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LAN-Party unter AbgeordnetenBallerei im Bundestag

Abgeordnete durften im Parlament Computerspiele selbst testen, statt sie aus der Ferne zu beurteilen. Auch das umstrittene Actionspiel Counter-Strike wurde gezockt.

Wo muss man hier drücken? Ratlosigkeit unter den Politikern auf der ersten LAN-Party im Bundestag. Bild: imago/MiS

BERLIN taz | Zwei Anzugträger mit Krawatten schwingen vor einem Bildschirm die Arme im virtuellen Tennismatch. Ein paar Meter weiter steppt ein Abgeordneter unbeholfen die Tanzschritte auf dem Monitor nach. Nur wenige knöpfen für das Shooter-Spiel Counter-Strike ihre Anzüge auf und setzten sich an den langen Tisch, auf dem Laptops aufgereiht sind.

Sofort zückt die Journalistenmeute Kameras und Mikros - geht's jetzt los? Von wegen: "Welche Knöpfe muss ich drücken?", fragt Patrick Kurth (FDP) einen der Profi-Gamer neben ihm. Die erste Politiker-LAN im Bundestag ist weit entfernt davon, eine LAN-Party zu werden. Die Computer sind zwar über Kabel vernetzt, aber die Sounds der Ballerspiele kaum hörbar. Kein Spiel dauert länger als ein paar Minuten, und wirklich gegeneinander spielen sie hier auch nicht.

Von den 600 geladenen Abgeordneten sind nur knapp 50 gekommen, und davon sind die meisten von der FDP, der Gastgeber-Partei. Counter-Strike-Gegner wie der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, halten sich fern. "Wozu soll ich lernen, wie man ein Killerspiel wie Counter-Strike spielt?", sagte er vor der Politiker-LAN dem Spiegel. Initiator Jimmy Schulz von der FDP hat die Antwort: "Politiker sollten öfter selbst erleben, worüber sie entscheiden." Keine schlechte Idee, nur: Wer hier mitspielt, ist ohnehin der Meinung, dass die Spiele nicht die Ursache sind für Amokläufe wie in Winnenden 2009. Der letzte Vorstoß, Computerspiele wie Counter-Strike zu verbieten, ist aber genauso lange her und kam aus der unionsdominierten Innenministerkonferenz. Die Debatte selbst ist noch viel älter und wird vermutlich wieder aufflammen, egal wie viele LAN-Partys noch folgen.

Aber hier soll es natürlich nicht nur um Shooter-Spiele gehen. Schließlich wird das ganze Repertoire an Computerspielen präsentiert. Bewegungs- und Sportspiele, Denk- und Strategie-Spiele. Den vielen digitalen Immigranten, also den vor 1995 Geborenen, helfen professionelle Gamer, die überall stehen und die Spiele erklären, Tipps geben oder auch einspringen, wenn Mitspieler fehlen.

Noch mehr pädagogischen Input lieferte ein Vortragsprogramm. Die für die Presse abgespulte Version davon enthielt nichts Neues: Computerspiele haben wie analoge Spiele viele Vorteile von sozialer Interaktion über die Schulung von Ausdauer und Motorik bis hin zu motivierenden Erfolgserlebnissen. Eltern-LANs, bei denen auch Erziehungsberechtigte Einblicke in die digitale Lebenswelt ihrer Kinder erhalten, gibt es auch schon seit geraumer Zeit und trotzdem muss an der Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen weiter gefeilt werden. Auch die Drogenbeauftragte Mechtild Dyckmans (FDP) taucht für ein paar Minuten auf und sagt noch schnell, wie wichtig solche Veranstaltungen seien, um aufzuklären über die Vorteile und auch die Risiken von Computerspielen. Damit wären dann endgültig alle Facetten zum Thema Computerspiele präsentiert.

