Kunstszene in Norwegen: Trophäe, Trolle und Brühe
In Norwegen wird man zwar bereits am Flughafen in Oslo von einem Edvard Munch begrüßt. Aber es ist nicht alles Munch in Norwegen.
Die Buchmesse wird daran wenig geändert haben: das Erste, was einem einfällt, wenn man an Norwegen denkt, sind wohl Fjorde, Berge, Gletscher – die beeindruckende Schönheit einer unberührt wirkenden Natur. Öl! Geld! Teuer! Zur Sicherung des Wohlstands zukünftiger Generationen hat der staatliche Pensionsfonds die Gewinne aus den staatlichen Ölgeschäften so erfolgreich angelegt, dass Anleger auf der ganzen Welt diese Strategien kopieren.
Ein Teil der Gelder kommt auch der Kultur zugute. Denn in der jungen Nation, erst 1905 nach einer Volksabstimmung von Schweden in die Unabhängigkeit entlassen, ist man sich ihrer identitätsstiftenden Bedeutung bewusst.
Bereits bei der Ankunft auf dem Flughafen Gardermoen in Oslo wird man von einem Gemälde des nationalen Malerhelden Edvard Munch begrüßt. Im kommenden Jahr soll das neue Munch-Museum mit Blick über den Oslofjord eröffnet werden, ein vom spanischen Architekturbüro Estudio Herreros entworfener, sich ab der Hälfte der 13 Stockwerke leicht zur Seite neigender Kasten aus Glas und Aluminium.
In insgesamt elf Hallen wird nicht nur die weltgrößte Munch-Sammlung Platz finden, sondern auch Wechselausstellungen mit zeitgenössischer Kunst im Dialog mit der Sammlung.
Nicht alles ist Munch in Oslo
Aber es ist nicht alles Munch in Oslo. Im „Kunstnernes Hus“, dem Künstlerhaus, läuft die Zeichentriennale, das Aushängeschild des norwegischen Verbands der Zeichner. „Human Touch“ hat die norwegische Kuratorin Helga-Marie Nordby ihre Ausstellung genannt, als Verweis auf die Spur des menschlichen Körpers, die Ausdrucksform.
Das programmatische Bekenntnis zum Erfassen der Welt, für das manuelle Fähigkeiten die Voraussetzung darstellen, wird perfekt illustriert durch die Kartografien, die Pierre Lionel Matte von seinen eigenen Händen angefertigt hat und die den assoziativen Blick auf seine Welt wiedergeben, oder in Randi Nygårds kleinen Frottagen der eigenen Stirn.
Am anderen Ende des Stadtzentrums befindet sich das neue Nationalmuseum, entworfen vom Berliner Büro Kleihues + Schuwerk, noch im Bau, ab übernächstem Jahr werden hier die Museen für Architektur, Design und zeitgenössische Kunst einziehen. Im Sommer hatte die Ankündigung der Direktorin, Karin Hindsbo, eine langfristige Kooperation mit den Kunstsammlerinnen Kathrine und Cecilie Fredriksen einzugehen, Kontroversen ausgelöst.
Denn die Töchter des Milliardärs John Fredriksen, Besitzer der größten Tankerflotte der Erde, könnten das Museum zu ihrem Spielball machen. Hindsbo hielt dagegen, dass dadurch Werke von Weltrang, von Künstlern wie Marlene Dumas, Philip Guston oder Agnes Martin, in Oslo ausgestellt würden, die Finanzierung zusätzlicher Forschungsprojekte und einer Ausstellungsreihe wäre abgesichert.
Drohende Entdemokratisierung öffentlicher Institutionen
Aber die Vizedirektorin des Vereins junger Künstler (UKS), Ida Madsen Følling, ist nicht überzeugt: „Vom UKS beobachten wir mit großer Sorge diese Art der Entdemokratisierung öffentlicher Institutionen.“ Sie fordert Transparenz in der Politik des öffentlichen Hauses. „Sie sollten sich für konstruktive Kritik öffnen und die öffentliche Debatte über die Prioritäten des Museums nicht scheuen und sich darauf konzentrieren, ihre Sammlung und damit den zukünftigen Kanon aufzubauen!“
Das Astrup-Fearnley-Museum, das der Reeder Hans Rasmus Astrup 1993 gründete und das Ausstellungen amerikanischer und internationaler Kunststars nach Norwegen brachte, kann man sicher als Gegenmodell zum öffentlichen Museum betrachten. 2002 wurde Jeff Koons’ Porzellanplastik „Michael Jackson und Bubbles „für 5,1 Millionen Dollar erworben, zehn Jahre darauf zog das Museum in den flachen, eleganten Neubau von Renzo Piano.
Dort sind Arbeiten von Koons neben Damien Hirsts mittig geteilte Kühen in Formaldehyd, „Mother and Child (Divided)“, und Gemälden von Francis Bacon und David Hockney zu sehen. So großartig einzelne Werke auch sein mögen, die Präsentation wirkte seit Langem muffig, weniger Kunstsammlung als Trophäenschau.
Aber seit bekannt ist, dass die Direktorin der Renaissance Society in Chicago, Solveig Øvstebø, im neuen Jahr die Leitung des Hauses übernimmt, wird es wieder spannend. Vorher war sie zehn Jahre lang Direktorin der „Kunsthall Bergen“, und baute die kleine Institution zu einer bedeutenden Anlaufstelle für junge internationale Kunst auf.
