Kuschel-Kurs der "Bild" gegenüber Lidl: Bierfreunde helfen einander
Lidl bemüht sich nach dem Spitzelskandal weiter um Schadensbegrenzung. Und nicht nur "Bild" kämpft mit. Aus Krisen-PR wird Hofberichterstattung.
Vor einem Monat kam der Bespitzelungsskandal bei Lidl ans Licht, seitdem bemüht sich der Discounter um Krisen-PR und Charmeoffensiven. Eine Lehre dabei: So was funktioniert besonders gut, wenn man treue Medienhäuser an seiner Seite weiß. Eines davon sitzt schräg über die Rudi-Dutschke-Straße und heißt Springer. "Lidl stellt sich den Fragen der Mitarbeiter und Kunden" steht als Überschrift über einem am 28. April 2008 um 4.00 Uhr früh online gestellten Text auf Welt Online: "Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit haben das Vertrauen von Mitarbeitern und Kunden zu Lidl belastet. Das Unternehmen möchte umfassend und offen informieren", heißt es weiter unter der Rubrik "Welt Dialog". Dass dieser "Welt Dialog" ein Anzeigen-Sonderformat ist, der Beitrag nebst drei weiteren wie normale Redaktionsbeiträge auf Welt Online stehende Texte sich bereits am Sonntag als ganze Lidl-Werbeseite in der Welt am Sonntag fand, steht dort nicht.
Wieso eigentlich? Schließlich hat die Welt anders als ihre Boulevardschwester Bild immerhin überhaupt einigermaßen vollständig berichtet, auch wenn man sich anders als das Gros der deutschen Presse mit einer eigenen Meinung zur systematischen Überwachung der MitarbeiterInnen in rund 100 Lidl-Filialen auffällig zurückhielt: Ein Kommentar war der gedruckten Welt, die für sich stets beansprucht, zu den meinungsbildenden Blättern zu gehören ("Tempelhof: Arroganz der Macht!"), der Lidl-Skandal nicht wert. Anders die Welt am Sonntag: Hier kommentierte der stellvertretende Chefredakteur Romanus Otte.
Doch der Hauptgewinn für treue Dienste geht wie immer an Bild: Als der Stern den Skandal publik machte, druckte Deutschlands angeblicher Agenda-Setter Nummer eins 23 dürre Zeilen im Innenteil - dem Rest des nicht Springer-hörigen Boulevards wars deutlich mehr wert: "Lidl Skandal: Mitarbeiter bis aufs Klo bespitzelt!", lautete zum Beispiel die Schlagzeile auf Seite 1 der Berliner Bild-Konkurrenz Kurier. Übertroffen wurde so viel Rücksichtnahme an einem Donnnerstag - dann und montags sind ja auch immer die Discounter-Sonderangebotsanzeigen im Blatt - nur noch von Springers Berliner Zweitblatt BZ: Das informierte zwar auf seinem BZ-Einkaufszettel darüber, dass bei Lidl die "Katzenvollnahrung Premium, sortiert" für nur 25 Cent pro 100 Gramm zu haben war - zur Bespitzelung stand im ganzen Blatt kein Wort. Allein die BamS legte etwas nach: "Viele Discounter bespitzeln ihre Mitarbeiter", hieß es da zum "Spitzelverdacht" bei Lidl, der am 30. März längst kein Verdacht mehr war.
Bei Bild war dann erst mal Ruhe im Karton. Dass der Skandal den Lidl-Umsatz einbrechen ließ, der Discounter die Kameras abbaute: Die LeserInnen der gedruckten Bild-Ausgabe erfuhren davon nichts. Dafür kam am vergangenen Montag für sie gleich der nächste Schock: "Neuer Preis-Schub bei Lebensmitteln", titelte das Blatt in der Großereignissen vorbehaltenen Buchstabengröße. Quelle? Die Lidl-Chefs Klaus Gehrig und Frank-Michael Mros. Im fast ganzseitigen Interview erklärten sie nochmal, von allem nichts gewusst zu haben, "genau so fassungslos" zu sein "wie alle anderen auch" - und verkündeten eine "Dankeschön-Zahlung" von 300 Euro für die MitarbeiterInnen, die "in dieser Situation so zum Unternehmen gehalten haben". Das Geld können diese gut gebrauchen, denn "es wird einen Preisschub bei Lebensmitteln in den nächsten Monaten geben", so Gehrig. Und dann kamen viele nette Fragen ("Wo kauft der Lidl-Chef ein?", "Welche Lidl-Produkte sind die größten Renner"), dass der nächste Bild-Adventskalender in Kooperation mit Lidl oder eine Wiederauflage der Billigbier-Aktion beider Partner wie zur WM 2006 im Kasten sein dürfte.
Mitverdienen tut Bild am Lidl-Skandal so oder so: Am vergangenen Freitag spendierte Lidl eine weitere Anzeigenseite, auf der sich "betroffene Mitarbeiter zu den Vorwürfen gegen Lidl" äußern - als wäre die Bespitzelung in den betroffenen Filialen nicht längst zugegeben. Anreißer: "Jetzt sprechen Lidl-Mitarbeiter". Schöner hätte das auch die Redaktion nicht formulieren können - von Bild lernen heißt eben siegen lernen. Nur Bild selber patzt: Diese Seite fand sich am Montag (28.4.08) noch im Angebot von Bild.de, doch was Anzeige oder redaktioneller Text ist, kann man nicht erkennen.
Und Lidl-Chef Klaus Gehrig ist weiter auf Charme-Tour durch die Medien. Zwei Stunden lang stand er der Baden-Württemberg-Welle von SWR 1 Rede und Antwort. Motto: "Wir müssen uns einmischen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“