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Kunst auf RezeptImpressionismus gegen Depressionen

Luisa Faust
Kommentar von Luisa Faust

In Berlin sollen Ärz­t*in­nen bald kulturelle Aktivitäten verschreiben. Doch: Warum muss man erst krank werden, um Zugang zu Kunst zu haben?

In Sehnsucht verweilen, den Gedanken nachhängen, die Seele baumeln lassen – aber ärztlich verschrieben Foto: Sylvio Dittrich/imago

E insamkeit erhöht das Risiko zu sterben genauso wie täglich 15 Zigaretten zu rauchen. Sie prägt das menschliche Gehirn so, dass man sie sogar auf Scans sehen kann. Sie führt zu Bluthochdruck, zu Depressionen und Angststörungen.

Das wirkt sich auch auf das Gesundheitssystem aus: Einsame gehen öfter zum Arzt, sind mehr krank, brauchen häufiger psychologische oder psychotherapeutische Behandlung. Das ist teuer. Und in einem System, in dem Ärz­t*in­nen über Überlastung klagen und Pa­ti­en­t*in­nen oft monatelang auf einen Termin warten müssen, ist das ein echtes Problem.

Helfen könnte ein Konzept, das schon in Großbritannien und Kanada erfolgreich erprobt ist. Dort verschreiben Ärz­t*in­nen ihren Pa­ti­en­t*in­nen, die unter Einsamkeit und psychischen Erkrankungen leiden, immer öfter auch Museumsbesuche – zusätzlich zu klassischen Maßnahmen wie Medikamenten oder Psychotherapien.

Bald auch in Deutschland

Impressionismus gegen Depressionen, Rokoko gegen Angststörungen, Barockgemälde gegen Einsamkeit? Klingt vielleicht erst mal absurd, aber die Studienlage zeigt, dass Kunst wirksam ist. Die Auseinandersetzung mit ihr verbessert Depressionen, hilft bei Angststörungen, kann bei Alzheimer und anderen degenerativen Erkrankungen sogar den kognitiven Verfall verlangsamen. Am besten wirkt sie, wenn Pa­ti­ent*in­nen in einer Gruppe ins Museum gehen und wenn sie anschließend auch selbst kreativ werden können.

Auch die Weltgesundheitsorganisation beschäftigt sich seit 2019 mit der Wirkung von Kunst. Sie könne helfen, schwierige Gefühle zu bewältigen, Empathie zu empfinden für das, was andere spüren, und darin Ausdruck für das eigene Leid zu finden, schwere Krankheiten zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern.

Und mit ein bisschen Glück und der richtigen Ärz­t*in könnten auch in Deutschland bald Pa­ti­en­t*in­nen von einem Museumsbesuch auf Rezept profitieren: An der Berliner Charité startet in diesem Jahr ein Projekt, in dem das sogenannte Soziale Rezept vorangebracht werden soll. 150 medizinische Versorger in ganz Europa sind Teil eines Netzwerks, die Europäische Kommission unterstützt das Projekt mit fast 7 Millionen Euro.

Neben Museumsbesuchen sollen die Ärz­t*in­nen alle möglichen weiteren Maßnahmen verschreiben können, je nachdem, welche Bedürfnisse ihre Pa­ti­en­t*in­nen haben: Tanz- oder Kochkurse, Töpferstunden, Strickrunden. Insbesondere ältere, allein lebende Menschen, LGBTIQ-Personen sowie Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen sollen im Fokus stehen.

Kultur ist kein Nice-to-have

Voraussetzung dafür, dass diese ganzen wundersamen Wirkungen von Kunst genutzt werden können, ist, dass es sie gibt. Dazu muss sie finanziert werden. Stattdessen werden die Mittel an allen Stellen gekürzt. Große Aufmerksamkeit gab es für die drastischen Kulturkürzungen im Berliner Sparhaushalt unter dem regierenden Bürgermeister Kai Wegner, aber die Hauptstadt ist mit solchen Maßnahmen nicht allein. Auch im Bundeskulturhaushalt wurde zuletzt gekürzt, bei den Posten, die sonst der freien Szene zugutekämen.

Der Zugang zu Kultur ist zudem ungerecht verteilt. Museen, Theater, Opern, Konzerthäusern sind in den großen Städten, na klar. Auf dem Land muss man lange suchen, bis man sein Rezept einlösen kann. Aber das größte Gefälle kommt nicht durch die Stadt-Land-Unterschiede, sondern durch Armut. Menschen, die ohnehin schlechtere Chancen haben, wenn sie krank werden, deren Lebenserwartung sowieso schon geringer ist, können sich den Museums-, Theater- oder Konzertbesuch seltener leisten.

Auch wenn dieses Soziale Rezept die Kosten decken würde, ändert das noch nicht, dass ärmere Personen im Alltag durch Care-Arbeit und mehrere Jobs schlichtweg keine Zeit dafür haben. Außerdem könnte eine regelmäßige Teilhabe an kulturellen Angeboten – ermöglicht durch niedrigere Eintrittspreise – sogar vorbeugend wirken und verhindern, dass Einsamkeit oder Depressionen überhaupt entstehen.

Im Vergleich zu dem, was das Gesundheitssystem kostet, sind die Ausgaben für Kunst und Kultur fast lächerlich gering. Kultur ist kein Nice-to-have, sondern ihre Wirkung ist messbar. Und man sollte nicht erst krank werden müssen, um dazu Zugang zu bekommen.

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Luisa Faust
Volontärin bei tazeins
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3 Kommentare

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  • Die Teilhabe an Kultur wirkt wie ein gutes Nahrungsmittel. Diese zu beschneiden, gar zu verhindern, ist eines Staates nicht würdig, der sich Bildung auf die Fahnen schreibt. Das ist eben auch verlogen, wenn man schaut, wie Gelder verschleudert werden. Die armen Menschen sollen selbst schauen, wo sie bleiben. Man lässt sie alleine, oder liefert sie dem medialen "Dschungelcamp" aus.

    • @Salinger:

      "... eines Staates nicht würdig, der sich Bildung auf die Fahnen schreibt. ..." Das wäre ja schön, aber bei den ganzen Diskussionen der letzten Zeit, sowie auch bei den Koalitionsverhandlungen ist ja Bildung leider kein Thema.

  • Wer einsam ist, muss einfach nur in einer Gruppe ins Museum gehen. Merkste selber oder?