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taz FUTURZWEI

Lage der Grünen nach den Wahlen Pragmatisch, vernünftig, stabil

Die Zustimmung für die Grünen ist zwar nicht so berauschend wie 2019, doch die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen zeigen: Es gibt längst ein stabiles Fundament für ihre pragmatische Zukunftspolitik.

Können sich mittlerweile über ein stabiles Elektorat freuen: Grüne Spitzen. Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler

taz FUTURZWEI | Woher kommt dieser Hass auf die Grünen? Die Antwort ist einfach: Weil sie machen, was sie erfolgreich macht. Ihre Wahlergebnisse in Bayern (14,4 Prozent) und in Hessen (14,8 Prozent) sind schlechter als bei der Vorwahl, doch sie zeigen ihr mittlerweile stabiles Fundament im Elektorat.

Auch im Bund gibt es inzwischen 15 Prozent Grüne Stammwähler, Tendenz ausbaufähig. Die Grünen sind die kundigen Transformer in der Republik. Sie führen, wenn auch nicht aus dem Kanzleramt, die Bundesrepublik auf ihrem Weg ins ökologische Zeitalter.

Vizekanzler Robert Habeck hat ungeachtet des Runterschreibens seiner Politik in den Medien und den vorm Untergang warnenden anderen Parteien mit dem fest geplanten Ausstieg aus Gas, Kohle und dem Festhalten am Atomausstieg die Pfade für den Aufbau einer fossilfreien Wirtschaft vorgegeben.

Neue wirtschaftliche Chancen

Der beschleunigte Ausbau der Regenerativen und der deutschlandweiten Netze, die Vorbereitungen für den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur, die für den Übergang ausgebaute LNG-Lieferstruktur sowie das Wiederhochfahren einiger Braunkohlemeiler für den Übergang bilden ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Energiewende. Der Innovationschub für Wärmewirtschaft durch die Heizungsgesetze und die verpflichtenden Wärmeplanung der Kommunen bis 2026 öffnet große und bisher noch gar nicht überschaubare wirtschaftliche Chancen für die Wärmeindustrie.

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Die systematische Förderung und der Ausbau aller Dienstleistungssektoren für die Vertiefung der Digitalisierung und der KI in allen Produktionssektoren ermutigen zu planbaren Großinvestitionen in neue Technologien. Der Strompreisdeckel für die Industrie macht nicht zu Unrecht vielen Marktwirtschaftlern und Gerechtigkeitspolitikern Sorgen, vor allem wegen der Mitnahme-Effekte. Aber der Deckel ist ein Angebot der Regierung an die Wirtschaft, die Zusammenarbeit auf dem Weg in die Ökowirtschaft zu vertiefen, was der Umbaubereitschaft der deutschen Wirtschaft entgegenkommt.

Grüner Kapitalismus ist mit Habeck kein leeres Versprechen mehr. Besser hätten das CDU oder SPD nicht hinbekommen, wenn sie es denn überhaupt versucht hätten.

Keine Beruhigungspillen fürs Volk

Die Wirtschaftspolitik der Grünen ist pragmatisch. Sie macht Zugeständnisse, die die Alles-auf-einmal-Helden des politisch Korrekten leiden lassen, aber für den Weg in die Ökowirtschaft feste Pflöcke einschlägt. Die Forderungen von CDU und FDP nach Steuersenkungen als Investitionsanreize folgen der alten Leier von der sich selbst heilenden Magie des Marktes. Sie wären aber nur Wahlgeschenke für die ohnehin ungefährdeten Besserverdienenden, sie wären Beruhigungspillen fürs Volk, die ökologisch und ökonomisch wirkungslos blieben.

Das Gerede von der Notwendigkeit des Mitnehmens der nicht gehörten Massen in der angeblich verarmenden Republik ist populistisches Anbiedern an verunsicherte Bürger. Die Vorstellung, dass die Mehrheiten der Leute freiwillig die realen Kosten für ihren Energieverbrauch, für ihre individuelle Mobilität, für das unvermeidbare Steigen der allgemeinen Lebenshaltungskosten in der Transformation nicht nur hinnehmen, sondern begeistert mittragen könnten, ist wirklichkeitsfremd.

Warum sollten die Leute sich für eine Ökozukunft begeistern, wenn sie davon nur Einschränkungen erwarten können? Weil sie wissen, dass nichts so bleiben wird, wie es gerade funktioniert, dass sie dafür bezahlen werden, hassen einige die Grünen, was die aber nicht beunruhigen muss.

Ökozukunft geht nur mit Vernunft

Wir leben im 21. Jahrhundert. Die Gesellschaft hat mit guten Gründen die Nase voll von ideologischen oder religiösen Zukunftsversprechen jeder Art. Das gilt auch für die Erzählung von einem Einmünden der Zivilisation in ein von jeder menschlichen Selbstüberhebung freies Leben als Teil der natürlichen Welt. Ein solcher Glaube an die große Harmonie alles Lebendigen auf der Erde und der dazu gehörende religiöse Eifer werden kein realpolitisches Gewicht gewinnen. Diese Lektion hat die Mehrheit der Grünen wohl gelernt.

Der Weg in die Ökozukunft der Zivilisation kann nur ein von Vernunft geprägter und vom Machbaren bestimmter Pragmatismus sein. Ein zielorientierter, fakten- und wissensbasierter Pragmatismus, der für eine Kultur von Versuch und Irrtum offen ist. Ein Pragmatismus, der den Gebrauch der natürlichen Ressourcen und die Strukturen des gesellschaftlichen Lebens so neu organisiert, dass die unvermeidbaren kollateralen Wirkungen und Kosten soweit als möglich eingegrenzt werden.

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

taz FUTURZWEI N°26 hier bestellen

Die grüne Wirtschaftspolitik von Robert Habeck ist auf diesem Weg in den letzten zwei Jahren ein gutes Stück vorangekommen. In diese Erfolgsbilanz gehört in der Umweltpolitik auch der von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) entscheidend voran gebrachte Ozeanvertrag, das erste weltweit geltende Meeresschutzabkommen. Mit diesem Abkommen haben sich fast 70 Länder der Erde völkerrechtlich verbindlich verpflichtet, die Meere als Basis des Lebens der Menschen auf der Erde dauerhaft zu schützen.

SPD und FDP ohne eigene Konzepte

Die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen sind nicht so berauschend wie in der oppositionellen Hochphase um 2019 herum. Doch sie bestätigen den grünen Regierungspragmatismus in den Ländern und im Bund. Ihre Arbeit zeigt Wirkung.

SPD und FDP haben keine eigenen Zukunftskonzepte, verharren in ihren traditionellen verteilungspolitischen und marktliberalen Erzählungen und verlieren damit weiter an Zustimmung. Die CDU/CSU profitiert von der Anti-Ampel-Stimmung, ist aber weit entfernt von eigenen Mehrheiten.

Sie kann entscheiden, ob sie sich mit den Grünen auf einen pragmatischen Weg in die Ökozukunft der Republik einlässt, wie es im Augenblick geräuschlos in Hessen, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen geschieht, oder ob sie sich von Populisten und der AfD vor sich hertreiben lassen will – so wie das der CSU in Bayern passiert ist.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.

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