Transparenz von Machtstrukturen
Aktuell unter der Leitung von Axel Wieder belegt dies die Ausstellung „SONW – Shadow of New Worlds“ von Sandra Mujinga mit ihren Installationen, Videos und Musikperformances. Bildschirme, Kleidung und menschliche Haut bilden in den Narrativen der im kongolesischen Goma geborenen Norwegerin die Schnittstellen zur Welt und werden somit Gegenstand dynamischer Verhandlungen zur Sichtbarkeit von Körpern, der Transparenz von Machtstrukturen.
Parallel dazu wurde nebenan eine Installation des schwedischen Künstlers Henrik Håkansson eröffnet, „100 pieces of a tree – Norwegian Wood“, im wichtigsten Museum in Bergen, dem zweitgrößten des Landes, KODE. Es umfasst neben drei historischen Komponistenhäusern von Edvard Grieg, Ole Bull und Harald Saeverud und einem Konzerthaus eigene Abteilungen für Design und Handwerk sowie eine Kunstsammlung, die vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht.
Bis vor wenigen Wochen war KODE auch einer der Ausstellungsorte für die unter Leitung des Direktorenpaars des Württembergischen Kunstvereins, Hans D. Christ und Iris Dressler kuratierten Bergen Assembly.
Unter dem Titel „Actually, the dead are not dead“ setzte die alle drei Jahre stattfindende Ausstellung auf Werke, die soziales Leben als Gegenidee zur Nekropolitik eines grassierenden Kapitalismus vorstellbar machen, und konnte sich damit auf erfrischende Weise sowohl vom dauererhitzten internationalen Kunstbetrieb abheben als auch in Norwegen hoffentlich nachhaltige Akzente setzen.
Der Wettbewerb zwischen Bergen und Oslo
„Die Energie liegt im Wettbewerb zwischen Bergen und Oslo“, stellt KODE-Direktor Petter Snare fest, aber „zweifellos saugen die Oslo-Projekte dem Rest des Landes die Luft aus. Ich freue mich über die Bauten und deren Finanzierung in Oslo, aber es gibt absolut keine Balance. Der Rest von Norwegen bekommt nur Krümel. KODE erhält nur rund 4 Prozent der Mittel der Nationalmuseen, unseren 30 Millionen stehen deren 780 Millionen gegenüber. Es gibt eine große Energie in der norwegischen Kunstszene. Aber die lebt hauptsächlich von Selbstorganisation und Eigeninitiative von Kunstorganisationen.“
Wie etwa der von wenigen Enthusiasten getragene Kunstverein der Kleinstadt Bryne. Hier zeigt Ottar Karlsen großformatige Bleistiftzeichnungen akribisch genau gesehener Pflanzenmotive, denen er kryptische Texte hinzufügt. So entstehen Bilder mit ambivalenten, unterschwellig bedrohlichen Botschaften, von Pilzen vor dunklem Hintergrund, die mit „einem helleren Morgengrauen“ in Verbindung gebracht werden.
Die Kunsthalle Elefant im Skiort Lillehammer betreibt der Maler Mads Andreas Andreassen seit 2014 gar ganz alleine. Mit nur geringer finanzieller Unterstützung der Region organisiert er Ausstellungen junger, aber auch etablierter Kollegen.
Auch in Oslo gibt es derartige Initiativen, wie 222T, wo Anders Smebye in seiner Ausstellung „Kraft“ auf einem Holzklotz eine zum Zylinder geformte tiefbraune, karamellartige Masse zeigt – eine über ein halbes Jahr eingekochte, hochkonzentrierte Brühe als fragile Plastik, die auf Veränderungen der Luftfeuchtigkeit durch Betrachter reagiert.
Picasso als Postkartenmotiv der Oslo Biennale
Oder das von vier Künstlern betriebene Noplace, wo Sverre Gullesen ein Betonrelief zeigt, als Hommage an den Architekten Erling Viksjø und den „Naturbetong“, der die darin verarbeiteten Kieselsteine sichtbar lässt. Das Verfahren kam auch im Regierungsgebäude Y-Blokka zum Einsatz, das seit dem terroristischen Bombenanschlag 2011 vor dem Abriss steht, trotz Protesten in der Bevölkerung und einem Bild Picassos auf der Fassade.
Dieses Motiv ziert eine der Postkarten der Künstlerin Katja Høs, die im Rahmen der Oslo Biennale auf Ständern an verschieden Orten der Stadt ausgelegt wurden. Sie dürfen mitgenommen werden, als Souvenirs, nicht nur des Gebäudes, sondern für das sozialdemokratische Gemeinwesen, das sie zunehmend unter neoliberale Räder kommen sieht.
Doch nicht alles so toll im Norden? Marianne Hultmann vom Osloer Kunstverein lobt die Arbeit der Künstlervereinigungen und Kunstorganisationen, die sich gegenseitig unterstützen: „Wenn etwas in der Politik passiert, das uns nicht gefällt, können wir ganz schnell und geschlossen Stellung beziehen. Das findet Gehör.“ Es wird sich zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe