Kunst, Geschäft, Begräbnis: Die Neopyramidalen
Die Künstler Ingo Niermann und Erik Niedling verfolgen hartnäckig die Idee von Großpyramiden in Deutschland. Es könnte sich lohnen – wenn es erlaubt wird.
THÜRINGEN taz | Vorerst existiert sie nur in zwei Köpfen und als kaum handtellergroße Einritzung in einem Basaltstein auf der Spitze des Kleinen Gleichberges in Südthüringen. Darunter die Initialen „NN“, die für den Schriftsteller Ingo Niermann und den Künstler Erik Niedling stehen.
Hier, „im größten Grab aller Zeiten“, möchte Niedling dereinst bestattet werden. In einer 200 Meter hohen Pyramide, die aus dem schon von den Kelten genutzten Berg herauszuschälen, dann aber wieder zu renaturieren wäre. Wohl ein narzisstisches, aber auch ein ephemerisches Kunstwerk, ein „Monument des Verschwindens“, wie beide betonen. Nicht gedacht, um mit Gizeh und den Pharaonen zu konkurrieren, sondern eher als „Grabmal des unbekannten Künstlers“, stellvertretend für jedermann.
Was Niedling in seine Grabkammer mitzunehmen gedenkt, stellt er noch bis zum 5. August im Neuen Museum Weimar aus. Zur Ausstellungseröffnung zogen die beiden Initiatoren am 23. Juni mit einer Handvoll Sympathisanten auf den Berg und setzten mit einen schönen neuen roten Spaten den ersten symbolischen Stich. So, wie Niermann 2007 in Streetz nördlich von Roßlau in Sachsen-Anhalt schon einmal vergeblich den Grundstein für die „Große Pyramide“ gelegt hatte. Kein Einzelgrab, sondern ein Monument aus Millionen Urnensteinen stellten sich die Neopyramidalen dort vor.
Gestorben wird immer
Steht also die geometrische Idealform, das archaische Grabmal vor einer Renaissance? Als Bestattungsort hat die Pyramide seit den Zeiten der Pharaonen oder Azteken immer wieder fasziniert. In unserem Kulturkreis zum Beispiel Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau oder Fürst Pückler mit Pyramiden im Wörlitzer Gartenreich oder im Branitzer Park bei Cottbus.
„Der Tod ist für uns ein Nichts“, sagt zwar Epikur; doch die Sepulkralkulturen sind älter als die Erkenntnisse des griechischen Philosophen. Zu Epikurs Zeiten standen die Pyramiden von Gizeh schon mehr als 2.000 Jahre. Und bis heute dürfte es den wenigsten Menschen völlig gleichgültig sein, was mit ihren empfindungslosen sterblichen Überresten geschieht.
Bei Ingo Niermann hatte die Pyramidenidee allerdings einen ganz anderen Ausgangspunkt. Sein 2006 erschienenes Buch „Umbauland“ beschreibt zehn zum Teil recht krause Vorschläge für eine Erneuerung Deutschlands. Darunter auch eine gigantische Pyramide als symbolischer „kollektiver Kraftakt“, ein „Bundesberg“ zur mentalen Unterstützung erforderlicher Problemlösungen.
Im Austausch mit dem Erfurter Ökonomen Jens Thiel und mit Erik Niedling, den er über Thiel kennen lernte, wandelte sich das Projekt zu einer Art sozialem Massengrab mit künstlerischem Anspruch. Die „Große Pyramide“ sollte nicht mehr einem Einzelnen zu Pseudo-Ewigkeit verhelfen. Sie wäre vielmehr ein Zeichen der Egalität spätestens im Tode, wenn jeder sich für wenige hundert Euro in einem Urnenstein als Pyramidenbaustein beisetzen lassen könnte. Einesteils aufgehoben, andererseits verschwindend unter den Vielen.
Arbeit in Zukunft
Die „Große Pyramide“ machte 2007 und 2008 Schlagzeilen bis hin zur New York Times. Ein Ideenwettbewerb wurde ausgeschrieben. In der Jury saßen der renommierte niederländische Architekt Rem Koolhaas und der damalige Chef der Bauhaus-Stiftung Omar Akbar. Die Bundeskulturstiftung machte 89.000 Euro aus dem Fonds „Arbeit in Zukunft“ locker. Sie flossen unter anderem in ein digitalisiertes Modell, das auch auf der Architektur-Biennale in Venedig zu sehen war. Im Internet ließen sich knapp 1.600 Bürger bereits einen Stein in dem Monument reservieren.
Durch Jens Thiel bekam der geplante Koloss über die Beschäftigung mit dem Tod hinaus noch einen sehr diesseitigen wirtschaftsfördernden Aspekt. „Gestorben wird immer“, bezifferte der Unternehmensberater damals das weltweite „Marktpotenzial“ der Großen Pyramide auf etwa 9 Millionen Sterbefälle. Daraus entwickelte er ein „Produktportfolio“ mit einem Themenpark und umfangreichen Gewerbeansiedlungen rund um die Pyramide: Aufschwung in Sachsen-Anhalt dank Begräbnistourismus.
