Kurden in der Türkei: Die PKK gibt auf
Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gibt ihre Auflösung bekannt und verkündet das Ende ihres bewaffneten Kampfes. Garantien bekommt sie dafür nicht.

Die PKK ist damit einem Wunsch ihres historischen Führers Abdullah Öcalan nachgekommen, der Ende Februar gemeinsam mit Vertretern der kurdischen DEM-Partei in einem Aufruf seine Partei aufgefordert hatte, sich aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden.
Schon vor drei Tagen hatte die DEM-Partei in Vorwegnahme der Bekanntgabe der PKK von Montagmorgen eine Erklärung veröffentlicht, mit der sie eine neue Ära des Friedens und der Brüderlichkeit beschwört. Mit der Auflösung der PKK sind wir „einen Schritt näher an einem stabilen Frieden nach 50 Jahren Krieg und 50.000 Toten. Damit wird eine neue Seite auf dem Weg zu einem würdigen Frieden und einer demokratischen Lösung aufgeschlagen. Die Stimmen für Demokratie und Gerechtigkeit müssen nun laut erhoben werden. Wir glauben, dass nun das türkische Parlament die Verantwortung für die Lösung der kurdischen Frage und die Vertiefung der Demokratisierung hat. Aber auch die exekutive Macht muss ihren Teil der Verantwortung übernehmen und für ein Ende der Gewalt sorgen.“
Während die legale, im Parlament vertretene kurdische Partei in ihrer Erklärung von Frieden, Gerechtigkeit und Demokratisierung redet, ist der offizielle Diskurs der türkischen Regierung und ihrer Medien ein ganz anderer. Präsident Recep Tayyip Erdoğan redet seit Wochen nicht von einem Frieden mit der PKK, sondern von einer „terrorfreien“ Türkei.
Viele Fragen bleiben offen
Selbst die oppositionelle CHP hat sich dieser Wortwahl angeschlossen. Bei einer großen Protestveranstaltung am letzten Samstag im kurdisch dominierten Van sagte Parteichef Özgür Özel, wir unterstützen natürlich eine „terrorfreie Türkei“.
In einer ersten Reaktion am Montag sagte der Sprecher der regierenden AKP, Ömer Çelik, „wenn die PKK ihren Beschluss umsetzt, wird das ein Wendepunkt in der Türkei sein“. Erdoğan und seine Regierung vermeiden tunlichst, dass der Eindruck entsteht, sie seien der PKK in irgendeiner Weise entgegengekommen. Die PKK soll sich auflösen und ihre Waffen niederlegen, das war’s.
Niemand aus der Regierung redet von Abmachungen oder Garantien, die man der PKK oder Öcalan in den seit Oktober letzten Jahres stattgefundenen Gesprächen gegeben hätte. Deshalb wird auch öffentlich nicht darüber geredet, wie es nun weitergehen soll.
Wird es eine Amnestie für die rund 4.000 PKK-Kämpfer, die sich im Nordirak aufhalten, geben? Dürfen diese Menschen in die Türkei zurückkehren? Wer überwacht den Prozess der Entwaffnung? Wird mindestens ein Teil der PKK-Kämpfer sich zu ihren Genossen nach Syrien absetzen, oder sind die syrischen Milizen der YPG, die nach Auffassung der türkischen Regierung ein Ableger der PKK sind, Teil der Abmachung und werden sie ebenfalls die Waffen niederlegen, wie es ja auch die neue syrische Regierung unter Präsident Ahmed al-Scharaa fordert?
Einer der Gründe, warum über diese Fragen nicht öffentlich diskutiert wird, sind die Erfahrungen aus dem sogenannten „Friedensprozess“ von 2013 bis 2015. Damals waren zu all diesen Fragen, von Amnestie, Rückkehrrecht, demokratischer Teilhabe etc. detaillierte Vereinbarungen getroffen worden. Die Verhandlungen auf Regierungsseite führte damals Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu.
Regionale und technische Entwicklungen zu Lasten der PKK
Doch als bei den Wahlen im Frühjahr 2015 die kurdische HDP unter Führung von Selahattin Demirtaş ein sensationell gutes Ergebnis erzielte, während die AKP ihre absolute Mehrheit verlor, beendete Erdoğan den gesamten Verhandlungsprozess mit einem Federstrich und erklärte die Ergebnisse für obsolet.
