Lage in der Ukraine: Auch Trump sorgt für trübe Aussichten
Zwischen Raketenterror und Stromausfällen ist das Land nach fast vier Jahren Krieg erschöpft. Der sogenannte „Friedensplan“ macht wenig Hoffnung.
Kyjiw war in den vergangenen Tagen häufig in dichten Nebel gehüllt. Auf dem zentralen Maidan-Platz war die Ukraina-Statue nur schemenhaft zu erkennen. Und der Präsidentenpalast auf einem naheliegenden Hügel verschwand oft vollständig.
Wie das Wetter sind auch die Stimmung und die Zukunftsaussichten trüb. Von der Front gibt es hauptsächlich schlechte Nachrichten und Trumps neuer sogenannter „Friedensplan“ sorgt für mehr Verzweiflung als Hoffnung.
Überall in den Straßen hört man Generatoren brummen. Denn bis zu 16 Stunden am Tag gibt es keinen Strom aus dem Netz. Läden, die im Geschäft bleiben wollen, kommen ohne eigene Notstromquelle nicht aus.
Diana ist früher zur Arbeit im Friseursalon gekommen. „Hier ist es warm und es gibt Strom“, erklärt die junge Frau mit dem Halstattoo. Der Laden habe einen großen Akku. In der Nacht hatte es Alarm gegeben. Sie gehe dann immer in die nahe gelegene U-Bahnstation Lukyanivska. „Die ist fast 50 Meter tief.“ Mit Isomatte und Augenklappe versuche sie Schlaf zu finden. In ihrer Wohnung habe sie zu viel Angst. Denn die befindet sich in dem Viertel, das am häufigsten Ziel russischer Raketen ist.
Zwischen Luftangriffen und Feiertagen
Russland zerstört systematisch die Energieerzeugung und die Übertragungsnetze in der Ukraine. Besonders die Angriffe mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen kann die ukrainische Luftabwehr schlechter abwehren als in den vorangegangenen Wintern. Bei den russischen Angriffen mit Drohnen sind Frequenz und Menge deutlich höher. Deren Startplätze und Produktionsanlagen kann die ukrainische Armee mangels weitreichender Waffen selten erreichen.
In den vergangenen Tagen beging die Ukraine gleich zwei bedeutsame Feiertage. Zuerst den „Tag der Würde und der Freiheit“: der erinnert am 21. November an die beiden Revolutionen, die in diesem Jahrhundert an diesem Datum begannen. 2004 wehrte sich die Bevölkerung mit friedlichen Protesten gegen eine gefälschte Präsidentschaftswahl, die den russlandfreundlichen Viktor Janukowitsch ins Amt bringen sollte.
2013, nachdem dieser es tatsächlich zur Präsidentschaft geschafft hatte, begannen die Maidan-Proteste gegen seine Abkehr von der Annäherung an die EU und gegen die überbordende Korruption. Nachdem Janukowitsch im Februar 2014 vom Parlament abgesetzt wurde, besetzte Russland die Krim und begann den Krieg um den Donbass.
Nataliya, Sanitäterin in der ukrainischen Armee
Der zweite Gedenktag am Samstag, 22. November, war den Millionen von Toten gewidmet, die die von Stalin angeordnete Aushungerung der ländlichen Gebiete der Ukraine in den 1930er-Jahren forderte – der Völkermord namens Holodomor, „Tod durch Hunger“.
In diese emotionalen Tage ist nun der „Friedensplan“ der USA und Russlands geplatzt. Seine 28 Punkte lesen sich wie ein Wunschzettel des Kreml. Das angegriffene Land soll Gebiete aufgeben, die es bislang kontrolliert, seine Armee drastisch verkleinern und niemals der Nato beitreten oder ausländische Truppen stationieren dürfen. Es könnte sich also kaum noch wehren. Als Gegenleistung soll Russland, dass schon zweimal in die Ukraine eingefallen ist, lediglich versprechen, das künftig nicht mehr zu tun.
Die Würde verlieren oder den wichtigsten Verbündeten
Das finden viele unausgewogen und unrealistisch. „Ich habe nichts erwartet und bin dennoch enttäuscht“, sagt Katya, die in der IT-Branche arbeitet. Nataliya weiß, was der Krieg an der Front bedeutet, die 47-Jährige ist Sanitäterin in der ukrainischen Armee. „Natürlich wünsche ich mir, dass unsere Leute nicht mehr sterben müssen“, sagt sie. Aber an den 28-Punkte-Plan glaubt sie nicht. „Wenn das so beschlossen wird, tickt die Uhr bis zum nächsten Angriff Russlands. Entweder auf uns oder ein anderes Land.“
Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Ansprache an das Volk am Freitagabend, die Ukraine stehe nun vor der Wahl, ihre Würde zu verlieren oder ihren wichtigsten Verbündeten. Die Ukraine habe sich immer für die Würde entschieden. Aber er räumte auch ein, wie geschwächt das Land mittlerweile ist. „Wir sind aus Stahl, aber auch Stahl bricht irgendwann.“
Switlana steht in einer dicken Jacke an einem Souvenirstand auf dem Maidan. Ihre Familie kommt aus einer Kleinstadt im Osten des Landes, die in Trümmern liegt und teilweise russisch besetzt ist. Alles sei sehr, sehr schwer, sagt sie. Je länger der Krieg dauere, desto weniger Hoffnung habe sie. Was Trumps und Putins Emissäre ausgehandelt haben, möchte sie nicht kommentieren. Dann kommen ihr die Tränen.
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