Kunst ganz ohne Hintergrund: Hauptsache, mit Kreide grundiert

Bucerius-Forum und Kunsthalle Hamburg widmen sich Emil Noldes Maltechniken ganz unpolitisch. Sehenswert sind sie trotzdem.

Das Gemälde Melkmädchen von 1903 feiert das Landleben

Melkmädchen, 1903. Das Landleben malte Emil Nolde modern antimodern Foto: Bucerius Kunst Forum / Noldestiftung

HAMBURG taz | Seine Bilder werden geschätzt, ja geliebt, und bringen auf dem Markt Millionenbeträge. Sie hingen in den Büros von Helmut Schmidt und Angela Merkel und zierten in Leuchttafeln den Hamburger Jungfernstieg. Aber er, der sich im Selbstpor­trät von 1899 rembrandtesk umdunkelt zeigt, muss ein grässlicher Mensch gewesen sein.

Vom Vater ob seiner Kunstliebe geschlagen, gierte er zeitlebens nach Anerkennung und verstrickte sich dabei tief in die Widersprüche seines Jahrhunderts. Er verstand sich als die Avantgarde einer ganz und gar deutschen Kunst – und blieb bei der Neufestlegung der deutsch-dänischen Grenzen durch den Völkerbund 1920 lieber dänischer Staatsbürger.

„Meistens grundiere ich mit Kreide …“: Hamburger Kunsthalle, bis 18. 4. 22, mit „Augmented-Reality-App, www.hamburger-kunsthalle.de

„Nolde und der Norden“: Bucerius-Kunst-Forum, bis 23. 1. 22, Katalog: 220 Seiten, 29,90 Euro. www.buceriuskunstforum.de

Er wurde von den Akademien in München und Kopenhagen und den wichtigsten Kunstschauen des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts abgelehnt, blieb im Wesentlichen Autodidakt und empfand sich umso auserwählter. Er malte nach einem Erweckungserlebnis christliche Bilder, deren Ausstellung die Kirche verbot.

Er stritt sich mit Max Liebermann, dem Vorsitzenden der Berliner Secession, in Kunstdingen und interpretierte das dann rassistisch. Den französischen Impressionismus verurteilte er als „süßlich“. Als Mitglied der expressionistischen Künstlervereinigung „Brücke“ gewählt, verließ er diese nach wenigen Monaten im Streit als zu konform.

Ein Fan von Adolf Hitler

Er begleitete als Künstler 1917 sehnsuchtsvoll eine Südsee-Expedition und stellte die Menschen als wirre, nackte Wilde dar. Er war erklärter Antisemit, Parteigenosse und trotz seiner modernen Malerei im Kern ein Opponent der Moderne, doch ließ er sich von seinen reichlichen Einkünften in Seebüll ein Atelierhaus im Bauhausstil bauen.

Als wesenhaft nordisch-deutscher Maler zum Beispiel durch eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle noch 1935 auch von Teilen der NSDAP gelobt und gesammelt, galt er ab 1937 zu seiner Empörung als „entartet“. Die beschlagnahmten Bilder erhielt er als dänischer Ausländer zurück.

Dennoch war er bis zu seinem endgültigen Ausschluss samt Berufsverbot (nicht: Malverbot!) 1941 eines der bestverdienenden Mitglieder der deutschen Kulturkammer. Er denunzierte andere, wenn es ihm nützlich erschien. Und er und seine Frau Ada bewunderten und verehrten Adolf Hitler – zugegebenermaßen wie die Mehrheit der Deutschen.

Schließlich, nach 1945, wurde der, der gern Staatsmaler des Dritten Reichs geworden wäre, zum Opfer und Helden umdefiniert und nahezu zum Superstar einer – nun nicht mehr ideologisch antifranzösisch verstandenen – norddeutschen Kunst. Anders als die perfekten und auch in Frankreich oft bewunderten Figuren des NS-Bildhauers Arno Breker scheinen Noldes Wolkenhimmel über der weiten Nordsee und die knallroten Blumenblüten im nahen Garten seitdem über alle Politik erhaben.

Doch bei den aktuellen Hamburger Nolde-Ausstellungen geht es nicht darum, wie sehr Nationalismus und massiver Antisemitismus sein Werk beeinflussten, nicht darum, wie schuldig Wikingerbeschwörungen oder expressiv-überhöhte Mohnblüten sein könnten. Dabei gibt es auch in den Landschaften und den scheinbar harmlosen Blumen ein Pathos, in dem etwas dem Faschismus Verwandtes gesehen werden kann.

