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Kulturprojekt in BrandenburgVertrauensbildung im Bunkerland

In Strausberg entsteht auf einem einstigen Postareal ein nachhaltiges Kulturquartier. Bald soll eine besondere DDR-Hinterlassenschaft begehbar sein.

Nachhaltigkeit als bestimmendes Thema: Melanie Seeland (l.) und Antje Borchardt vom Postgelände-Team Foto: Linda Peikert

Berlin taz | Melanie Seeland sitzt in der „Schmorpost“ ihrer Projektpartnerin Antje Borchardt gegenüber. Es ist gemütlich warm in der kleinen Gaststätte im Kulturquartier Altes Postgelände im brandenburgischen Strausberg. Einige Tische und die Verkleidung des Bartresens sind aus naturbelassenem Kiefernholz.

„Alle reden über Holzbau, was man nicht alles ändern müsste. Es wird viel Geld in Theorien investiert, wie man klimafreundlicher bauen könnte“, sagt Seeland. Und alle reden über Kulturangebote und Begegnungsstätten im ländlichen Raum. Seeland und Borchardt haben gemeinsam mit Matthias Merkle beschlossen, nicht mehr nur zu reden, sondern einfach mal anzufangen. Seeland sagt: „Wir sind das im Kleinen, worüber alle im Großen reden.“

Alles begann mit einem 28 Hektar großen Gelände, gut einen Kilometer vom S-Bahnhof Hegermühle entfernt, das zu DDR-Zeiten der Post gehörte und einen riesigen Elektrobunker beherbergte. Hier war die Kommunikation des Warschauer Pakts für den Ernstfall sichergestellt.

Seeland, Borchardt und Merkle hatten von einem Bekannten erfahren, dass das Gelände zum Verkauf stand. Nach Kalkulationen, einigen Bedenken, aber gleichzeitig glänzenden Augen, was hier alles möglich sein würde, schlugen sie zu – um das alte Postgelände neu zu beleben. Zwölf Jahre ist das nun her.

In engem Austausch mit den Menschen

Alle drei kommen vom Theater und so stand das erste Projekt im neuen Kulturquartier schnell fest. Ein Theater gab es in Strausberg bis dahin nicht, auch das Kino war schon lange dicht. Also wurde „Die Andere Welt Bühne“ ins Leben gerufen. Die kommt in der Kleinstadt bei Berlin gut an.

„Wir sind immer im engen Austausch mit den Menschen hier. Das Konzept des Geländes entsteht im Pingpongspiel mit Strausberg“, sagt Seeland. Aber es sei auch „sehr viel Arbeit“, ergänzt Borchardt.

Inzwischen gibt es auf dem Gelände einen Spielplatz, der für alle zugänglich ist. Eine kleine Schafherde, die gestreichelt werden darf. Eine Genossenschaft, die WG-Zimmer vermietet und eine Schule betreibt. Die Gaststätte Schmorpost, in der es von Donnerstag bis Sonntag Wochengerichte und Pasta gibt. Und das große Holzbauprojekt: Alte Kiefern werden zu nachhaltigem Wohnraum.

„Der Witz liegt darin, dass wir das Holz direkt hier aus dem Wald nehmen, dass das alte Kiefern sind, die in den nächsten Jahren sowieso umfallen werden“, sagt Borchardt. Das Holz muss also keine weiten Strecken mit dem Lkw zurücklegen, sondern wird direkt vor Ort weiterverarbeitet.

In der Holzwerkstatt arbeitet inzwischen ein neunköpfiges Team, alle sind an dem Gesamtprozess beteiligt. „Wir haben das Kulturquartier mit einem Kunstanspruch gestartet, deshalb ist es uns auch wichtig, dass der eine nicht nur die ganze Woche hobelt und die andere nur sägt“, sagt Borchardt.

Holzhäuser in Planung

Von der Schmorpost vorbei am Schafgehege und der Werkstatt stapfen Borchardt und Seeland einen matschigen Pfad entlang bis zur Baustelle: Zwei Stockwerke eines der geplanten Holzdoppelhäuser stehen schon. Insgesamt sollen 16 Doppelhäuser gebaut werden, alle ein bisschen anders aufgeteilt, alle etwas anders gestaltet. Eine einheitliche Neubausiedlung kommt nicht infrage.

Wer hier einziehen möchte, muss allerdings auch Kapital mitbringen. Die Einlage kostet 1.000 Euro pro Quadratmeter, nicht gerade niedrigschwellig. „Das lässt sich nicht anders machen, wenn man keine Förderung hat“, sagt Borchardt. Die Miete selbst soll bei 13 Euro liegen, dafür aber langfristig gesichert sein. Eine Handvoll der 32 Wohneinheiten ist schon vergeben. Wichtig sei ihnen auch, dass die Leute, die hier einziehen, Lust auf das Projekt haben.

