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Kunst und PublicityDas Diktat der Marken

Zur Retrospektive des Starkünstlers Takashi Murakami in Frankfurt gehört ein eigens eingerichteter Louis-Vuitton-Shop. Mode und Kunst verbindet derzeit die autoritäre Sprache des Marketing.

Auch ein Markenartikel: Vom Künstler Wim Delvoye tätowiertes Hausschwein mit "Harley Davidson"-Schriftzug Bild: dpa

Am Wochenende eröffnet die große Retrospektive des japanischen Starkünstlers Takashi Murakami in Frankfurt am Main, die das dortige Museum für Moderne Kunst vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles übernommen hat. Höhepunkt der Schau ist ein eigens im Museum eingerichteter, temporärer Louis-Vuitton-Shop. Denn Murakami, das künstlerische Allroundtalent, das unter anderem als Kurator, Herausgeber, Event-Manager, Moderator einer Radioshow und Kolumnist einer Tageszeitung tätig ist, erachtet die Annahme eines substanziellen Unterschieds zwischen Kunst und anderen Luxusgütern für absurd. Unter dieser Prämisse versüßte er denn auch im Jahr 2003 den Vuitton-Kunden die obligatorische hässlich-braunbeige Monogramm-Bag höchst erfolgreich mit einer bonbonfarbenen "Cherry Blossom Line".

Das LV-Monogramm hat auch der belgische Künstler Wim Delvoye den Schweinen, die er seit fünf Jahren auf seiner "Art Farm" in der Nähe von Peking züchtet, auf die Haut tätowiert. Anfang September wurde ihm allerdings der Auftritt mit den lebenden Schweinen auf der Shanghaier Kunstmesse ShContemporary verwehrt. Die Presse sprach von einem gelungenen PR-Coup.

Von solchen Phänomenen ausgehend wird zuletzt gerne auf eine ganz aktuelle, besondere Beziehung zwischen Kunst und Mode geschlossen, zumal auch Damian Hirst, der Star der BritArt-Szene, nun die Jeans der traditionsreichen Firma Levis mit dem Motiv des Totenkopfs aufpeppt. Das geschieht unter dem Label "Warhol Factory X", damit wir uns auch bestimmt daran erinnern, dass Andy gerne die Jeans erfunden hätte, "etwas, damit sich die Leute an einen erinnern. Einen Markenartikel."

Auch der umgekehrte Weg, dass ein Modedesigner wie Hedi Slimane mit "Rock Diary" inzwischen seinen vierten Fotoband vorlegt, scheint die Annahme eines heftigen Crossover von Mode und Kunst zu bestätigen. Als Chefdesigner von Dior Homme hatte Slimane einst den Anzug wieder interessant gemacht, indem er ihn so schmal schnitt, dass er für den üblichen Anzugträger, den Geschäftsmann, der mit seinen Pfunden kämpft, schlicht untragbar war - auch wenn ihm Karl Lagerfeld ein leuchtendes Beispiel gab, als er sich für diesen Anzug rank und schlank hungerte. "Rock Diary" ist selbstverständlich lange nicht so revolutionär wie dieser Anzug, auch wenn Slimanes Fotoband seinem eigentlichen Sujet, dem schlaksigen jungen Mann, treu bleibt.

In jedem Fall ist "Rock Diary" aber meilenweit von der Pleite der Hannoveraner Kestnergesellschaft entfernt, wo sich zur Zeit Helmut Lang als Künstler versucht. "Alles gleich schwer" nennt er seine Ausstellung, für die er sich die Sache mit einem dürftigen Mix aus Duchamp und Arte povera leider viel zu leicht gemacht hat. Genau betrachtet kam bei der Zusammenarbeit des renommierten Modemachers mit dem renommierten Kunstverein nur einer der Beteiligten unbeschadet aus der Sache heraus: Absolut Wodka. Der Sponsor des Events machte seinem Namen Ehre und trat absolut professionell auf.

Das ist wenig verwunderlich, denn die Annahme einer ganz aktuellen, besonderen Beziehung zwischen Kunst und Mode ist falsch. Eine beiderseitige Transgression in einem eigenbestimmten Prozess gibt es nicht. Was Mode und Kunst derzeit aneinander schmiedet, ist das verstärkte Vordringen von Corporate Culture, Marketing und PR in beide Bereiche der zeitgenössischen Ästhetik. Tatsächlich bedeutet die ökonomische Ratio des Marketings den Versuch, das erwähnte Diktum von Andy Warhol radikal zuzuspitzen: Kunst oder Mode soll es nur noch in Form von Markenartikeln geben.

Die Ausweitung der Kampfzone führt zu einer Refeudalisierung der zeitgenössischen Ästhetik, in jedem Fall aber zur erneuten Etablierung autoritärer Strukturen. Hatte man gerade geglaubt, dem Diktat der Haute Couture entronnen zu sein, sieht man sich nun vom Diktat der angesagten Labels bedroht. Provinziell ist nicht, wer der Mode nicht folgt, sondern wer die hippen Brands nicht kennt. Hatte man gerade geglaubt, dem Diktat der Avantgarde glücklich entkommen zu sein, nervt die zeitgenössische Kunst anstelle der bekannten Glaubenskriege um künstlerische Stilrichtungen und Bewegungen nun mit aufwändigen Publicity-Schlachten.

