgelisteten kritischen Punkte von Bedeutung. „Das ist so ernst zu nehmen, wie es gemeint ist. Und ganz offenkundig besteht die begründete Aussicht, dass das auch bewältigt werden kann.“
Keine Sorgfalt
Lammert machte deutlich, dass seine kritischen Aussagen in der Welt weniger an die Adresse Kroatiens gerichtet waren, als an die der EU. „Ich bin seit einigen Jahren der Überzeugung“, so der Bundestagspräsident am Donnerstag, „dass der Ehrgeiz der Gemeinschaft, neue Aufgaben zu übernehmen und neue Mitglieder aufzunehmen, größer ist als der Ehrgeiz der selben Gemeinschaft, übernommene Aufgaben auch sorgfältig zu erledigen und vereinbarte Pflichten und Regeln auch tatsächlich mit der gebotenen Konsequenz zu praktizieren.“
Die EU habe sich in den letzten Jahren „eine bemerkenswerte Großzügigkeit antrainiert.“ Der CDU-Politiker schlug vor, nicht nur „Fortschrittsberichte über Beitrittkandidaten schreiben zu lassen, sondern auch über den inneren Zustand der Europäischen Gemeinschaft.“ Würden diese mit der selben Sorgfalt verfasst werden, wie die Fortschrittsberichten der Beitrittskandidaten, könnten „,manche Wahrheiten zu Tage bringen, mit denen wir uns ungern und deshalb auch selten auseinandersetzen.“
Seine Skepsis bezüglich weiteren Erweiterungsrunden sei „ausgeprägt“, so Lammert weiter. Aber diese Skepsis stünde in keinem Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Kroatiens. Er sei unabhängig davon überzeugt, dass die EU dringend eine Phase der Konsolidierung brauche, um sich „nicht hinreichend ernst genommener und deswegen nicht vollständig erledigter Aufgaben“ zu widmen und ihre innere Verfassung zu konsolidieren.
In den vergangenen Jahren sei die Priorität immer für Erweiterung und gegen Vertiefung gesetzt worden. Nun zeigten sich die Folgen dieser Politik. „Diese Gemeinschaft müsste einen Großteil der Probleme einschließlich der Finanzprobleme nicht haben, wenn sie die Regeln, die sie sich selber gegeben hätte, auch einhält."
Die EU sei - inklusive der Krisenstaaten - nicht schlicht das Opfer verselbstständigter Finanzmärkte. Diese erschwerten die Problemlösung. Die Probleme der EU aber resultierten aus dem „systematischen Verletzung von Regeln, die man vereinbart, aber nicht eingehalten hat."
Die schlechten Beispiele hätten dabei nicht etwa kleine EU-Staaten geliefert, sondern Große. „Ausgerechnet Deutschland und Frankreich haben mit der demonstrativen Großzügigkeit im Umgang mit vereinbarten Regeln begonnen - und haben deswegen besonders wenig Grund, sich darüber zu beklagen, dass andere Länder sich nun auf ihr Beispiel berufen, wenn sie nun ähnlich großzügig mit eingegangenen Verpflichtungen umgehen.“
Bosnien muss anerkannt werden
Stipe Mesic, von 2000 bis 2010 Präsident Kroatiens und ebenfalls Gast bei der Heinrich-Böll Stiftung am Donnerstag, schloss sich Lammert im Anschluss an dessen Beitrag an. In Kroatien werde mit einem Eintritt in die Europäische Union ausschließlich das gelten, was überall in der EU gelte. Für die Nicht-EU-Staaten des Westbalkans aber müsse Hoffnung geboten werden. Um die dort nach wie vor schwelenden Konflikte zu beenden, müssten diese Länder das Gefühl haben, dass sie tatsächlich in die Union aufgenommen werden, wenn sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen. Das gelte besonderes für Bosnien-Herzegowina.
„Dort muss die Europäische Union eine glasklare Haltung haben: Bosnien muss erhalten bleiben. Und wer Bosnien nicht anerkennt, darf am politischen Leben nicht teilnehmen.“ Alles andere gefährde den Frieden in Südost Europa. Um weitere Bemühungen um einen EU-Beitritt für die post-jugoslawischen Staaten attraktiv zu halten, seien auch institutionelle Maßnahmen nötig.
Die Beitrittsbedingungen müssten klar sein und klar bleiben. Alles andere bedrohe den Frieden. „In der Politik gibt es keine leeren Räume. Alle leeren Räume werden von jemandem gefüllt. Europa muss sich vereinigen, denn nur ein vereinigtes Europa ist eine ernstzunehmender Faktor zwischen den großen Spielern in der heutigen Welt.“
Die Rede von Stipe Mesic und ein Interview mit ihm zum Thema unter www.boell.de/
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