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Kunst als eine Angelegenheit des Herzens

■ Auf Dauer angelegt: Peter Ludwig sammelte sozialistischen Realismus, Pop-art und Picasso, um die Moderne „jetzt zu erleben“. Gestern ist er in Aachen gestorben

Er war der bundesrepublikanische Kunstsammler schlechthin. Wie kein zweiter verkörperte Peter Ludwig, Schokoladenfabrikant aus Aachen, eine vom Aussterben bedrohte Spezies: die des seine Schätze uneigennützig der Öffentlichkeit präsentierenden Mäzens. Ludwigs Leidenschaft kannte weder geographische, epochale noch ideologische Grenzen. Zusammen mit seiner Ehefrau, Irene Ludwig, erwarb er, was gut und spektakulär war: präkolumbianische und antike Kunst, Picasso und amerikanische Pop-art, Bilder von Malern aus der UdSSR und der DDR.

Den Grundstock für ihre Sammlung legten die Ludwigs Anfang der fünfziger Jahre. Um 1968 gab das Ehepaar auf Anregung von Museumskonservator Wolfgang Hahn Teile der Kollektion ans Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Was mittlerweile als Selbstverständlichkeit gilt, war damals ein Wagnis: die auf Dauer angelegte Kombination von zeitgenössischer und „alter“ Kunst an einem öffentlichen Ort hatte es bis dato noch nicht gegeben.

In den kommenden Jahren vergrößerte sich der Einfluß des Fabrikanten stetig. Als 1976 ein Schenkungsvertrag zwischen Ludwig und der Stadt Köln geschlossen wurde, war der Grundstein für das heutige Museum Ludwig gelegt. Zehn Jahre später hatte sich Peter Ludwig mit dem Neubau das erste Denkmal gesetzt. Weitere sollten folgen. Gegenwärtig gibt es nach den Sammlern benannte Häuser in Aachen, Wien, Budapest und St. Petersburg. Mit der zunehmenden Streuung ihrer Schätze wuchs auch die kulturpolitische Bedeutung der Ludwigs. Sie waren es, die die Schenkung als Druckmittel entdeckten. So setzte das Ehepaar Ludwig vor zwei Jahren Köln die Pistole auf die Brust. Eine süße Drohung, aber immerhin eine Drohung: Der Stadt stellten sie in Aussicht, rund 90 Werke von Pablo Picasso zu erhalten, dazu etwa 600 Druckgraphiken von Künstlern aus dem ehemaligen Ostblock. Unter einer Bedingung – das Wallraf-Richartz-Museum sollte künftig allein für ihre Sammlung reserviert werden; für die Lochners, Rembrandts, van Goghs und Matisses müsse die Kommune ein neues Domizil finden. Nach langem Hin und Her rangen sich die Politiker zu einem Zugeständnis durch. Und in Köln wird ein Museum mehr gebaut.

Der Fundus der mehrere zehntausend Werke umfassenden Sammlung scheint unerschöpflich. Doch das Engagement von Peter und Irene Ludwig blieb nicht unumstritten. Manchmal wirkten ihre Sammleraktivitäten allzu planlos und undifferenziert. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Medien, als Irene und Peter Ludwig, die kurz zuvor noch Edward Kienholz' Anti-Vietnam-Installation „Das tragbare Kriegerdenkmal“ von 1968 gekauft hatten, sich von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker porträtieren ließen.

Für Peter Ludwig aber war die Kunst eine Herzensangelegenheit, die sich rationalen Argumenten zumindest partiell entzieht. Im Katalog zu „Kunst der sechziger Jahre, Sammlung Ludwig“ schrieb er 1968: „Die Faszination, jetzt in diesem Augenblick dabei zu sein, jetzt zu erleben, wie Menschen, die wir kennen und mit denen wir sprechen, den Träumen und Ängsten, den Hoffnungen und den Nöten ihrer Zeit, die die unsere ist, Ausdruck geben, ist packend und beglückend.“ Diesem vor fast einer Generation formulierten Credo fühlte sich der Kunstsammler über die Jahre verpflichtet. Am Montag ist Peter Ludwig im Alter von 71 Jahren im Aachener Klinikum an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs gestorben. Ulrich Clewing

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