Kulturzentrum „The Shed“ in New York: Aufdringliches Understatement
In Manhattan werden sogar die Verdränger verdrängt. Da hilft auch das neu eröffnete und eine halbe Milliarde US-Dollar teure „The Shed“ nicht.
Bescheidenheit muss man sich leisten können, und wenn es eine Stadt kann, dann ja New York. „The Shed“ heißt das neue Kulturzentrum im Westen Manhattans. „Der Schuppen“ also, was angesichts der Baukosten von 475 Millionen US-Dollar, der exzentrischen Architektur, der Luxuslage und des spektakulären Programms als geradezu aufdringliches Understatement erscheint. „Easy, easy“, brüllt der Schuppen den Bewohnerinnen und Besuchern dieser Stadt zu, „ich bin harmlos!“
Zunächst stellt sich freilich die Frage, wo es überhaupt hineingeht. Der Haupteingang von „The Shed“ versteckt sich fast, liegt er doch auf Straßenhöhe, zu Füßen der High Line. Ein Planungsfehler? Schließlich schauen in diesem Viertel doch alle immer nach oben.
Dieses Viertel, es heißt Hudson Yards, und ohne die Hudson Yards versteht man „The Shed“ nur schwer. Seit einigen Jahren wachsen nahe dem Hudson River, zwischen 30. und 34. Straße, Glastürme in die Luft, die selbst für New Yorker Verhältnisse einschüchternd wirken. Unübersehbar und uneinsehbar sind sie, strahlend blauer Gigantismus.
Zu den großzügig steuergeldunterstützten Hudson Yards gehören neben Wolkenkratzern auch eine Shoppingmall, Restaurants, ein Fitness-Hotel und die kupferfarbene Skulptur „Vessel“ des Designers Thomas Heatherwick, die bei 2.500 Treppenstufen nicht eine einzige Sitzmöglichkeit anbietet, sich dafür aber schon ein paar Spitznamen verdient hat: Schawarma, Bienenstock und Papierkorb.
Die politischen Macher der Hudson Yards, Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg und sein Vize Dan Doctoroff, hatten dieses Viertel der Superlative als „neues Herz“ New Yorks angepriesen. Doch der Stadtkörper scheint das frisch transplantierte Organ nicht gut anzunehmen. Vom „meistgehassten Stadtentwicklungsprojekt“ und „Spielplatz der Milliardäre“ ist die Rede. Immobilienentwickler Stephen Ross bezeichnete die Hudson Yards neulich als „Museum der Architektur“. Es war als Eigenlob gemeint, erschien aber wie eine unfreiwillige Offenbarung.
Wie eine gigantische Daunenjacke
Und „The Shed“? 40 Meter und acht Stockwerke ist der Schuppen hoch, er beherbergt zwei Galerien, ein Theater mit 500 Plätzen sowie Proberäume und ein „Kreativ-Labor“. Das Highlight ist sein Design, diese silbern schimmernde Membranhülle, halb Dach, halb Fassade, die sich um den Gebäudekern legt und auf acht riesigen Rädern auf den Vorplatz gerollt werden kann, ganz von Wetterlage und Veranstaltung abhängig.
Gerade mal fünf Minuten dauert es, dann hat „The Shed“ seine Konstitution verändert, und zwar ohne Baukräne, Schweiß oder Staub. Geschmeidig schiebt sich die 3.500 Tonnen schwere Haut, die mit ihren teflonbeschichteten Kissen wie eine gigantische Daunenjacke aussieht, vor und zurück. Die Form folgt in diesem Fall der Funktion. „The Shed“ ragt architektonisch heraus, obwohl es das kleinste Element der Hudson Yards ist.
Geplant wurde der Luxus-Schuppen von zwei Architekturfirmen, die New York bereits andernorts geprägt haben: von der Rockwell Group, die für ihr spektakuläres Eventdesign bekannt ist, und dem Büro Diller Scofidio + Renfro, das die High Line konzipierte, jene zum Park umgewandelte Hochbahntrasse, an deren nördlichem Ende die Hudson Yards liegen.
Sogar Starbucks-Filialen schließen
„Wir wollten einen Raum schaffen, der kreative Leute in der Zukunft beschützt“, hat Elizabeth Diller zur Eröffnung von „The Shed“ gesagt. Wohlfeil könnte man diese Aussage nennen. Es war ja Diller selbst, die vor zwei Jahren im britischen Guardian zugab, dass die High Line die einheimischen Menschen verdränge und sogar ihr erfolgreiches Unternehmen diese Gegend bald verlassen müsse. Dass in New York schon längst die Verdränger verdrängt werden, erkennt man alleine daran, dass mittlerweile auch Starbucks-Filialen schließen müssen.
Warum sollte ausgerechnet „The Shed“ diese Prozesse nicht beschleunigen? Weil das Angebot für alle Einwohner dieser Stadt zugänglich und bezahlbar sein soll – das hat zumindest der schottische Creative Director Alex Poots versprochen.
Zehn Prozent der Tickets werden für je zehn Dollar an einkommensschwache New Yorker vergeben. Auch für das Auftaktprogramm hat sich Poots Mühe gegeben, sensibel zu wirken. Die ersten fünf Konzerte liefen unter dem Motto „Soundtrack of America“ und feierten „den Einfluss afroamerikanischer Musik“. Kuratiert wurde die Serie von Regisseur Steve McQueen und Quincy Jones.
Richter, Pärt und Reich
An großen Namen mangelt es jedenfalls nicht. Im zweiten Geschoss sieht man derzeit eine Multimedia-Ausstellung, die Kunst von Gerhard Richter mit Musik von Arvo Pärt und Steve Reich kombiniert. Im Theater läuft das Stück „Norma Jeane Baker of Troy“, eine Koproduktion von der Poetin Anne Carson und Regisseurin Katie Mitchell. In ein paar Wochen gibt dann Björk ihr Konzert.
Der Schuppen fühle sich wie das „großzügige Geburtstagsgeschenk an, dass du von dem reichen Typen bekommst, der deine Frau gestohlen hat“, schrieb die Kritikerin Ginia Bellafante in der New York Times. Ein Kulturzentrum als eine Art Alibi und Gewissensberuhigung also, für all jene Politiker, Investoren und sonstigen Verantwortlichen, die dafür sorgen, dass Manhattan immer unbezahlbarer, steriler und öder wird und die Bewohner von ihrer Stadt immer weiter entfremdet.
Interessant könnte es Mitte Mai werden, wenn der linke Filmemacher, Rapper und Occupy-Aktivist Boots Riley („Sorry to Bother You“) eine Lecture zum Thema „Kunst und ziviler Ungehorsam“ hält. Ziviler Ungehorsam, den provoziert nämlich vor allem dieses neue Viertel, in dem „The Shed“ so eingekuschelt liegt.
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