Kulturprogramm der Fußball-EM: Kick für das Land
Die Erwartungen der Regierung an die EM könnten kaum höher sein. Allen Problemen zum Trotz soll das Bild einer bunten Gesellschaft entstehen.
E s sind schwierige Zeiten. Der deutsche Fußball tut sich schwer. Und überhaupt könnte die Stimmung im ganzen Land nicht viel mieser sein. Bauern protestieren für ihre Geldbeutel, Fußballfans begehren gegen den modernen Fußball auf, Klimakleber kleben sich auf Kreuzungen, blaue Nazis träumen von Massendeportationen, und wackere Bürgerinnen und Bürger tun sich in großen Massen zusammen, um genau dagegen zu demonstrieren.
Wie gut, dass im Sommer die Fußball-EM der Männer in Deutschland ausgespielt wird. Mit ihr wird alles gut – das Land, das Bild des Landes im Ausland und vielleicht sogar der deutsche Fußball. Wer dabei war, als am vergangenen Mittwoch in Berlin das hochoffizielle Kulturprogramm zur Euro 24 vorgestellt worden ist, der konnte schnell spüren, wie hoch die Erwartungen an das Turnier sind.
13 Millionen Euro lässt die Bundesregierung springen, auf dass die Brücke der Kultur zum Fußball das Land heile. Kulturstaatsministerin Claudia Roth schwärmte beim Auftakttreffen der Fußballkulturschaffenden im Museum Hamburger Bahnhof in der ihr eigenen Begeisterung davon, welche Kraft der Fußball doch habe, Menschen zusammenzubringen, für welch wertvolle Werte er doch stehe. „Wir wollen damit auch ein Bild von unserem Land zeigen, ein Bild von einer bunten, von einer diversen, von einer inklusiven Gesellschaft, von einem demokratischen Deutschland“, sagte sie. Eine Nummer kleiner hatte sie es nicht.
Philipp Lahm, der Kapitän der deutschen Weltmeisterelf von 2014 und Direktor des EM-Turniers, wollte der Staatsministerin da in nichts nachstehen. „Solche Turniere bieten immer die große Gelegenheit für uns als Land, aber auch für ganz Europa zu zeigen: Wie wollen wir eigentlich miteinander leben, freiheitlich und friedlich.“ Das Turnier konnte einem schier leid tun bei all den Erwartungen, die da auf das Event gepackt wurden und die nun auch mit Hilfe geförderter Kunst- und Kulturprojekten erfüllt werden sollen.
„Stadien der Träume“
Die Projekte, die über die dafür gegründete „Stiftung Fußball und Kultur Euro 2024“ abgewickelt werden, sind dann auch noch vorgestellt worden. Da gibt es die „Stadien der Träume“, in denen Kunst oder Literatur, die den Fußball zum Thema haben, präsentiert wird. Es gibt pädagogische Programme, mit denen Kinder an die verschiedenen Fußballkulturen Europas vertraut gemacht werden sollen. Bei einer Theatersport-EM messen sich Improvisationstheater, während in Berlin „Radical Playgrounds“ im öffentlichen Raum entstehen, die zeigen sollen, dass ein faires Spiel auch dann von Wert sein kann, wenn es nicht ums Gewinnen und Verlieren geht. Es wird Lyrik-Workshops geben, bei der Berlinale werden Flimstudierende schon bald zeigen, was ihnen zum Thema Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit eingefallen ist. Und die ganz große Videoinstallation „Winners“ der in Berlin lebenden Künstlerin Marianna Simnet wird im Hamburger Bahnhof zu sehen sein.
Die hatte zwar bislang, wie sie selbst sagte, nichts aber auch gar nichts mit Fußball zu tun. Schon als Kind habe man sie ferngehalten vom Spiel. „Ist nichts für dich“, habe man ihr gesagt. Jetzt arbeitet sie sich mit ihrer Kunst „voller Blut, Schweiß und Tränen“ an die Räume heran, die von Männern dominiert werden. Bisweilen, sagte sie, sei ihre Arbeit wie ein religiöses Bekenntnis „weit weg von jeder Rationalität“. Wie der Fußball irgendwie. Ab Mitte Mai kann man sich „Winners“ anschauen.
Sam Bardaouil, einer der Direktoren des Hamburger Bahnhofs, freut sich schon drauf. Er war als Bub im Libanon begeisterter Fußballfan und Deutschland habe für ihn vor allem aus Fußball bestanden. Doch als etwas merkwürdiger, junger Kerl habe er bald schon seine Liebe zur deutschen Philosophie entdeckt. Und was könnte es nun Schöneres geben, als ein künstlerisches Fußballprojekt in dem Gedenkjahr zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant.
Jetzt muss nur noch das Land heilen – und der deutsche Fußball. Ganz einfach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels