Lammert fordert Parlamentskanal: Fernsehdemokratie für alle
Öffentlichkeit im neuen Jahrtausend: Bundestagspräsident Lammert fordert einen Parlamentskanal - und kritisiert damit Phoenix. Dort schlägt man vor, die Debatten zu beleben.
Das Parlament tagt öffentlich. Die Frage ist nur: Was heißt das im dritten Jahrtausend?
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat vor kurzem gesagt, Öffentlichkeit sei heute nur über elektronische Medien zu erreichen - und so hat er dem Ältestenrat des Deutschen Bundestags eine Vorlage zugeleitet. Ihr Ziel ist ein eigener Parlaments-TV-Kanal, der alle Bundestagssitzungen eins zu eins überträgt, mit bundesweiter Verbreitung über die Kabelnetze und Astra Digital. Zunächst, sagte Lammert, wolle er aber eine Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Kanals anregen. Eine Debatte, die schon vor über 20 Jahren geführt wurde. Einer, der sie auch damals schon anregte: der Abgeordnete Norbert Lammert.
Anders als damals ist Lammerts Initiative heute aber auch als Kritik am bestehenden Programm zu verstehen: an Phoenix. Phoenix startete 1997 als öffentlich-rechtlicher Parlamentskanal. Heute nennt er sich allerdings Dokumentations- und Ereigniskanal. Der Sender, der Bundestags- und Ausschussdebatten überträgt, schaltet weg, wenn außerhalb etwas Wichtiges passiert. Geht während einer Debatte ein Parteivorsitzender vor die Presse, kann es sein, dass Phoenix dorthin schaltet. Klaus Radke, scheidender Phoenix-Programmgeschäftsführer, sagt, Gesetze würden zudem nicht nur im Bundestag gemacht, sondern auch im Bundesrat, weshalb man auch von dort übertrage.
Die Frage im Kern der Debatte ist nur: Ist dann noch ausreichend transparent, was im Bundestag passiert? Abgeordnete aller Fraktionen haben sich zu Lammerts Vorhaben geäußert - 130 unterstützen seine Initiative. Doch es gibt viele unbeantwortete Fragen. Etwa: Würde die vorgeschriebene Staatsferne des Rundfunks berührt, wenn das Parlament einen eigenen Kanal hätte? Einem Gutachten, das die Frage verneint, stehen die Zweifel anderer Medienrechtler gegenüber. Und Monika Griefahn (SPD) sagt, sie halte es für "problematisch, eine Hofberichterstattung zu machen".
Auch der FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto, der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, ist skeptisch. "Ich sehe dafür weder eine ausreichende Nachfrage noch ein Bedürfnis", sagt er. Denn die Debatten des Bundestags können - abgesehen davon, dass Phoenix viele von ihnen zeigt - bereits im Internet verfolgt werden, als Livestream. Er argumentiert im Grunde für mehr Übertragung in den öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen: "Ich möchte nicht anderen den Vorwand liefern, nicht mehr über Politik berichten zu müssen." Und ein bundesweit empfangbarer Parlamentskanal könne ein solcher Vorwand sein.
Dagegen, die Debatte überhaupt zu führen, ist dennoch kaum jemand. Grietje Bettin etwa, medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sagt: "Ich bin prinzipiell für mehr Übertragung aus dem Bundestag" - und sie teile auch durchaus die Kritik an Phoenix.
Nur das Wie steht in Frage. Klaus Radke von Phoenix sagt, es gehe darum, den Parlamentarismus zu stärken, und er sei jederzeit bereit, sich an einen Tisch mit Vertretern des Bundestags zu setzen. "Natürlich", sagt er, "ist es manchmal schwer für ein Parlament, in puncto Spannung mit den Bühnen der Fernsehdemokratie - den Talkshows - zu konkurrieren." Man könne eine Debatte freilich nicht wie eine Talkshow führen. Aber, sagt Radke - und das wäre eine Frage der Geschäftsordnung des Bundestags -, "man kann das belebende Element von Rede und Gegenrede stärker machen".
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