■ Ladenschluss: Unternehmer lernen zivilen Ungehorsam: Kalkulierter Rechtsbruch
Die Gewerkschaften spucken Feuer: Rechtsbruch! Unverschämtheit! Verlotterung der Sitten! Das zeigt ihre Hilflosigkeit im Kampf um die Zukunft der Ladenschlusszeiten. Wenn die Stadtverwaltungen in Dessau und Halle den Geschäften einfach den Sonntagsverkauf erlauben und der Kaufhof am Alexanderplatz in Berlin kurzerhand am Sonntag aufsperrt, dann können die Gewerkschaften schreien, drohen, klagen. Es hilft nichts, sie sind in einer Verteidigungsposition. Da können sie um Mitleid bitten für die armen ausgebeuteten Verkäuferinnen, deren süße Kinder nicht mal sonntags eine Mutti zum Spielen haben – umsonst, sie werden die Spielverderber der sonntäglichen Einfkaufsfeste sein.
Die Strategie der Abends-, Samstags- und Sonntagsöffnungs-Fans ist genial: der kalkulierte Rechtsbruch. Sie verweigern etwas, zu dem sie eigentlich verpflichtet wurden, und tun das, was eigentlich verboten ist. Es ist ein politisches Mittel, das sich der Metro-Konzern, zu dem auch Kaufhof gehört, und deregulierungsfrohe Politiker in der Geschichte abgeguckt haben – ausgerechnet von Demokratiekämpfern und der deutschen Studentenbewegung.
Diese Strategie konnte im Fall der Ladenschlusszeiten insofern leicht übernommen werden, als es Vorarbeiten von Regierungspolitikern gab. Länderregierungen wie die von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen haben das Ladenschlussgesetz durch rechtlich ohnehin schon fragwürdige Sonderregelungen etwa für „Toursimus“, „Kurbetrieb“ oder „Service für Reisende“ aufgeweicht. Diese durchgängigen Ausnahmebestimmungen machen es den Rechtsbrechern einfach, ihre Verstöße mit Hinweis auf die Konkurrenz zu rechtfertigen. Nun ist der Damm gebrochen. Der Erfolg zeigt sich darin, dass Landespolitiker in die öffentlichkeitswirksame Widerstandsinszenierung einsteigen und gleich verlangen, nun könne ja gleich das ganze Ladenschlussgesetz abgeschafft werden. Weil sich ja sowieso niemand mehr dran hält.
Die Strategie des kalkulierten Rechtsbruchs hat perfekt funktioniert. Zu allem Überfluss wurde aus der Geschichte des zivilen Widerstands nicht nur das Vorgehen, sondern auch die Terminologie kopiert. Schon ist vom „zivilen Ungehorsam“ der Käuferinnen und Käufer die Rede, gar von „Abstimmung mit den Füßen“. Fehlt nur noch, dass Kaufhof mit „Wir sind das Volk“-Plakaten wirbt und die Metro-Konzern-Vorstände im Fernsehen im Kostüm von Mahatma Gandhi auftreten. Georg Löwisch
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