Kunst aus der Villa Flora: Der Farb-Rausch-Lichtblick
Französische Postimpressionisten strahlen in der Hamburger Kunsthalle. Die Ausstellung „Verzauberte Zeit" zeigt heute seltenes bürgerliches Engagement.
HAMBURG taz | All die Pracht kommt aus einer einzigen Sammlung: Zwischen 1906 und 1936 hat das Ehepaar Arthur und Hedi Hahnloser-Bühler für seine „Villa Flora“ im schweizerischen Winterthur farbsatte, französische postimpressionistische Malerei zusammengetragen. Angeleitet wurden sie von Giovanni Giacometti und Félix Vallotton: Die beiden Maler führten die Sammler in die Pariser Künstlerkreise, zu Pierre Bonnard etwa, zu Edouard Vuillard, Henri Manguin und Henri Matisse, zu den bewunderten Bildern von Cezanne, van Gogh und Manet oder Odilon Redon.
Immer wieder betont die Hamburger Ausstellung nun den Zusammenhang von Bildern und Einrichtung, von Künstlern und Sammlern, von Architektur und umgebendem Garten: Den schwer zu transportierenden Charakter des Winterthurer Gesamtkunstwerks vermitteln Fotos und Skulpturen, auch einzelne Gegenstände wie ein grünes Glas – das in einem der Gemälde Manguins wieder auftaucht –, vor allem ein eigens in Auftrag gegebener, 78-minütiger Film von Nathalie David.
Eigentlich war diese Wanderausstellung gedacht für die Zeit eines Umbaus, der die Museumsfähigkeit der Villa optimieren sollte. Nun droht sie ein Nachruf zu werden: Noch während der Planungsphase wurde klar, dass aufgrund schwerer Finanzlücken die städtischen Zuschüsse für das seit 1995 regelmäßig öffentlich zugängliche Haus entfallen würden. Denn die eher kleine Industriestadt Winterthur, 20 Kilometer nördlich von Zürich gelegen, leidet unter dem Strukturwandel, unterhält aber trotz gerade mal 110.000 Einwohnern die beachtliche Zahl von 16 Museen, die Hälfte davon der Kunst gewidmet. Sollte also selbst die nun wirklich nicht arme Schweiz sich ihr beachtliches Kulturangebot nicht mehr in vollem Umfang leisten können? Erstaunlich, dass gerade Hamburg nun zeitweilig Asyl bieten kann.
Durchaus eigennützig, schließlich braucht die dortige Kunsthalle schon wegen der eigenen Teilschließung mindestens attraktive Wechsel-Ausstellungen. Auch gibt es einige Bezüge zu Winterthur und dieser Sammlung: Als die Hahnloser-Bühlers im frühen 20. Jahrhundert ihre ersten Bonnards, Vuillards und Marquets kaufen, lud Alfred Lichtwark, der damalige Direktor der Kunsthalle, eben jene Künstler ein, Ansichten von Hamburg zu malen, um eine Akzeptanz für den neuen französischen Malstil zu schaffen.
Später wurde der Rat des international anerkannten Museums-Fachmanns Lichtwark auch bei der Planung der Kunsthalle in Winterthur eingeholt. Und der Hamburger Bildhauer Friedrich Wield, zeitweise Vorsitzender der „Hamburgischen Sezession“, lebte während des Ersten Weltkrieges eine Zeit lang in der Villa Flora. Fassungen einer Wield’schen „Krugträgerin“ sind heute sowohl dort wie auch im Hamburger Stadtpark und der Kunsthalle zu finden.
Der Schwerpunkt unter den rund 200 Arbeiten der Ausstellung ist jetzt aber die Malerei: Wunderbare van Goghs wie das aus blau-weiß-roten Strichen gebaute kleine Bild zum Fest des 14. Juli in Paris, die düster verwelkten Sonnenblumen oder der Sämann von 1888: Allein auf weiter Flur müht er sich nicht auf einem Acker in herbstlich trüben Farben, sondern ist in vorausgreifender Ahnung des reifen Feldes in Anklängen von Goldgelb umleuchtet. Ferner faszinieren immer wieder die ungewöhnliche Bildausschnitte Bonnards, die harten Konturen Vallottons, die leuchtenden Traumbilder Odilon Redons und die klaren Bildkonstruktionen Cezannes, die verschiedenen Auffassungen von Landschaftsräumen, Fensterblicken und Stillleben.
Dazwischen zeigen de zahlreichen Porträts des Augenarztes mit Industriellen-Hintergrund und seiner in der Kunstgewerbebewegung aktiven Ehefrau immer wieder die Akteure eines großbürgerlichen Engagements, das in dieser Breite und mit all seinen auch sozialen Aktivitäten heute kaum mehr anzutreffen ist. Die Vorstellung, mit den meisten der hier gezeigten Künstler gut befreundet gewesen zu sein, deren Bilder zu bezahlbaren Preisen kaufen zu können, kann einen schon mit Neid erfüllen.
Doch selbst solche wache Zeitgenossenschaft ist begrenzt: Während die Hahnloser-Bühlers bei der 1916 in Winterthur eröffneten neuen Kunsthalle durchaus eine Rolle spielen, haben sie die zeitgleich in Zürich aktiven Dadaisten oder die Kubisten nicht im Blick. Was die letztlich getroffene Auswahl angeht: Die heutigen Klassiker der Moderne waren damals erst experimentelle und keineswegs unumstrittene Künstler, die im deutschsprachigen Raum obendrein mit antifranzösischen Vorurteilen zu kämpfen hatten.
Wie um den Aspekt der einstigen progressiven Zeitgenossenschaft zu unterstreichen, sind der Ausstellung zwei Arbeiten hinzugefügt, die damals behandelte Thematik in die Gegenwart holen: Ursula Palla transformiert mit ihrer Videoinstallation van Goghs Interesse an Lichtphänomenen. Hinter einer realen Vase verändern sich ihre auf eine gelbe Wand projizierten Sonnenblumen mit der Intensität des tatsächlichen Sonnenlichts draußen. Und Judith Albert tritt mit Vallottons großen, rätselhaften Aktbildern in Dialog: Sie zeigt sich zugleich als Modell und Künstlerin und zitiert mit dem großen Oktopus auf nackter Haut gleich auch noch eine erotische Bildidee des für den Japonismus der Künstlergruppe um Vallotton so anregenden Holzschneiders Hokusai.
Bei allem, was zurzeit schiefläuft um Hamburgs Kunsthalle – überflüssige Renovierung mit falschen Prioritäten, peinliches Engagement für Olympia –, ist diese Ausstellung ein wahrer Lichtblick. Das Publikum hat es gemerkt: Selbst am eher schwachen Freitagnachmittag gab es eine Schlange an der Kasse.
„Verzauberte Zeit. Cezanne, van Gogh, Bonnard, Manguin – Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedi Hahnloser-Bühler“: bis 16. August, Hamburger Kunsthalle
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