Kurdische Guerilla auf Friedenskurs: PKK will Waffen schweigen lassen
Zu Besuch beim meistgesuchtesten Mann der Türkei: PKK-Chef Murat Karayilan will die Kurden-Frage nicht mit Gewalt, sondern mit friedlichen und demokratischen Mitteln lösen.
"Es ist Zeit, den Krieg zu beenden", sagt Murat Karayilan. "Wir wollen die kurdische Frage mit friedlichen und demokratischen Mitteln lösen." Karayilan ist seit einigen Jahren der unumstrittene Chef der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Er ist der wohl meist gesuchte Mann der Türkei. Seit knapp 25 Jahren kämpfen die Rebellen gegen die Türkei, der Krieg hat schätzungsweise 30.000 Opfer gefordert.
Der Konflikt ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Türkei nach Europa, aber auch bei den Bemühungen der irakischen Kurden um eine Annäherung an den nördlichen Nachbarn. Doch nun könnte Bewegung in die verhärteten Fronten kommen. Noch nie hat die PKK so deutliche Signale ausgesendet, dass sie bereit ist, die Waffen niederzulegen.
"Die kurdische Frage in der Türkei ist ein gesellschaftliches Problem", sagt Karayilan. "Zu seiner Lösung braucht es politische und rechtliche Maßnahmen." Dabei bekräftigt er die Abkehr der PKK von ihrer Forderung nach einem eigenständigen kurdischen Staat. "Wir wollen die Türkei nicht spalten", sagt Karayilan. Die PKK strebe eine demokratische Lösung innerhalb der türkischen Grenzen an.
Der 52-jährige Karayilan gehört zur Gründergeneration der PKK, für die Türkei ist er deshalb ein Terrorist. In den letzten 25 Jahren hat er die Türkei an vorderster Front bekämpft. Statt von Krieg spricht Karayilan jetzt von einem Fahrplan für den Frieden und von Versöhnung. Ankara müsse das Existenzrecht der Kurden anerkennen, sagt Karayilan. Neben kulturellen Rechten müsse Ankara den Kurden im Südosten der Türkei eine "demokratische Autonomie" einräumen.
Als Modelle dafür nennt er Katalonien, Schottland, aber auch die Schweiz. "In Europa gibt es viele Beispiele für das friedliche Zusammenleben von verschiedenen Kulturen in einem Land", sagt Karayilan. "Wir wollen, dass die Rechte, die in Europa gelten, auch für uns Kurden gelten." Im Gespräch bezeichnet er die Forderungen als Teil einer umfassenden Versöhnungsinitiative, die Türken und Kurden einen dauerhaften Frieden brächte. Dabei räumt er auch erstmals öffentlich eine Mitschuld der PKK ein, dass frühere Gelegenheiten zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts vertan wurden.
Wir treffen Karayilan an einem geheimen Ort in den Kandilbergen im Nordirak. Von hier aus hat die PKK-Guerilla immer wieder Angriffe auf das Nachbarland verübt. Um den Weg für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu ebnen, haben die Rebellen einen Mitte April verkündeten Waffenstillstand bis zum 1. September verlängert.
Mitte August soll Parteichef Abdullah Öcalan die Details des Fahrplans bekanntgeben. Zwar sitzt Öcalan seit zehn Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft. Da er von den PKK-Anhängern aber wie ein Heiliger verehrt wird, ist dies wohl der Weg, um die eigenen Reihen zu schließen.
Die Friedensofferte von Karayilan kommt zu einem kritischen Zeitpunkt in der Region. US-Präsident Obama will die Truppen aus dem Irak abziehen. Und sowohl die Türkei als auch der Irak wollen künftig eine größere Rolle bei der Energieversorgung von Europa spielen. Beides ist nur möglich, wenn der Konflikt mit der PKK beigelegt wird und die Beziehungen zwischen Ankara und den Kurden im Irak auf eine stabile Grundlage gestellt werden.
Kurdische Politiker im Irak wollen die Beziehungen mit Ankara ausbauen, mancher spricht von einem Anschluss an die Türkei, sollte der Irak zerfallen. Das Letzte, was Ankara will, sind neue Grenzen. Doch auch dort gibt es Anzeichen, dass man eine pragmatische Lösung sucht. Während seines Besuchs in Bagdad im März traf sich der türkische Staatschef Gül erstmals auch mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung. Nach der Feuerpause der PKK hat die Türkei ihre Angriffe im Nordirak eingestellt.
Es gebe derzeit zwei Strömungen in der türkischen Staatsführung, sagt Karayilan. Die eine Seite wolle die kurdische Frage politisch lösen, die andere setze weiter nur auf Gewalt. "Wir wollen die Tür für eine friedliche Lösung öffnen", sagt Karayilan. Sollte Ankara die Friedensofferte jedoch ausschlagen, droht der Rebellenchef mit neuer Gewalt.
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