Denn als Standort für die langsam wachsende Pyramide mit einer gigantischen Grundfläche von 500 x 500 Metern hatte der mittlerweile gegründete Verein einen Acker nördlich von Roßlau ausersehen. Nach anfänglicher Aufgeschlossenheit, nicht zuletzt wegen der Hoffnung auf steigende Grundstückspreise, schlug die Stimmung in Streetz und umliegenden Dörfern bald um. Unterstützer in mehreren Dessauer Stadtratsfraktionen, bei Architekten und im Bauhaus konnten sich nicht durchsetzen, verlegten sich schließlich auf das Vorhaben einer kleinen „Schnupperpyramide“ im Zentrum von Dessau. Doch auch sie kam nicht zustande.
Völlig überraschend ist die Pyramide bei Niermann und Niedling nun wieder da. Jetzt viel persönlicher, ja geradezu privat und dennoch mit dem Anspruch eines öffentlichen Zeichens. Als „komplementär zur Großen Pyramide“ bezeichnet Ingo Niermann die nicht minder gewaltige Idee, den in seiner Naturform idealen Gleichberg vorübergehend zu einer Begräbnispyramide umzugestalten. Mit Kommerz hat dieses Vorhaben jedenfalls nichts mehr zu tun. Ihm ging vielmehr eine sehr eigenwillige Beschäftigung Erik Niedlings mit seinem eigenen Tod voraus.
Der 38-Jährige lebte ein Jahr so, als wäre es sein letztes. Dokumente dieser Zeit und Artefakte seines Lebens stellt Niedling im Neuen Museum Weimar aus. Nicht, um sich selbst narzistisch zu herauszustellen, wie er betont, sondern um paradigmatisch „ein Leben voller Fehler, Niederlagen und Kränkungen“ abzubilden.
Ursprünglich sollte dieses Archiv in einem Container auf Reisen gehen. Dann aber floss das Ausstellungsprojekt mit dem latenten Pyramidengedanken zusammen. Die Präsentation im Museum ist wie der Inhalt einer Grabkammer gestaltet. Sogar an den Aluminiumsarg ist gedacht. Das gewöhnliche Niedling-Leben wäre verknüpft mit einer Halbgöttern vorbehaltenen Begräbnisform.
So akribisch sich der Künstler auch mit dieser Dokumentation selbst inszeniert, so sehr demonstriert er zugleich seine Vergänglichkeit und damit die alles Geschaffenen. „Dialektik“, kommentiert Niermann lakonisch. Die Pyramide soll wieder unter ihrem eigenen Berg verschwinden und mit ihr der Tote und seine Grabbeigaben. Was in den Weimarer Vitrinen steht, darf deshalb nicht einmal fotografiert werden. Auch der Katalog enthält keine Bilder. Und Sammler, die Objekte erwerben, müssen diese in Niedlings Todesfall wieder zurückgeben.
„Abstruser Unfug“
Nun mag man den Gedankengängen der beiden Idealisten sehr weit folgen und kommt dennoch nicht um einige nüchterne Fragen herum. Ja, für eine Realisierung sei viel Geld nötig, ist auch Niedling bewusst. Um es zu beschaffen, habe man ein Konsortium gegründet. Derzeit suchen die beiden Künstler nach einer geeigneten Baufirma, die erst einmal den Erdaushub berechnen und ein Kostenangebot erstellen kann.
Und wer genehmigt das Ganze? Niermann macht nur eine schwache Bemerkung, dass Kunst eigentlich sich selbst legitimiere. Man sei mit der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie im Gespräch, behauptet er dann. Dort aber weiß man von nichts und verweist an die untere Umweltbehörde beim Kreis Hildburghausen.
Der sonst sehr aufgeschlossene Amtsleiter Roland Müller aber versetzt dem „abstrusen Unfug“ lapidar den behördlichen Todesstoß. „Die Genehmigung eines derartigen Eingriffs ist unvorstellbar“, lautet sein Kernsatz. Denn die Gleichberge mit ihrer urwaldähnlichen Flora sind – ausgerechnet – seit 1938 Naturschutzgebiet, Vogelschutz- und FFH-Gebiet.
Im Vergleich zur keineswegs begrabenen Idee der Großen Pyramide hatte Niermann das Gleichberg-Projekt zuvor nur als „Lockerungsübung“ bezeichnet. Den Standort Dessau-Roßlau für das Ursprungsvorhaben wird man zwar wohl aufgeben. Derzeit aber bereitet der Pyramiden-Förderverein, der im Wesentlichen aus N&N besteht, einen neuen Realisierungswettbewerb für die Große Pyramide vor. Als Ausschreibungspartner soll das Deutsche Architekturzentrum Berlin Interesse gezeigt haben. Für alle, die einmal wie Cheops oder Chephren bestattet werden wollen, ergäbe sich so ab 2014 eine zweite Chance.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“