Kurz vor der Stichwahl: Serbiens geht aufs Ganze
Kurz vor der Stichwahl für das Präsidentenamt bleibt Präsident Boris Tadic auf EU-Kurs. Allen Erpressungsversuchen zum Trotz
BELGRAD taz "Wer mich in der Stichwahl unterstützen möchte, darf mir dafür keine Bedingungen stellen", brüllte der serbische Präsident Boris Tadic Mittwochabend auf einer Wahlkampfveranstaltung in Smederevo. "Die Situation ist ganz klar: entweder Schwarz oder Weiß, entweder Europa oder weg von Europa", fügte Tadic zornig hinzu. Es tue ihm leid, bestellte er seinen Koalitionspartnern, aber eine Zwischenlösung gebe es nicht. Am 3. Februar würden die Bürger mit ihrer Wahl zwischen ihm und dem Radikalenführer Tomislav Nikolic über die Zukunft Serbiens entscheiden. Die versammelten Menschen jubelten, als Tadic eine Konfrontation mit Serbiens national-konservativen Premier Vojislav Kostunica ankündigte. Nach jahrelanger Kohabitation hatten das viele seiner Anhänger von dem prowestlichen Präsidenten viel früher erwartet.
Nur Stunden zuvor hatten Kostunicas Demokratische Partei Serbiens (DSS) und ihr engster Verbündeter Neues Serbien (NS) die Unterstützung für Tadic in der Stichwahl von einer Erweiterung des vorhandenen Koalitionsvertrags abhängig gemacht. Der Volksblock forderte, dass die serbische Regierung das paraphierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU für nichtig erklärt, wenn die EU ihre Mission ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats in das Kosovo entsendet. Denn das wäre die "gröbste" Verletzung der UN-Charta, der UN-Resolution 1244 über das Kosovo und der serbischen Verfassung.
Das serbische Parlament dürfe das SAA nicht ratifizieren, steht in dem Dokument, bis die EU "wieder" die Souveränität und territoriale Integrität Serbiens in seinen jetzigen international anerkannten Grenzen anerkennt und die Gründe für die Annullierung des SAA - einer Vorstufe für den EU-Kandidatenstatus - beseitigt. Wochenlang war die Rede davon, dass Serbien das SAA am 28. Januar in Brüssel unterzeichnen sollte.
Obwohl Nikolic nur neun Tage vor der Stichwahl mit 4 Prozent in Führung liegt, hat sich Tadic entschlossen, mit oder auch ohne die Unterstützung von Kostunica aufs Ganze zu gehen. In der Wahlkampagne peilt er nun zielsicher europäisch denkende Menschen an und hört auf, unter den national gesinnten, Europa gegenüber misstrauischen, konservativen Wählern auf Stimmenjagd zu gehen. Ein riskantes Unterfangen, mit dem er auch bereit ist, den Bruch der Koalition in Kauf zu nehmen. Tadic Juniorpartner, Kostunicas DSS, bremst bisher mit ihrer EU-Skepsis den Prozess einer Annäherung Serbiens an die EU.
Die Regierung ist in der Kosovo-Frage gespalten. Auf der einen Seite stehen Kostunicas DSS und die NS, die die europäischen Integrationsprozesse infrage stellen, wenn die EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Auf der anderen stehen Tadic Demokratische Partei (DS) und die Expertenpartei G 17 Plus, die eine Mitgliedschaft in der EU anstreben. Einmal abgesehen vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen hätten DSS-NSS mit den antieuropäischen Radikalen von Nikolic eine bequeme parlamentarische Mehrheit.
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