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LEUCHTEN DER MENSCHHEIT von TIM CASPAR BOEHME Menschen sind Schweine

Schweine haben bei Menschen einen schweren Stand. Sie stehen für schlechte Charaktereigenschaften, es hält sich das Vorurteil, sie seien dreckig, gleich zwei monotheistische Religionen untersagen ihren Verzehr, und in der Regel werden sie unter schweineunwürdigen Umständen gehalten. Zudem sind Schweine vielen Menschen nicht geheuer, so die Beobachtung des Kulturwissenschaftlers Thomas Macho in seinem Buch „Schweine. Ein Portrait“ (Matthes & Seitz, 2015).

Das hat weniger mit der unmittelbaren Bedrohung zu tun, die von ihnen ausgeht. Die Begegnung mit einem Wildschwein mag sich für unvorbereitete Menschen zwar schmerzhaft gestalten, von Hausschweinen hingegen geht kaum Gefahr aus. Der Grund der Angst ist, so Macho, ein anderer. „Schweine sind uns nah und fern zugleich“, lautet der mantraartig wiederholte Satz, mit dem er das gebrochene Verhältnis zwischen Menschen und Schweinen zusammenfasst. Macho sieht in den Tieren unheimliche Doppelgänger des Menschen und nennt als Beispiel den Schluss von George Orwells Roman „Animal Farm“, in dem die Grenze zwischen Mensch und Schwein zu verschwimmen beginnt.

Macho, der als Kind noch Schweine im Stall erlebt hat, erinnert sich, dass ihn die Szene einer Schlachtung bis in seine Träume verfolgt habe: „Sie schreien wie Menschen, wenn sie umgebracht werden.“ Und während es in Havanna oder Mexiko-Stadt immer noch Schweinebestände im sechsstelligen Bereich gibt, sind die 60 Millionen Schweine in Deutschland, die im Jahr – überwiegend im Oldenburger „Schweinegürtel“ – geschlachtet werden, praktisch unsichtbar. Da die Schweine bloß für ihr Fleisch gezüchtet werden, bliebe ihre Domestikation prekär: Sie wurden immer schon zum Töten gehalten, um das Überleben ihrer Züchter zu sichern. Beziehungen zwischen Menschen und Hunden etwa sind weniger asymmetrisch.

Schließlich manifestiert sich die Ambivalenz im Verhältnis zu Schweinen in den Speisetabus: Dass Schweinefleisch in Judentum und Islam als unrein gilt, kann zwar nur eingeschränkt rational begründet werden. Doch „Schmutz“ ist eben hartnäckig.

Der Autorist ständiger Mitarbeiter der Kulturredaktion und Sternzeichen Schwein

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