Sie drehen sich dann um lebende Schweine mit Tattoos oder tote Schweine mit Flügeln, wie sie neben einem in Formaldehyd eingelegten Goldenen Kalb, Einhörnern und Brillant-Schmetterlingen von Damien Hirst gezeigt wurden, als er seine künstlerische Jahresproduktion 2008 an den ihn vertretenden Galerien vorbei, ohne Garantiesumme des Auktionshauses, aber auch ohne Kommission für seine eingelieferten Werke zu bezahlen, bei Sothebys glorreich verauktionierte. Sie drehen sich dann um die Frage, ob im Museum ein Louis-Vuitton-Shop nicht fehl am Platz sei? Oder man streitet wegen der Retrospektive des US-amerikanischen Superstars der zeitgenössischen Kunst, Jeff Koons, im Schloss von Versailles. Über sie empört sich gerade ein obskurer französischer Schriftstellerverband, stellvertretend für das gebildete und kultivierte Bürgertum der Grande Nation. Doch nur die Empörung ist fehl am Platz.

An welchem Ort, bitte schön, wäre Jeff Koons besser aufgehoben als an diesem Ort des Luxus und der Moden, an dem es immer nur um das "thats it" ging? Um It-girls - wie die Lifestyle-Magazine heute die königlichen Mätressen nennen -, um It-bags und It-art? An diesem Ort wurde seit je dem Geschmack des Königs und seiner Entourage gehuldigt. Dass er heute nicht mehr Ludwig XIV. heißt, sondern François Pinault, ändert an dem Ton wenig, mit dem man den Hofschranzen befiehlt: "Als Direktor in Versailles haben Sie ja genügend Gärtner, um meinen Split Rocker auszustellen", soll Pinault laut Le Monde zu Jean-Jacques Aillagon gesagt haben. Der ehemalige französische Kulturminister und heutige Präsident des Etablissement public du musée et du domaine de Versailles war zwischenzeitlich auch einmal sein Angestellter als Direktor des Palazzo Grassi. Den erwarb Pinault in Venedig für seine Kunstsammlung.

Pinault ist der Herr über das Luxusgüterimperium PPR, zu dem Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta und Fnac gehören, und er sammelt Koons. Aillagon ist nur einer unter vielen anderen Figuren im Netzwerk des Magnaten, die finanzielle Erlöse in ästhetische Dividende ummünzen und umgekehrt. Daran ändert der Einwand wenig, dass Pinault kein Spekulant sei, der seine Werke weiterverkaufe, wenn deren Notierung steige. Wie immer bedeuten autoritäre Strukturen eben Stillstand und Konformität. Die 23,6 Millionen Dollar, für die im November 2007 Koons stählernes "Hanging Heart" bei Sothebys versteigert wurde, und von dem auch Pinault eine der fünf Versionen besitzt, sind nichts anderes als die Garantiesumme für Jeff Koons nachhaltige künstlerische Bedeutung.

Wenn man bedenkt, wie lange Clement Greenberg, der Frontman der New York School, den Abstrakten Expressionismus als einzige gültige Kunst propagieren konnte, und weiter bedenkt, was ein Kunstkritiker wie er schon gegen die geballte Macht der weltweit 200 größten Sammler ist, dann ahnt man, was droht. Diese Sammler gehören mehrheitlich dem Verwaltungs- oder Stiftungsrat renommierter Museen an und verfügen damit über ein sicheres Instrument, ihre Schätze im Kontext einer institutionell abgesicherten, kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst gewürdigt zu sehen. Damit ist sowohl die Wertsteigerung ihrer Kunsterwerbungen auf lange Zeit hin garantiert wie der Verdacht des abgekarteten Spiels und Insidergeschäfts einigermaßen wirksam zerstreut.

Was freilich mit dem Einzug der Leihgaben ins Museum nicht verschwindet, ist die Konformität des internationalen Kunstsammelns. Sie riecht nach Rückversicherung, wobei schwer zu sagen ist, ob nur die fragwürdige Kompetenz und Autorität der Sammler kaschiert werden soll, oder ob es sich schon wesentlich um eine Anlagestrategie handelt, nach dem Motto: Der herrschende Geschmack im Kunstbetrieb ist der Geschmack der Herrschenden. Damit jedenfalls befindet man sich auch schon mittendrin, im Louis-Vuitton-Shop von Takashi Murakami. Denn so, wie sich die wohlhabenden Damen die gerade angesagte Trophy-Bag von Louis Vuitton gönnen, so bedienen sich die betuchten Herren - ja, auch das verweist auf die autoritären Strukturen, Kunstsammeln ist noch immer ein männliches Geschäft - aus der "Sommerkollektion" von Neo Rauch, von der er erst kürzlich in einem Interview sprach.

