Kurdenkonflikt auf dem Theater: Meine Worte, wo seid ihr hin?
Das Hessische Staatstheater Wiesbaden zeigt ein Stück über den Kurdenkonflikt nach einem Roman von Bachtyar Ali. Das Publikum applaudierte stehend.
Ist ein Dämon in ihn gefahren? Oder wurde er verhext?, fragen sich die Angehörigen Ismet Oktays (Ferhat Keskin), der eines Morgens nur noch vermeintlichen Kauderwelsch über die Lippen bringt. Bevor er seine Sprache verlor, machte der Türke keinen Hehl aus seiner rechtsnationalistischen Gesinnung. Nun spricht er, der Fremdenfeind, Kurdisch, das es nach Angaben der herrschenden Elite gar nicht gäbe. Gemeinsam mit anderen „Erkrankten“ wird er nach ersten Folterungen in einer sogenannten Psychiatrie interniert.
Was an Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ erinnert, ist auf der Bühne des Theaters in Wiesbaden das Destillat des mehrere hundert Seiten schweren Romans „Die Besetzung der Dunkelheit“ aus der Feder des kurdischen Autors Bachtyar Ali. Viele Handlungsstränge laufen darin parallel – etwa jener über einen gegen das Regime opponierenden Arzt oder die Geschichte um einen insgeheim homosexuellen Übersetzer beim Geheimdienst, der hadernd mit dieser Aufgabe jene Minderheiten ausspionieren soll, gegen die sein Vater mit xenophober Propaganda hetzt.
Dieses Mammutwerk auf die Bühne zu bringen stellt zweifelsohne eine Herausforderung dar, der das Hessische Staatstheater Wiesbaden zumindest teilweise erlegen ist. Mehrfach wiederholen sich in Ihsan Othmanns Uraufführung der ausufernden Textfassung Szenen der Konfrontation zwischen den kolonialen Herrschern und den unterdrückten Kurden.
Diese etwas ermüdenden Aufklärungsschleifen lockert glücklicherweise der Mut zur Karikatur auf. So begegnen uns beispielsweise die türkischen Minister als senile Männer mit weißen Haaren, scheinbar kernige Generäle philosophieren derweil mit Kastratenstimme über allerlei Blödsinn zu Identitätsfragen.
Drehungen wie bei Hitchcock
Eingebettet ist die Reflexion des – im Schatten des Ukrainekriegs – noch immer virulenten ethnischen Konflikts in ein symbolisch anspielungsreiches Bühnenbild, den ingeniösen Coup der Darbietung (Kulisse: Olaf Grambow). Zu sehen ist eine Rondellbühne mit einem halbgeöffneten, spiralförmigen Aufgang.
Wenn sie sich dreht, assoziiert man damit sowohl den ewigen Kreislauf des Hasses und die ewige Verbreitung rassistischer Stereotype als auch die bekannte Schneckenfrisur von Kim Novak in Alfred Hitchcocks „Vertigo“. Wie im Film steht die Drehung nach innen auch in diesem Stück für das Irregehen, zum einen bezogen auf das individuelle Schicksal Ismets, zum anderen auf eine Mehrheitsgesellschaft, die um jeden Preis die Ideologie einer völkischen Uniformität umzusetzen sucht.
Auch wenn dieser Aufführung abseits des Bühnenbilds und einer letztlich vor allem illustrativen Live-Klaviermusik sichtlich die besonderen Akzente fehlen, also jene packenden Momente, die im Inneren der Zuschauerinnen und Zuschauer tatsächlich nachhallen, erweist sich das Regiehandwerk als solide. Ästhetische Innovation sollte man nicht erwarten.
Wichtiger politischer Nerv
Deutet man unterdessen den mit Standing Ovations begleiteten Applaus richtig, so scheint die Inszenierung dessenungeachtet einen wichtigen politischen Nerv zu treffen. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher mit offenbar kulturellen Wurzeln im Nahen Osten bekunden ihre Ergriffenheit ob der zumindest auf der Bühne hergestellten Gerechtigkeit. Jene, die auch in diesen Tagen in der Türkei ihrer Stimme beraubt werden, finden nun in Wiesbaden Gehör.
Darf man folglich auf ein versöhnliches Ende hoffen? Leider nicht. Von einer Gruppe Kurden wird nämlich der Dolmetscher Ali Ihsan Akansu (Philipp Steinheuser) ermordet. Gewalt ruft Gegengewalt hervor, so die Botschaft. Was bleibt, ist ein am Schluss auf der Bühne vorgetragenes kurdisches Lamento. Einige im Publikum können es offenbar mitsummen – der wohl eindringlichste Moment des Abends!
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