Es folgten heftige Kämpfen in den kurdisch bewohnten Gebieten im Südosten der Türkei, die die Armee schließlich mit dem massiven Einsatz überlegener Gewalt beendete. Nach dem gescheiterten Putsch gegen Erdoğan 2016, an dem auch Offiziere beteiligt gewesen sein sollen, die Erdoğan die Verhandlungen mit der PKK übel genommen hatten, beendete der anschließende Ausnahmezustand über Jahre jeden zivilen Widerstand auch in den kurdischen Gebieten des Landes.
Die PKK wurde aus der Türkei militärisch verdrängt, ziviler Widerstand im Keim erstickt. Auch die Entwicklung der Drohnentechnik, in der die Türkei weltweit mit führend ist, führte dazu, dass die Guerilla-Gruppen der PKK in den Bergen kaum noch operieren konnten und sich in den Nordirak zurückzogen.
Anschläge der PKK in der Türkei hat es seit 2020 praktisch nicht mehr gegeben. Aber auch im Irak und Syrien hat sich die Situation für die PKK verändert. Der Irak hat sich nach den jahrzehntelangen Kriegen und Bürgerkriegen in den letzten Jahren wieder etwas stabilisiert.
Bewaffneter Kampf der PKK machte immer weniger Sinn
Seit der pragmatische Mohammed Shia al-Sudani im Herbst 2022 die Regierung übernommen hat, wird wieder in den Aufbau des Landes investiert, auch mit Unterstützung der Türkei. Sowohl die irakische Regierung wie auch die Regierung der kurdischen autonomen Zone haben gute Beziehungen zu Ankara, die durch die Existenz der PKK im Nordirak belastet werden. Entsprechend hat al-Sudani im Austausch für mehr Wasser aus Euphrat und Tigris und wirtschaftliche Unterstützung aus der Türkei eingewilligt, gegen die PKK vorzugehen.
Der Sturz von Assad in Syrien und die Machtergreifung der mit der Türkei eng verbündeten islamischen HTS in Damaskus war für die PKK auch eine schlechte Nachricht. Die neue Regierung will die mit der PKK verbündete kurdische YPG-Miliz entwaffnen oder zumindest in eine neue syrische Armee integrieren. Das alles muss der PKK und Öcalan klargemacht haben, dass der „bewaffnete Kampf“ in der bisherigen Form nicht mehr viel Sinn macht.
Diese historische Chance, wie die DEM-Partei die Situation beschreibt, trifft nun auf ein zunehmend autoritär und repressiv gewordenes Erdoğan-Regime, das reihenweise oppositionelle Politiker, unter ihnen den Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, verhaften lässt und Proteste dagegen gewaltsam niederschlägt.
Erdoğan will sich auf keinen Fall erneut vorwerfen lassen, er sei „den Terroristen“ entgegengekommen, was die zahlreichen Nationalisten unter seinen Anhängern gegen ihn aufbringen würde. Deshalb hat er bislang sowohl die Freilassung von Öcalan wie auch anderer wichtiger kurdischer Politiker wie Selahattin Demirtaş abgelehnt und will erst den Vollzug von Entwaffnung und Auflösung der PKK sehen.
PKK-Erklärung ein großer innenpolitischer Erfolg für Erdoğan
Bislang ist die Armee noch nicht einmal auf den von der PKK angekündigten Waffenstillstand eingegangen. Für Erdoğan ist die Erklärung der PKK über ihre Selbstauflösung zuerst einmal ein großer innenpolitischer Erfolg. Um den von ihr erhofften „Friedensprozess“ nicht zu gefährden, verhält die DEM sich bei den Protesten gegen die Verhaftung Imamoğlus weitgehend neutral und spaltet so die Opposition.
Doch um die DEM weiterhin auf seiner Seite zu halten, muss Erdoğan bald den Kurden etwas bieten. Hafterleichterung für Öcalan und die Wiedereinsetzung kurdischer BürgermeisterInnen die wegen angeblicher Unterstützung der PKK abgesetzt und ins Gefängnis geworfen wurden, wären ein erster Schritt.
Letztlich wird es aber bei der von ihm angestrebten Verfassungsänderung zum Schwur kommen. Erdoğan hofft, dass die Kurden ihn bei einer Verfassungsänderung unterstützt, die ihm womöglich weitere Amtszeiten auf Lebenszeit ermöglichen würden. Die Kurden wollen dafür eine Verfassung, in der Türken und Kurden als gleichberechtigte Völker der Türkei festgeschrieben werden. Das wird Erdoğan ihnen niemals zugestehen
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