Glauben die Damen, sie hätten mit dem Label schon ein gültiges Fashion Statement gemacht, heften sich die Herren den Titel des internationalen Kunstsammlers an die Brust, indem sie mit der immer gleichen Künstlerfolge von Jeff Koons, Luc Tymans, Andreas Gursky, unbedingt noch Jonathan Meese oder wahlweise Daniel Richter aufwarten. Am Ende sind die Garderoben so uniform wie die Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst von Miami bis Berlin. So aufregend hat man sich das Crossover von Mode und Kunst immer vorgestellt. Störende Gegenentwürfe kommen dank der Marketinginstrumente der Corporate Culture erst gar nicht ins Spiel. Denn als Form einer weiterreichenden Markenbildung drängt sie die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Werk selbst erfolgreich in den Hintergrund.

Wie schon das deutsche "Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichnungen" weiß, kann "niemals ein Produkt die Marke selbst sein. Was also produktbedingt geformt ist, stellt gleichzeitig nicht die Marke des Produkts dar." Ganz dieser Definition entsprechend wird denn auch anlässlich von Jeff Koons Versailles-Auftritt auf einer ganzen Zeitungsseite des Figaro wohl über die Gästeliste des Galadinners (u. a. die Schauspielerin Fanny Ardant, Schlankmacher Karl Lagerfeld, Albert von Monaco und Gloria, Fürstin Thurn und Taxis etc. etc.), nicht aber über die Ausstellung selbst debattiert. Sensationsheischend ist der Ton hier wie dort, wo die Kunstberichterstattung Damien Hirsts Sothebys Auktion verteidigt und feiert.

Tatsächlich steht die abenteuerliche Aktion mehr für die Marke Hirst als die sattsam bekannten Schmetterlingsbilder, Arzneimittelschränke oder in Formaldehyd eingelegten Tierkadaver seines Werks. Ebenso wie das breite Netzwerk von Fürsprechern und Celebrities aus der Mode- und Unterhaltungsindustrie der Wertschätzung von Jeff Koons mehr Gültigkeit gibt als jede Expertise des wenig mondänen professionellen Personals der Institutionen des Kunst- und Kulturbetriebs. Ihm fehlt das nötige Prestige, das heute aus Kaufkraft statt aus Kennerschaft erwächst. In der unübersichtlichen Lage am Anfang des 21. Jahrhunderts ist Geld der Humus, in dem die neofeudalen, autoritären Strukturen wurzeln, die das Marketing, dessen Ziel ja die "Gewinnung des öffentlichen Vertrauens" ist, wie schon Hans Domizlaff sein 1939 publiziertes "Lehrbuch zur Markentechnik" betitelte, zur neuen Leitwissenschaft machen. Ob freilich mit Vertrauen und Sicherheit in Kunst und Mode etwas gewonnen ist, bleibt zu fragen. Denn womöglich werden sie der Gegenwart doch nur auf ungesichertem Terrain ästhetisch habhaft.

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1 Kommentar

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  • WH
    Werner Hahn

    MURAKAMI: Letale Mutante im Stammbaum der Bildenden Kunst

     

    Ja, Geld ist der „Humus, in dem die neofeudalen, autoritären Strukturen“ des Kunstmarkt-Künstler-Betriebs wurzeln. Und: „Der herrschende Geschmack im Kunstbetrieb ist der Geschmack der Herrschenden.“ In Frankfurt „brilliert“ das MMK mit einer von der Gagosian Gallery bezahlten Ausstellung „© Murakami“; Merchandising-Universum (…). Die „Autonomie des Museums“ steht auf dem „freien“ (?) Spiel der KUNST: Das Museum als Ort von „Bedeutung“, „Autorität“ und „Selektion“ des Wichtigen. Peter Weibel formulierte gerade in die WELT-Online („Der Kult des Auktionskünstlers“): „Trias Kunst, Finanzwelt, Publizität als Erfolgskriterien“ habe schon J. L. David 1799 beschworen und „dementsprechend seine Rollen als Hof- und Staatskünstler, aber auch als Revolutionär und Genie beschrieben“. Der Kult des Künstlers mache nur dann Sinn, wenn es sich um „Kunst als Glaubenssystem und nicht als Wissenssystem“ handele. Weibel postuliert, dass in Zukunft die Kunst „weniger im Feuilleton als im Wirtschaftsteil besprochen“ werde (= Remythisierung, Reauratisierung des Künstlers). Wenn MURAKAMI behauptet, er trage zur „Evolution der Kunst“ bei (so in einem art-Interview), ist das anzuzweifeln. Evolutionsprinzipien (Auslese, Anpassung etc.) gelten in Kunst und Kunstgeschichte und dienen letztlich der Erkenntnis des Wesens der Welt und unseres Selbst. Im Stammbaum der bildenden Kunst wird sich MURAKAMI – mangels kulturellem Tiefgang - als absterbendes Seitenzweiglein etablieren (negatives Mem-Produkt). Seine momentane „Berühmtheit“ im Kunstbetrieb verdankt „Japans Andy Warhol“ den autoritären und ausgeklügelten Marketing-, VIP- und PR-Strategien des nervenden zeitgenössischen Kunstmarktes, der auch die Kitsch-Macher wie Hirst und Koons fördert.