Kunstausstellung in Österreich: Gestaltloses Kontinuum

Helen Frankenthaler war eine Pionierin des abstrakten Expressionismus. Die Kunsthalle Krems zeigt der Malerin zu Ehren eine Retrospektive.

Eine dunkelhaarige Frau in rötlicher Kleidung sitzt inmitten abstrakter Kunstwerke

Fotograf Gordon Parks inszenierte Helen Frankenthaler 1956 für das „Life Magazine“ Foto: The Gordon Parks Foundation

Eine junge Frau sitzt inmitten der wild mäandernden Farbflächen ihrer abstrakten Malerei. Die Beine sind angewinkelt, mit zwei Fingern stützt sie ihr Kinn und schaut zögerlich, aber direkt in die Kamera.

Die berühmte Aufnahme von Helen Frankenthaler hatte Gordon Parks, der erste Schwarze Fotograf des US-amerikanischen Fotoreportagemagazins Life, im Zusammenhang mit einer ganzen Bildserie über eine neue Generation weiblicher Künstlerinnen angefertigt. Sie zeigt die abstrakte Expressionistin 1956 in ihrem New Yorker Studio.

Statt sie wie Willem de Kooning selbstbewusst im Studio stehend oder wie Jackson Pollock im aktionsreichen Malprozess abzulichten, hält Parks sie auf diesem Foto in einer geradezu klischeehaften weiblichen Pose fest. Es verwundert, dass die Kunsthalle Krems ausgerechnet mit diesem Motiv für eine Retrospektive zur Künstlerin wirbt.

Mit „Helen Frankenthaler. Malerische Konstellationen“ wird ihr Werk erstmals in Österreich in einer monografischen Schau präsentiert. Ab Dezember soll die Ausstellung im Folkwang Museum Essen zu sehen sein.

Doyenne der Farbfeldmalerei

Frau und Künstlerin zu sein, war 1956 wohl ein Kraftakt für die damals erst 28-jährige und aus wohlhabender jüdischer Familie stammende Malerin. Erst im Laufe ihrer Karriere gelang es ihr, sich aus dem überwiegend männlich besetzten Künstlerkreis des amerikanischen abstrakten Expressionismus zu befreien und zur Doyenne der Farbfeldmalerei zu avancieren.

Vier Jahre zuvor hatte Frankenthaler mit dem Gemälde „Mountain and Sea“ Pionierarbeit geleistet: Mit einer Technik, die sie „Soak-Stain“ nannte, brachte sie verdünntes Öl und Acrylfarbe auf eine unbehandelte Leinwand. Die Farbe geriet so in den Fluss, legte sich zu landschaftsartigen Formen auf die Fläche, bei größtmöglicher Transparenz. Mit „Mountain and Sea“, das sich heute in der National Gallery in Washington befindet, erlangte Frankenthaler Bekanntheit.

„Helen Frankenthaler. Male­rische Konstellationen“: bis 30. Oktober, Kunsthalle Krems. Ab 2. Dezember, Museum Folkwang Essen

Die Retrospektive in Krems zeigt nun, welch breites malerisches Spektrum sie in den sechs Jahrzehnten ihres Künstlerinnendaseins erreichte. Mit dichten kubistischen Mustern, aus denen noch Figuren ablesbar sind, bespielte sie ihre frühen Leinwände. Kurz vor ihrem Tod 2011 wird die Bildfläche dann monochrom. Natur und Landschaft sind als Anregung nur mehr erahnbar. Chromatisch dichte Farbfelder mit punktuellen Einsprengseln und abstrakt-strukturelle Schüttungen kennzeichnen diese späten Werke.

An ihrer „Soak-Stain“-Technik arbeitete Frankenthaler weiter. Auch auf Papier, auf dem sie in den frühen 50er Jahren überhaupt ihre ersten Experimente mit Öl und Acrylfarbe begann. Die Kunsthalle stellt 74 ihrer Papierarbeiten einer Auswahl von 10 Gemälden gegenüber.

Nur 10 Frauen unter 72 Künstlern

„Southern Exposure“ von 2002 macht deutlich, wie Frankenthaler selbst auf Papier ins monumentale Gemäldeformat vordringen konnte: Das große Blatt ist gänzlich in ein warmes Orange getönt, Schlieren aus Grün und Rot ziehen sich darauf. Ohnehin tritt in ihren späten Werken an die Stelle der pastellig-stumpfen Töne, die noch auf Gordon Parks Porträt zu sehen sind, eine leuchtende Farbigkeit.

1951 war Helen Frankenthaler eine von nur 10 Frauen unter 72 Künstlern in der legendären „9th Street Show“. Die Ausstellung im Erdgeschoss eines heruntergekommenen Geschäftsgebäudes im New Yorker Bezirk Manhattan wurde zum Gründungsmoment des Abstrakten Expressionismus in den USA.

Willem de Kooning, Jackson Pollock, Philip Guston waren dabei, ebenso Joan Mitchell oder Lee Krasner. Die Malerinnen wurden gefeiert, hatten ähnlich schnellen Erfolg: Mitte der 50er Jahre kaufte das Museum of Modern Art (MoMA) eine Frankenthaler-Arbeit, 1959 stellte sie auf der documenta aus.

Doch es wurde bald ruhig um die weiblichen Vertreterinnen dieser Kunstrichtung. An der kanonischen Schau „The New American Painting“ 1959 in London nahm Grace Hartigan als einzige Frau teil. Eine kuratorische Entscheidung, die nachhaltig das männlich dominierte Bild des Abstrakten Expressionismus vor allem in Europa prägte. Trotzdem war Frankenthalers Einfluss groß. Morris Louis und Kenneth Noland etwa verwandten erwiesenermaßen ihre „Soak-Stain“-Technik.

Ihre Kollegen wurden als Vorreiter der Farbfeldmalerei gefeiert, Frankenthaler dagegen erhielt nie die gleiche Anerkennung. Die Künstlerin, die Gordon Parks 1956 in seiner Fotoreportage porträtiert hatte, war 1960 bereits in die zweite Reihe geraten. Auch deswegen sollte man sich heute die beeindruckende Kunst von Helen Frankenthaler anschauen, die eine damalige Öffentlichkeit verpasste.

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