Wahre Endgegner, wie Hans-Peter Uhl, sind damit wohl kaum besiegt. Dabei gibt es Computerspiele so lange wie die Rechenmaschine selbst. Auch Dorothee Bär, CSU-Netzrat-Vorsitzende und Mitinitiatorin der missglückten LAN-Party, gab eine Presseerklärung zum Kulturgut Computerspiel ab. Bis das bei allen Politikern angekommen ist, muss wohl noch viel im Bundestag gedaddelt werden.

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8 Kommentare

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  • J
    JML

    "Politiker sollten öfter selbst erleben, worüber sie entscheiden." Richtig: Zwangsdienst für Bundestagsabgeordnete, die für Kriegseinsätze stimmen, in ihrem 'Zielgebiet'.

  • I
    Ingo

    Frau Zypries sagte dort folgendes:

     

    "Wie es gibt sowas wie eine Bundesliga für Counterstrike?"

     

    Und die gibt es seit 1997 die ESL.

     

    Aber Verbote fordern, von Sachen, die man nicht kennt.

    Typisch Raumschiff Berlin.

  • G
    geheim

    "Politiker sollten öfter selbst erleben, worüber sie entscheiden."

    Ja finde ich auch. Als nächste Event schlage ich vor: Einen Tag mit Harz IV.

    Und damit sich die Politiker zurechtfinden werden sie von langjährig erprobten Harzern beraten. Bin gespannt wer mit weniger als 15,- € am Tag klar kommen. Ach so, natürlich sollten sie schon Tags zuvor angemessen eingekleidet werden. Und der obligatorische Besuch beim mindestens 4,- € entfernten Amt sollte ebenfalls nicht fehlen. Es sei ihnen natürlich freigestellt zu laufen.

  • R
    rom

    Das mit den "digitalen Immigranten, die vor 1995 geboren sind", soll hoffentlich ironisch gemeint sein. Es ist trotzdem totaler Blödsinn und gibt dem Artikel den Tenor, dass sich da einer über die ahnungslosen Abgeordneten lustig macht, der aber selber keinen Plan hat. Die "digital natives" wurden natürlich maßgeblich in den 80er Jahren sozialisiert. Insgesamt ist dieser lapidare Artikel wenig hilfreich. Hätte ne schöne Reportage werden können, aber so bleibt nur ein Achselzucken.

  • R
    reblek

    "Zwei Anzugträger mit Krawatten..." Schon mal einen Anzugträger gesehen, der zwei oder mehr Krawatten getragen hat? "Zwei Anzugträger" ist der Plural und die Herren tragen "eine Krawatte".

  • MF
    My first word was "C64"

    "digitalen Immigranten, also den vor 1995 Geborenen"

     

    Hoppla, das kann man so aber nicht stehen lassen. Die "digital immigrants" stellen das Gegenstück der "digital natives" dar. In die zweitere Gruppe können bereits diejenigen fallen, die in den späten Siebzigern geboren wurden und früh mit Computern konfrontiert/sozialisiert wurden. Nicht jeder, der vor 1995 geboren wurde, ist somit automatisch ein "digitaler Immigrant".

  • K
    KFR

    CS und WoW sind wohl weniger für Abgeordnete geeignet,besser mal die Sozial-Kompetenz mit Sims oder mit Strategie-Ausfbau-Spielen die Sim-City o.ä. oder Anno-serien stärken, könnte zu unerwarteter Kompetenz und Einsicht in Zusammenhänge, komplexe Lösungen führen.

  • T
    Tom

    Ich kann mir gut vorstellen, daß vielen Abgeordneten Computerspiele nicht freumd nicht. Nicht alle sind jenseits der 70.

     

    Ich kenne kaum einen zwischen 30 und 40, der nie Kontakt zu Computerspielen. Die wenigsten waren von Geburt an seriöser Jurist und Abgeordneter.

     

    Die Stimmung wird sowieso von den ahnunglosen Hardlinern gemacht ...