La Graciosa: Fische als gesegnete Kerzenhalter
Die kleinste bewohnte Kanareninsel hat ihre Ursprünglichkeit und ihre schönen Strände erhalten. Und manche träumen sogar von der unabhängigen Republik.
Das spanische Wort „gracioso“ kann viele Bedeutungen haben. Von „witzig“ und „lustig“ über „anmutig und graziös“ bieten die Wörterbücher die verschiedensten Übersetzungen an. Doch welche wäre die richtige für Lanzarotes kleine Schwester? Wir stehen am Mirador del Río, einem grandiosen Aussichtspunkt, den der Architekt César Manrique in 475 Meter Höhe in die Felsen von Famara gebaut hat.
Etwa tausend Meter von der Küste entfernt liegt ein wüstenähnliches Stück Erde im Atlantik. Flach, hellbeige, ohne Bäume und nur spärlich besiedelt, zeichnen sich lediglich ein paar braune Vulkanberge darauf ab. Was ist das für ein rätselhaftes 27 Quadratkilometer großes Eiland, das da in der Meerenge des Chinijo-Archipels sein Eigenleben führt?
Achterbahnfahrt auf dem Katamaran „El Gracionero 2“ vom Hafen von Orzola auf Lanzarote. Der Katamaran kämpft sich über die Wellen, immer wieder schwappt Wasser über Bord. Vor uns liegt Caleta del Sebo, der Hauptort von La Graciosa. Kein richtiges Hafendorf, eher eine planlose Häuseransammlung, die im Rhythmus der an- und abfahrenden Schiffe lebt. Ein- und zweistöckige, weiße Häuser mit blau oder grün umrandeten Fenstern und Türen. Sandwege ersetzen die Straßen.
Anreise: Auf Lanzarote geht es von Arrecife per Bus nach Órzola, wo mehrmals täglich ein Schiff nach La Graciosa abfährt. Die Fahrt dauert eine knappe halbe Stunde. Alternativ dazu kann man auch das etwas teurere Wassertaxi nehmen (Fahrpläne unter www.lanzarote.com).
Wohnen: Neben einigen Pensionen und Apartments (bis 60 Euro pro Tag) kann man kostenlos auf dem Naturcampingplatz südlich von Caleta del Sebo wohnen. www.lagraciosa.de oder www.graciosa -canarias.com
Weitere Informationen: Lanzarote Tourismus,Tel. (00 34) 9 28 81 17 62,
www.turismolanzarote.com oder beim Spanischen Fremdenverkehrsamt unter www.spain.info
Diese Reise wurde vom spanischen Fremdenverkehrsamt unterstützt.
Das Heil hängt vom Fischfang ab
Die kleinste bewohnte Kanareninsel ist zugleich die größte des Chinijo-Archipels mit den Eilanden Alegranza, Montaña Clara, Roque del Este, Roque del Oeste und Roque del Infierno. Am Hafen gibt es einige Bars, die Cafetería Mesón de la tierra, einen Fahrradverleih und die kleine Filiale der Supermarktkette Unión Castillo. Auch ein paar Schmuckverkäufer, die bei Ankunft des Schiffs Kettchen und Uhren auf dem Boden ausbreiten. Aber keiner buhlt hier um die Gunst der Touristen. Ungerührt laufen viele Bewohner barfuß von Haus zu Haus, in der Hand eine Einkaufstasche, die Gesichter verschwinden unter den für die Insel typischen Strohhüten mit schmaler Krempe.
Das Heil der Gemeinde hängt vom Fischfang ab, das zeigt deutlich die Kirche. Neben der Kanzel in Form eines Steuerrads hängt ein riesiges, mit Netzen geschmücktes Holzboot über dem Altar. Mal dienen zwei gekreuzte Ruder, mal auf dem Schwanz stehende Fische als Kerzenhalter. Und daneben steht ein kunstvoll geschnitzter Stuhl in Form einer Muschel.
Lange Zeit waren die Männer von La Graciosa fast ausschließlich mit Fischen beschäftigt, während die Frauen nach Lanzarote hinüberfuhren und das Fanggut in Körben auf dem Kopf die steilen Klippen von Famara hinaufbalancierten, um es in Haría gegen Obst, Gemüse, Wein oder Öl einzutauschen. Inzwischen lebt die Insel auch vom Tourismus. Vor allem von der inseleigenen Reederei, die den Schiffsverkehr mit Lanzarote sicherstellt. Mit den Unterkünften lässt sich weniger verdienen – sie beschränken sich auf einige Pensionen und privat vermietete Apartments.
Bebauungspläne für größere Hotelanlagen gab es schon viele. Doch konnten sie weder Manuel Fraga, Francos Tourismusminister, noch César Manrique, der auf Lanzarote so gelungene Bauten schuf, verwirklichen. Noch immer behauptet sich beispielsweise La Margarona, Besitzerin des gleichnamigen Supermarkts und energische Bürgermeisterin, erfolgreich gegen potenzielle Investoren. „La Graciosa Republik“ steht auf einem Plakat, das an der Scheibe ihres Ladens hängt. Und wenn die meisten, die davorstehen, schmunzeln – ihr ist es als Mitglied des Partido Independentista, der kanarischen Unabhängigkeitspartei, durchaus ernst.
Segensreiche Naturschutzauflagen
„Natürlich wären wir allein nicht lebensfähig“, räumt sie ein, während sie an der Supermarktkasse sitzt, die Kunden bedient und gleichzeitig mit ihrem Handy telefoniert. „Aber wir träumen immer wieder davon, uns von Teguise (der zuständigen Gemeinde auf Lanzarote) unabhängig zu machen.“
Wie könnten die Insulaner es schließlich hinnehmen, dass sie immer weiter in ihren Rechten beschnitten werden? Sie dürften immer weniger Fisch fangen, keine Pilze mehr sammeln und auch nicht mehr wie früher an irgendeiner beliebigen Bucht vor Anker gehen. Demnächst wird sie wieder zu einer Demonstration gegen die Behördenwillkür aufrufen. Immerhin haben die strengen Auflagen der Naturschutzbehörden der Insel gutgetan.
Abgesehen davon, dass La Graciosa zu den größten Meeresreservaten der Welt gehört, das den seltenen Monachus-Robben, Turmfalken, Schleiereulen und Aschensturmvögeln Schutz bietet und demnächst auch vom Aussterben bedrohte Seehunde von den Küsten Mauretaniens beherbergen soll, haben sich hier mehr als ein halbes Dutzend herrliche unverbaute Strände erhalten.
Playa Francesa, Playa Cocina, El Salado, La Laja, Las Conchas. Wer Wind und Einsamkeit nicht scheut, sollte auf dem Naturcampingplatz zelten. Die Benutzung der sanitären Anlagen ist sogar kostenlos. „Aber wehe, wenn du Müll zurücklässt“, warnt Marcos. „Dann ist der Strafbefehl der Umweltbehörde schneller bei dir zu Hause als du selbst.“
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