Kurswechsel der NRW-FDP: Chaos vor der Ampel
Nach Westerwelles Kurswechsel kann sich nun auch die FDP in NRW eine Ampel vorstellen, jedenfalls im Prinzip. Nimmt man sie jedoch beim Wort, droht ein Machtkampf.
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BOCHUM taz | Niemand war zu Statements bereit: Die sonst so medienbewusste Führung der nordrhein-westfälischen Liberalen ging den Montag über auf Tauchstation. Nach der erneuten Kehrtwende ihres Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle hin zu einer Ampelkoalition im größten Bundesland tobt in der chaotischen Landespartei ein Machtkampf: Gemäßigten Liberalen um den NRW-Landesvorsitzenden Andreas Pinkwart, der zumindest erste Gespräche mit SPD und Grünen befürwortet, steht die Mehrheit der Landtagsfraktion um ihren Vorsitzenden Gerhard Papke gegenüber.
Doch so ganz konnte sich die FDP dem Druck aus Berlin nicht entziehen. Am Montagabend dann kam nach der Sitzung des Landesvorstandes wenigstens eine formale Zustimmung. Man sei grundsätzlich gesprächsbereit, erklärte Andreas Pinkwart. Um dann erst mal die Gegenargumente nach vorne zu kehren: Der Ball liege nun bei CDU und SPD, die derzeit eine große Koalition ausloten. Die beiden großen Parteien treffen sich an diesem Dienstag zu einem zweiten Sondierungsgespräch.
Im Detail liest sich auch der Beschluss des FDP-Landesvorstandes alles andere als euphorisch: Im Fünf-Parteien-System bedürfe es "der Offenheit aller demokratischen Parteien bei der Regierungsbildung", heißt es da. Oberstes Ziel müsse es sein, "bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen zu einer stabilen Regierung im Interesse des Landes zu finden".
Zu den größten Gegnern der Ampel gehört Fraktionschef Gerhard Papke. Der hatte bislang Gespräche über eine Ampel mit der Begründung abgelehnt, SPD und Grüne verhandelten auch mit "Verfassungsfeinden" der Linkspartei. Doch die rot-rot-grüne Sondierung scheiterte schon nach dem ersten Treffen – und so blinkte der von Umfragen nahe der Fünfprozenthürde bedrohte Westerwelle wieder nach links: Sollten "SPD und Grüne noch mal ins Nachdenken kommen, dann wissen sie auch, wie sie unseren Landesvorsitzenden erreichen können", sagte er am Sonntag.
Unterstützung dürfte Westerwelle mit seiner neuen Linie vor allem aus der mittleren Funktionärsebene der NRW-FDP bekommen: "Wir sollten nicht einfach zuschauen, wie sich in Düsseldorf eine große Koalition formiert", warnt der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Landesverband Rheinland, Bernd Paßmann. "Sorgfältig und unvoreingenommen" sollten gemeinsame und trennende Positionen mit Sozialdemokraten und Grünen ausgelotet werden, schreibt auch die Kreisvorsitzende der Oberhausener Liberalen, Regina Boos, an die FDP-Spitze in Düsseldorf.
Die noch von ihrem einstigen Chef Jürgen Möllemann auf einen rechtspopulistischen Kurs eingeschworene FDP-Landtagsfraktion dagegen mauert: "Überinterpretiert" worden seien die Äußerungen Westerwelles, sagte Fraktionsvize Dietmar Brockes der Rheinischen Post. Und sein Fraktionskollege Christoph Rasche erteilte der Ampel in der Welt eine Abfuhr: "In den Bereichen Energie, Bildung, Wissenschaft, Verkehr, Umwelt, Landwirtschaft und Industriepolitik liegen Welten zwischen FDP und den Grünen."
Die SPD sieht dagegen ihre Chancen wieder steigen: Ein Politikwechsel in NRW müsse "in allen möglichen Konstellationen abgeklopft werden", betont SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, die bisherige FDP-Verweigerung sei "ein Unding".
Auch Nordrhein-Westfalens noch amtierender CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers spürt den neuen Druck. Die Sondierung mit der SPD laufe gut, versicherte er 24 Stunden vor den nächsten Gesprächen. Ob und wie sich der Rücktritt seines Parteifreundes Horst Köhler als Bundespräsident auf die Regierungsbildung in NRW auswirkt, ist noch unklar. Denkbar wäre sogar, dass der von der CDU beanspruchte Posten des Regierungschefs im größten Bundesland mit dem Amt des Staatsoberhauptes kompensiert wird.
Skeptisch bleiben dagegen die Grünen. Die FDP müsse nach ihrer harschen Absage durch Fraktionschef Papke schon selbst "um Sondierungen bitten", sagt die grüne Landtagsfraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann. Und die grünen Parteichefs Arndt Klocke und Daniela Schneckenburger erteilen den von der SPD bereits in den Blick genommenen gleichzeitigen Gesprächen mit der CDU auf der einen und FDP und Grünen auf der anderen Seite eine klare Absage: "Das wäre zwar optimal für die SPD", so Schneckenburger zur taz. "Aber ich sehe für die Grünen keinen Sinn in Parallelverhandlungen." (mit dpa)
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