„Wir haben erst mal das Theater aufgemacht, dass sich die Be­woh­ne­r:in­nen nicht plötzlich dagegenstellen“, erklärt Seeland. „Wir wollen hier ein urban anmutendes, offenes Gelände schaffen, was einen Unterschied für die Leute hier in Strausberg macht“, sagt Borchardt. Divers soll es auch werden. Etwas schwierig angesichts der Preise. „Wir sprechen gerade mit verschiedenen Stiftungen und sozialen Trägern, ob die Interesse haben, hier eine Wohngruppe zu eröffnen“, sagt Seeland.

Das Ganze wird in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation Bauhaus Erde durchgeführt, die diese Baumethode mit der heimischen Kiefer hier am Praxisbeispiel erforscht. Der CO2-Ausstoß soll möglichst gering sein. Die abgeholzten Kiefern werden durch heimischen Mischwald ersetzt. Seeland, Borchardt und ihr Team möchten mit dem alten Postgelände, besonders aber mit dem Bauprojekt, zum Modell werden.

AfD und andere Krisen

„So wenig und kleine Maschinen wie wir brauchen, kann im Prinzip jede Tischlerei und jede Zimmerei an jedem Waldrand bauen“, sagt Borchardt. Auch wenn das Thema Nachhaltigkeit „im Moment aufgrund von AfD und anderen Krisen in den Hintergrund gerutscht“ sei, ist Seeland überzeugt: „In den nächsten Jahren wird das eines der größten Themen überhaupt sein.“

Statt Angst vor Veränderung, will das Team des Alten Postgeländes Mut für neue, nachhaltige Projekte machen. Und damit auch die breite Gesellschaft in und um Strausberg abholen. Auf dem Spielplatz, in der Schmorpost oder nach Theateraufführungen käme man immer wieder mit Straus­ber­ge­r:in­nen ins Gespräch, wobei auch Bedenken geäußert werden.

Mit der AfD geht es mit uns wahrscheinlich nicht weiter

Melanie Seeland

Nicht Bedenken gegenüber dem alten Postgelände mit neuem Kulturangebot. Sondern mit Blick auf die Politik in Brandenburg, aber auch generell. Seeland sagt, sie erwidere dann: „Mit der AfD geht es mit uns wahrscheinlich nicht weiter.“ Das würde viele zum Nachdenken anregen. Dass das Theater schließt, das würden sie schließlich auch nicht wollen.

„In den aktuellen Zeiten fehlt es uns oft an Vertrauen, aber unseren Ort würde ich als vertrauensbildende Maßnahme beschreiben“, sagt Borchardt. Und rund um das alte Postgelände bräuchte es viel Vertrauen. Angefangen beim Vertrauen der Leute, die mit ihrem Geld in das Bauprojekt einsteigen. Vertrauen, in die eigenen Fähigkeiten, so ein Projekt mit einem kleinen Team zu stemmen.

Das Kulturquartier sei zudem ein Ort, an dem die Straus­ber­ge­r:in­nen Vertrauen fassen sollen. Ein Ort mit offenen Toren. „Aber gestandene Nazis werden vermutlich nicht hierherkommen und das ist uns natürlich sehr recht“, fügt Borchardt hinzu.

Ohne Förderung kein Theater

Wie es mit dem alten Postgelände weitergehen wird, sollte die AfD früher oder später noch größeren politischen Einfluss bekommen, kann niemand genau abschätzen. Das nachhaltige Bauprojekt läuft unabhängig von öffentlichen Geldern, aber das Theater wird gefördert. Ohne Förderung kein Theater.

Seeland wurde bei einem Besuch im brandenburgischen Landtag bereits von der AfD-Fraktion scharf auf die gegenderte Sprache ihrer Webseite angesprochen. „Damit zeigen sie: Wir haben euch im Blick“, sagt sie. Also die Projekte lieber zügig realisieren, lautet die Devise. Und im diesjährigen Weihnachtstheaterstück werden die politischen Entwicklungen auch künstlerisch aufgearbeitet.

In „Anschluss im Abseits“, geschrieben vom Teamkollegen Merkle, wird die Strausberger Geschichte der Jahre 1938 und 1948 thematisiert. Es ist schon der dritte Teil einer komödiantisch-philosophischen Reihe über Weltgeschichte in der eigenen Kleinstadt.

Es gehe diesmal um das NS-Regime und die Gründungsgeschichte der DDR, sagt Seeland. Die Frage sei: „Warum hat man in diesem Land vielleicht immer mal den Hang, plötzlich in autokratischen Systemen zu landen?“ Entmutigen lassen wollen sich die Mit­strei­te­r:in­nen des alten Postgeländes nicht. Auch für die Zukunft sind zahlreiche Projekte angedacht.

So soll unter anderem der alte Telekommunikationsbunker wieder begehbar gemacht werden. „Wir haben hier ein wichtiges Denkmal der deutsch-deutschen Geschichte auf unserem Gelände und wollen ihn zu einer kulturellen Begegnungsstätte umwandeln“, sagt Borchardt.

Insgesamt soll der Bunker 8.000 Quadratmeter groß sein, aufgeteilt in etwa 200 Räume. Einige der Räume seien noch gut erhalten, „mit ganz viel Technik und DDR-Zeug drin“, so Borchardt. „Die würden wir eben gern tatsächlich so als historisches Denkmal erlebbar machen.“

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