Dazu müsste aber akzeptiert werden, dass der deutsche Expressionismus wie der italienische Futurismus von Künstlerseite eben nicht links-oppositionell war, sondern oft eine nationale und gewalttätige Weltsicht vertrat, die einige Zeit als offizieller NS-Stil angedacht war.

Statt solcher Überlegungen analysiert die kleine Studioausstellung „Meistens grundiere ich mit Kreide“ in der Hamburger Kunsthalle in einem langjährigen, interdisziplinären Projekt tiefschürfend die angewandten Maltechniken und im Bucerius-Forum geht es mit kaum bekannten 80, meist naturalistischen und impressionistischen Bildern um das faszinierende Frühwerk und dessen vielfältige dänische Einflüsse.

Kunsthistorisch höchst interessant, kann der Bauernsohn Emil Hansen, später nach seinem nordslesvigschen Geburtsort genannt Nolde, mit naturalistischen Bildern der Kopenhagener Kanäle und fast romantisch aufgefassten Bauern-Landschaften sowie impressionistischen Interieurs und verschwommenen Küstenvisionen als bedeutender dänischer Künstler am Anfang des 20. Jahrhunderts erfahren werden: ein neuer Baustein der Legende.

Auch böse Menschen malen gute Bilder

Neben der bürgerlich-individuellen ist eine überraschende Lesart der hier in 25 Beispielen aus dänischen Museen präsentierten Rückbindung an die sanfte dänische Malerei des 19. Jahrhunderts mit ihren biedermeierlich-familiären Innenräumen und idyllisch verklärten Landschaften in kaltem Licht, dass danske Hygge und reaktionäre Heimattümelei sich erstaunlich nahe sind: Die diagonal ins Bild gesetzten Bauern im Bild „Kornmähen“ von 1900, 1940 noch einmal überarbeitet, hätten allerfeinst im Reichsernährungsministerium hängen können.

Künstlerbiografien werden historisch immer unterschiedlich bewertet. Auch der geniale Caravaggio, immerhin ein erwiesener Mörder, wird ja bewundert, oder in der Moderne das Macho-Monster Picasso. Es gibt bis heute unabhängig vom Leben ihrer Autoren höchst intensive, manchmal direkt auf das Gefühl zielende Bilder. Und bei Nolde ist die Inwertsetzung der norddeutschen Landschaft und seine in allen Stilepochen beeindruckende Kunst umso großartiger, je weniger sie ideologisiert wird.

Wird nach den Ursachen der Einstellung Noldes gesucht, ist der deutsch-dänische Konflikt in der schleswigschen Grenzregion wichtig. Statt das Vieldeutige zu leben, wurde nach dem Ersten Weltkrieg eine eindeutige Positionierung gefragt. Aber solchem Druck konnte der selbstverständlich zweisprachige Nolde mit seiner dänischen Frau Ada nur mit Aggression antworten.

Was sind einem großen Künstler schon Grenzen, wo es in seinem Selbstverständnis um die allein durch ihn erneuerte nordische Kunst geht? Das jüngste Bild in der Ausstellung zeigt 1945 einen blutroten Himmel über einer sich duckenden grünen Warft – es ist, als ob die Elemente brennen und sich wie seine fantastischen Monster gegen den stets sich irgendwie in der Defensive wähnenden Künstler verschworen haben.

Wenn Nolde schon immer wieder gezeigt werden muss, beschert der jetzige Verweis auf die Kunst des Nordens einige neue Bezüge und Entdeckungen. Besonders überraschend dabei ist der von Nolde bewunderte Paul-Gauguin-Freund Jens Ferdinand Willumsen. In jungen Jahren keineswegs nur ein zurückgezogener Eigenbrötler, sah Nolde dessen Arbeit „Jotunheim“ bei seinem neunmonatigen Aufenthalt in Paris 1900 auf der Weltausstellung.

Dieses ungewöhnliche symbolistische Gesamtkunstwerk aus Holzschnitzerei, Emaille und Malerei, die 1893 in der Spiegelung des mythischen Bergs der Riesen im Wasser bereits zu kubistischen Formen findet, ist allein schon den Besuch der Ausstellung wert.

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