Kunstfest Weimar: Blick aus einer wissenden Zukunft
Kunstfest und Nationaltheater Weimar bieten mit „missing in cantu“ neues Musiktheater. Und eine Dystopie, die Kräfte fürs Handeln freisetzen könnte.
Wie politisch sollte Kunst werden, wenn die Zeit sie herausfordert? Der Blick Richtung Buchenwald gehört beim Kunstfest Weimar per se dazu: Das Gedenken an die Opfer der Nazi-Barbarei als Installation (von Günther Uecker zu Füßen von Goethe und Schiller vor dem Deutschen Nationaltheater) ebenso wie das offene Bekenntnis gegen die, die gleich den „Müll der Moderne“ wegräumen wollen.
In Thüringen gehören solche Tiraden vom rechten Rand des Parteienspektrums längst zum Ton der politischen Auseinandersetzung. Theater und Kunstfest behaupten sich vor diesem Hintergrund als Foren für die Suche nach dem nicht rechten, sondern richtigen Weg in die Zukunft. Die Kunst selbst freilich kann da nur ihrem eigenen Stern folgen. Geschichten erzählen. Utopien entwerfen. Oder mit Dystopien Denken anstoßen und so indirekt Kräfte fürs Handeln freisetzen.
Auch vor diesem Hintergrund war es eine gute Idee, dass das Kunstfest und das Deutsche Nationaltheater (DNT) einen gemeinsamen Auftrag für eine neue Oper vergeben haben. Der ging an zwei Österreicher; Thomas Köcks Schauspiel „eure paläste sind leer“ war vor zwei Jahren an den Münchner Kammerspielen ein hochgelobter Erfolg und ist nun die Vorlage seines Librettos für Johannes Maria Stauds Komposition „missing in cantu“.
Operndirektorin Andrea Moses übernahm, wie schon vor fünf Jahren an der Wiener Staatsoper bei Stauds „Weiden“ (nach Durs Grünbein), die Uraufführungsinszenierung. Im Graben führte Andreas Wolf die Staatskapelle Weimar imponierend sicher durch eine stilistisch recht vielfältige Musiktheater-Novität. Mit „missing in cantu“ ist ein Stück Musiktheater herausgekommen, das den Ehrgeiz hat, eine Dystopie mit der Möglichkeit zu kombinieren, aus einer wissenden Zukunft auf eine blinde Gegenwart und Vergangenheit zurückzublicken.
Optisch ein apokalyptischer Grundton
Für die drei Handlungsstränge hat Raimund Bauer eine Bühne gebaut, die den Titel von Köcks Stück „eure paläste sind leer“ faszinierend opulent umsetzt, ohne in Naturalismus zu verfallen. Ein angekippter, leerer Goldpalast, den sich der Urwald längst wieder zurückholt, beherrscht die Drehbühne und gibt optisch den apokalyptischen Grundton vor. Hier haust ein wissend gewordener Seher im Teiresias-Habitus und beklagt melancholisch resignierend, nie gehört worden zu sein. Otto Katzameier singt ihn ebenso souverän wie er ihn spricht. Er hat nur Echo (Emma Moore) an seiner Seite.
Ein Dreh der Bühne genügt für einen historischen Ausfallschritt in die Schuld-Geschichte der Europäer. Konquistadoren erobern mit ziemlichem Getöse auf der Suche nach dem sagenhaften Eldorado den Amazonaswald; verbrennen eine Ureinwohnerin als Hexe, kämpfen um die Macht und lassen den Wahnsinn aus dem 16. Jahrhundert exemplarisch eskalieren.
Wenn Don Gairre (Alexander Günther) mit dem Missionar Don Stepano (Oleksandr Pushniak) um die Macht kämpft und dabei auf den Spuren von Klaus Kinsky (im Kampf mit Werner Herzog) wandelt, gehört das zum subtil dunklen Humor, der immer mal wieder aufploppt.
Gut gebaut und zielend
Die dritte Das-kommt-davon-Ebene ist die tödlich eskalierende Opiatkrise in den USA von heute. Samt Schlachthausszene, Klischee-Vorstadt, Amoklauf und Medienrummel. Stauds Musik, die durch ausgedehnte Sprechpassagen unterbrochen wird, bietet, was zwischen fein ziselierter Elektronik, großem Orchester und swingendem, melodiös Populärem zu haben ist. Gut gebaut und auf die durchweg exzellenten Protagonisten zielend.
Die Verflechtung der drei Handlungsstränge bleibt allerdings eine Behauptung. Auch die lakonisch bedeutungsschwangere Sprachpoesie rutscht ein paar mal zu oft auf überstrapazierten „Scheiß“-Vorsilben aus; kann so nicht wirklich einen eigenständigen Sog entfalten.
Dass das kongeniale Bühnenbild und die präzise Personenführung, der Einsatz der Protagonisten (inklusive des Chores!), meist auch die Musik von Staud solche Schwächen zu überdecken vermögen, gehört zu den Vorzügen, die das Gesamtkunstwerk Oper zu bieten hat. Der einhellige Beifall im nicht ausverkauften DNT nach 90 Minuten war angemessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!