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La Beaute des Hommes

■ Die 2.Ave, Modemesse für Gläubige

Auf 600 Quadratmetern drängelten sich die Premierengäste an den kleinen Ständen vorbei. Die Männer trugen Gel im Haar oder Zopf, ganz große oder ganz kleine Brillen und schwarze Jacken, die Frauen immer noch diese riesigen, kreisrunden Ohrringe zum Festhalten und viel Rot auf den Lippen. Allein Penny Lane's Frisiersalon wagte sich ungeschminkt in die Menge. Gaby Heimberg, Firma Philip Morris und Markus Scholz hatten zur zweiten Ave geblasen, zur Gegenmesse zur Gegenmesse zu den großen Messen. Jenseits der Off-line, die sich längst zur Verkaufsmesse für DesignerInnen mit Karriereabsichten entwickelt hat, sollte ein neues Forum für die Kreativen entstehen, die ihre Kollektionen nicht nach dem Prinzip „Individuell - aber bitte gepflegt!“ entwerfen.

Vierzig Off-DesignerInnen aus Berlin und Gäste aus Wien und Florenz waren ihnen gefolgt. Drei Stunden lang wurden ihre Kollektionen von den Models über den Laufsteg getragen, vor dem sich das Publikum drei Stunden lang begeistert Armani, unausrottbares Poison, Zigarrenrauch und Pupse um die Nasen blies. Drei lange Stunden gute Laune, Lächeln und todernste Mienen, Hüftgeschiebe und Armwedeln, Grätschsprünge und Feuerspucken, Peitschenhiebe und Kußhändchen um die „schönste Nebensache der Welt“.

Für die Damen zwischen Cafe Einstein und Bee-Hive gab es das ewig Tragbare: nette Blusen und artige Jacken, alles nicht mehr so breitschultrig, und kuschelige, ponchoartige Mäntel, gut im First-class-Abteil der Bundesbahn zu tragen, für Vernissagengängerinnen Nadelstreifenhosen von Donna Bowers mit schwarzen Hemden, vorn zu kreuzen und hinten zu binden. Zum Cocktail, der Club-Eröffnung und dem lang ersehnten Rendezvous abends um zehn im In-Restaurant drei Ecken weiter wurde den Damen wie stets empfohlen, zu den roten Lippen in das kleine Schwarze zu schlüpfen. Gestrickt, in der Mitte geteilt bauchfrei und mit Hosenträgerclips zusammengehalten, tief dekolletiert, mit buntem Stoff auf Draht, geschlechtsmerkmalebetonenden Rüschen, grünem Tüll, wildem Saum oder einfach so.

Wahre Gläubige tragen so etwas, wenn sie bei Karstadt am Hermannplatz die Lebensmittelabteilung stürmen, denn sie führen bei festlichen Gelegenheiten längst Gewagteres aus, z.B. Haute Couture in Schwarz und Purpur, schwer zu bändigende Schleppen und Troddeln in Hüfthöhe aus dem Haus Arne Bäss; „Ganzkörperorganhüllen“ aus raffiniert geschlungenen Plastiktüten, Unisex auch für den Herren, aus der Kollektion Krüger; kubische Kleider, echte Space-Röcke mit locker geschlungenem Maschendraht, Autobahnen über der Brust und falsches Gras. Die passenden Accessoires lieferten UTA, Hüte mit ganzen Stadtteilen obendrauf, und Fiona Benett: Kopfbedeckungen mit Hähnen, Ohrenschnecken und Gummihandschuhen und Kappen für Einäugige.

Die Wahl zwischen dem, was ohnehin schon im Ankleidezimmer hängt, und der Garderobe, die sich nur auf Festen in Fabriketagen mit einer Mindestfläche von 1.000 Quadratmetern präsentieren läßt, wird den Damen schwer fallen. Glücklich dagegen können sich die Herren preisen, denn auch die Off -Off-Szene hat die Schönheit des Mannes entdeckt: bemalte Lederhosen und samtene Boleros in Petrol, Burgunder und Violett, aus Paisley, Patchwork, mit Bommeln und Elefanten zierten schmale Jünglingskörper; für den breitschultrigen Recken zeigte das Haus Difol röhrenden Teppich auf Hirsch mit Fransen, den Jünglingsbeinen schmeichelten zierliche Pumphosen, die zu Springerstiefeln und Seidenstrumpfhosen getragen werden. Neckische Glöckchen und Knöpfchen gaben dem Gang den rechten Swing.

Der Dandy hüllt sich in diesem Winter in kuschelige Mäntel in ultramittelmeerblau und arktisgrün und läßt sich von seinem Begleiter den Seidenschal aus dem Kragen lupfen. Bei Zimmertemperaturen dagegen entblößt er kitzlige Partien wie Bauch und Achselhöhlen (Difol) und zeigt beim Abstreifen seiner Jacke seinen mit Paisley herausgearbeiteten Popo. Mehr Zucht erwartet dagegen Marion Miltenburger von den Gläubigen: Mit ernster Miene schwebt der Herr im Priestergewand übers Parkett. Einsame Spitze am Himmel der keuschen Männermode: Die Samuraikämpfer der Gelben Gefahr: Bewehrt mit Goldplatten auf männlich starker Brust und ebensolchem Rücken sprangen sie aufeinander los, die weiten Hosen flatterten und wurden nur von den breiten Schärpen am Davonfliegen gehindert. Der indignierte Gentleman schaute sich das Drama in klassischen, zum Verlieben anthrazitgrauen Jacken und den schönsten, weitesten, festesten, bescheidensten, blauesten, safrangelbsten, stehbündigsten Hemden an, die die Welt der Gläubigen je sah.

Daß Männer sich nicht mehr für verbeulte Unterhosen schämen wollen, ist bekannt, seit Nikos die Kleiderschränke füllt. Moidi Kretschmann aus Wien verpaßte der männlichen Intimsphäre jedoch den letzten Schliff: Seiden-Dessous, lachsfarben, violett und taubengrau, an den Seiten zart durchstochen, Ösen im Schritt, Pailetten vorn und die Pofalte empor, durchscheinend oder ganz durchsichtig an hauchdünnen Fäden hängend, mit Seidenschleier und weißen Blütenspitzen um freigelegte parties sexuelles. Les hommes sont dans tout l'eclat de la beaute!

La desillusion subjective folgte auf dem Fuße. Himmelhochjauchzendzutodebegeistert bestürmte ich meine Begleitung, ob ich ihm einmal ein neues Hemd... „Du weißt doch, ich bin ein Modemuffel“, lautete die lakonische Antwort. Er wird wohl nicht der einzige sein.

Claudia Wahjudi

2.Ave-Modemesse für Gläubige, Osloer Fabrik, Osloer Straße 12, bis 18.9., täglich ab 16 Uhr. Shows um 19, 20 und 21.30 Uhr, Freitag und Samstag Extras.

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